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Abschied vom Triumphbogen. Die Pariser kehren ihrer Stadt und den teuren Immobilienpreisen den Rücken.

© dpa/Francois Mori

Viele Pariser ziehen aufs Land: Häuser für 150.000 Euro gibt es kaum mehr

In der Pandemie ziehen viele aus Frankreichs Hauptstadt aufs Land. Dort sind sie nicht immer willkommen. Eine Anti-Pariser-Stimmung macht sich breit.

Mit Gummistiefeln und Latzhose läuft Estelle Marandon durch ihren Bach und macht das Ufer sauber. Die 41-jährige deutsch-französische Lifestyle-Journalistin hat eine neue Leidenschaft: das Landleben. Mit ihrem Mann, dem Filmproduzenten Mathieu Robinet (39), und den Kindern (9,7,4) ist sie in der Pandemie von Paris nach Cély bei Fontainebleau gezogen. " Paris ist uns zu eng geworden, wir wollten mehr Natur. Vorher hatten wir keinen Balkon, jetzt 5000 Quadratmeter Garten und einen Wald ", sagt Marandon.

Die 84-Quadratmeter-Wohnung in Paris hat die Familie verkauft und dafür eine 400-Jahre-alte Mühle mit rund 300 Quadratmetern gekauft - ein Drittel billiger als die Immobilie in Paris, wo der Durchschnittspreis bei rund 11.000 Euro pro Quadratmeter liegt. Homeoffice macht es möglich.

Der nächste Bahnhof liegt 20 Minuten mit dem Auto entfernt, die Zugfahrt nach Paris dauert eine halbe Stunde. " Wenn man jeden Tag nach Paris muss, wäre das anstrengend, aber für Freiberufler ist es perfekt. " Die Familie hat hier Designer, Stilisten, Restaurantbesitzer und Musiker kennengelernt, die Paris verlassen haben.

Estelle Marandon ist nicht die Einzige, die Paris den Rücken gekehrt hat und ins Umland gezogen ist. Nach den Erfahrungen in der Coronakrise träumen viele Pariser vom Haus im Grünen. Wer vorher außerhalb von Paris lebte, wurde mitleidig betrachtet. Pariser schworen auf ihre Stadt.

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Die Sichtweise hat sich geändert. Überall in Frankreich bekommen die Immobilienmakler viele Kundenanfragen, Notare bestätigen den Trend, der seit dem ersten Lockdown beobachtet wurde: Eine wahre Stadtflucht hat eingesetzt. Nicht nur aus Paris, auch aus großen Städten wie Lyon.

Die Immobilienpreise steigen

Drei Tendenzen lassen sich dabei erkennen. Die Pariser zieht es erstens ins Umland, dorthin, wo es landschaftlich schön ist und keine sozialen Probleme zu erwarten sind. Zweitens beobachten die Immobilienexperten einen Ansturm auf Städte, die schnell mit dem Schnellzug TGV zu erreichen sind und in denen die Immobilienpreise günstig sind. Und drittens sind Immobilien an der Küste als Ferienhaus gefragt. Viele haben auch aus ihrem Wochenendhaus in der Krise ihren Hauptwohnsitz gemacht.

Landleben. Estelle Marandon wohnt jetzt bei Fontainebleau.
Landleben. Estelle Marandon wohnt jetzt bei Fontainebleau.

© privat

Das Wirtschaftsmagazin „Challenges“ zeigte die Orte im Umland auf, von denen man nicht länger als eine Stunde nach Paris braucht, darunter Fontainebleau (4200 Euro pro Quadratmeter), Meaux (2800 Euro) oder Plaisir (3000 Euro). Zu den beliebten Städten, die schnell mit dem Zug zu erreichen sind, gehören Orléans, Reims oder Rennes. Doch das Angebot wird langsam knapp und die Preise steigen. Während in Paris die Preise 2021 im Vergleich zu 2020 nur leicht stiegen, kam es im Rest Frankreichs zu Steigerungen von 9,4 Prozent bei Häusern, im Umland von Paris zu 7 Prozent.

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„Le Figaro“ und „Le Monde“ listen beliebte mittelgroße Städte auf, in denen die Preise in einem Jahr rapide gestiegen sind. In Rennes um 9,8 Prozent (3480 Euro pro Quadratmeter), 10,4 Prozent in Orleans (2350 Euro), Reims 10,2 Prozent (2370 Euro). Zu den angesagten Städten gehören auch Nantes, Lille, Le Havre, und im Süden Marseille, Aix-en-Provence und Montpellier, die mit dem TGV in bis zu 3,5 Stunden zu erreichen sind.

Bretagne und Normandie sind gefragt

An der Küste sind vor allem die Bretagne und die Normandie gefragt. Kleine Häuser mit Garten, die bisher für 150 000 Euro zu haben waren, sind kaum noch zu finden. In vielen Badeorten zogen die Preise in einem Jahr um 35 bis 50 Prozent an. Auch hier sind die Gegenden beliebt, die leicht zu erreichen sind, wie Deauville in der Normandie in zwei Stunden mit dem Zug von Paris.

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Geschäftsleute in den Gegenden, die durch die Pariser aufleben, sind begeistert über die Kundschaft, die nicht mehr nur in den Ferien kommt. Doch die Stadtflucht sorgt auch für Probleme. Für die Einheimischen, die weniger verdienen als die Städter, werden die Immobilien teuer. Sie beschuldigen diese, auch Covid-19 mitzubringen, weil die Inzidenz in Paris höher ist. In mehreren Regionen am Atlantik wie in Saint-Malo oder im Baskenland macht sich eine Anti-Pariser-Stimmung breit. Autos, die aus Paris und Umgebung stammen, wurden mit Schlüsseln verkratzt, die Nummernschilder abgerissen oder es stand darauf geschrieben: Hau ab. Zahlreiche Bürgermeister verurteilten die Attacken auf die Pariser als „Schande“.

Dieses Problem hat Estelle Marandon im Umland von Paris nicht. Ihr neues Leben inspirierte sie schon zu einem Buch, das in Frankreich und Großbritannien im April herauskommt: „Coming Home to Nature. The French Art of Countryfication“. Marandon sagt inzwischen: „Paris ist nicht weit weg, wir leben hier nicht mitten in Frankreich in der Einsamkeit. Ich fahre aber immer seltener in die Stadt.“ Statt Pariser Chic gehören nun die Gummistiefel zu ihrem Alltagsoutfit.

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