zum Hauptinhalt
Das Krankenhaus Auf der Bult in Hannover - trägt die Klinik eine Mitschuld am Tod des Säuglings einer Asylbewerberin?

© DPA

Totes Flüchtlingsbaby: Unterlassene Hilfeleistung oder tragisches Missverständnis?

Eine Asylbewerberin aus Ghana hat die Kinderklinik "Auf der Bult" in Hannover angezeigt. Der Vorwurf: Ihr todkrankes Kind wurde nicht behandelt, weil sie keinen Krankenschein hatte.

Es sind schwere Vorwürfe, die gegen das Kinder- und Jugendkrankenhauses "Auf der Bult" in Hannover erhoben werden: Die Klinik soll sich geweigert haben, das kranke Baby einer Asylbewerberin aus Ghana aufzunehmen und zu behandeln, weil die Mutter keinen Krankenschein für ihr Kind vorlegen konnte. Daraufhin fuhr Vida M. mit einem Bus zu einer Hausärztin, die nach einer kurzen Untersuchung sofort einen Rettungswagen alarmierte. Auf dem Weg zurück in die Klinik verstarb der wenige Wochen alte Säugling.

Über einen Anwalt haben die Eltern des verstorbenen Kindes am Mittwoch Strafanzeige gegen Unbekannt gestellt. "Für mich ist das Totschlag durch Unterlassen", sagte der Anwalt Matthias Waldraff dem Tagesspiegel. Der Ärztliche Direktor der Klinik, Thomas Beushausen, wies die Vorwürfe entschieden zurück. „Wir haben die junge Mutter mit dem Jungen in unserer Notfallambulanz nicht abgewiesen,“ sagte Beushausen am Donnerstag in Hannover. Vielmehr sei sie während des Aufnahmeprozesses plötzlich verschwunden.

Die Mitarbeiter haben sich korrekt und gemäß den professionellen Standards verhalten. Es sei sehr überraschend gewesen, dass der Säugling kurze Zeit später unter Wiederbelebungsversuchen in das Krankenhaus eingeliefert wurde, sagte Beushausen.

Vida M. war vergangenen Donnerstag in die Klinik "Auf der Bult" gegangen, weil ihr Sohn Joshua über Nacht nicht gegessen hatte und hustete. Dort wurde sie an die Notaufnahme verwiesen.

Die Klinik sah keine Anzeichen für einen Notfall

Man habe seiner Mandantin gesagt, dass sie einen Krankenschein für ihren Sohn und eine Geburtsurkunde brauche, erklärte Waldraff. Weil sie beides nicht vorlegen konnte, sei sie weggeschickt worden. Sie habe jedoch einen Arztbrief und das Untersuchungsheft ihres erkrankten Sohnes dabei gehabt, sagte Waldraff: "Es hätte genügt, in das Heft zu schauen, dann hätte sich sofort ein Arzt um das Kind gekümmert". Joshua ist ein frühgeborener Zwilling und war zuvor schon für vier Wochen wegen eines Lungenleidens in der Klinik "Auf der Bult" in Behandlung.

Thomas Beushausen betont, dass der fehlende Krankenschein für das Kind keine Rolle gespielt habe. Es habe jedoch keinen Hinweis auf einen medizinischen Notfall gegeben, deshalb sei der reguläre Aufnahmeprozess eingeleitet worden. Die betreuende Mitarbeiterin habe sich nur kurz für ein Telefonat entfernt, als sie zurückkam sie die Frau verschwunden gewesen, sagte Beushausen: "Die Untersuchung stand unmittelbar bevor." Möglicherweise sei ihr nicht deutlich gesagt worden, dass ein Arzt komme. Sie habe sich nur sehr schlecht auf Englisch verständigen können.

Nachdem später der Tod des Kindes in der Klinik festgestellt worden war, habe man unmittelbar die Polizei eingeschaltet. Das sei in solche Fällen üblich, so Beushausen.

Nur eine unglückliche Verkettung von Zufällen?

Um die genaue Todesursache zu klären, hat die Staatsanwaltschaft Hannover eine Obduktion angeordnet. Mit den Ergebnissen der gerichtsmedizinischen Untersuchung wird erst nach Ostern gerechnet. "Erst dann wird sich zeigen, ob es einen Anfangsverdacht gibt, oder ob es sich um eine unglückliche Verkettung von Zufällen handelt", sagte die Sprecherin der Staatsanwaltschaft, Kathrin Söfker dem Tagesspiegel.

Nach dem Tod des Säuglings forderte Niedersachsens Ausländerbeauftragte Doris Schröder-Köpf (SPD) die medizinische Versorgung von Flüchtlingen zu vereinfachen. Im Zweifel müsse gelten: Erst helfen, dann die Kostenfrage klären, sagte die Landesbeauftragte für Migration und Teilhabe am Mittwoch in Hannover. Der Flüchtlingsrat Niedersachen forderte, das Asylbewerberleistungsgesetz abzuschaffen und Flüchtlinge bei der Krankenversorgung mit deutschen Patienten gleichzustellen. Die Landesregierung solle nach dem Vorbild Bremens einen Vertrag mit der AOK abschließen und Asylbewerbern eine Gesundheitskarte ausstellen. Mit einer solchen Karte wäre Vida M. mit ihrem Baby nicht vom Kinderkrankenhaus abgewiesen worden, heißt es in einer Mitteilung des Rates.

Asylbewerber müssen für die Einweisung in ein Krankenhaus im Regelfall ein Einweisungsschein von einem niedergelassenen Arzt vorweisen. Allerdings gilt das gemäß dem Asylbewerberleistungsgesetz nicht für Notfälle, also der Behandlung "akuter Erkrankungen und Schmerzzustände". Die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl kritisiert diese Regelung scharf: „Die Vorprüfung, ob ein Krankenschein ausgestellt wird, ist unerträglich“, sagte der stellvertretende Geschäftsführer von Pro Asyl, Bernd Mesovic. Ob es sich um einen Notfall handele, entschieden oft Menschen, die dafür eigentlich nicht qualifiziert seien, etwa das Personal in Auffanglagern für Flüchtlinge. Zudem seien sich Ärzte und Krankenhäuser aufgrund der Regelung oft unsicher, ob die Kosten einer Behandlung auch erstattet würden. „Das was in Hannover passiert ist, ist kein Einzellfall“ warnt Mesovic.

In einem ähnlichen Fall waren erst Anfang der Woche drei Mitarbeiter der Flüchtlingsunterkunft Zirndorf in Bayern wegen unterlassener Hilfeleistung und Körperverletzung durch Unterlassung verurteilt worden. Ihnen wird zur Last gelegt, 2011 einem schwer erkrankten Flüchtlingskind dringend notwendige Hilfe verweigert zu haben. Der damals ein Jahr alte  Junge leidet bis heute an den Folgen einer spät behandelten Infektionserkrankung.

Sebastian Drescher

Zur Startseite