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Panorama: Werdet nicht Raucher

Wie ein junger Arzt Jugendliche vor Zigaretten und Lungenkrebs warnt

Von Almut Lüder, Hamburg

Peter Claren ist stockheiser. Der 69-jährige sitzt vorne im Hörsaal W 30 des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) und erzählt mit seinem letzten bisschen Stimme vor 200 Hamburger Schülerinnen und Schülern sein Schicksal. Er hat Lungenkrebs. Er hat von seinem 14. Lebensjahr an geraucht. Die Stimmbandlähmung ist die Auswirkungen eines Tumors. Seit der Diagnose vor zwei Jahren kämpft Peter Claren ums Überleben. Chemotherapie, Entfernung eines Lungenflügels, Strahlentherapie. Rückfall. War alles umsonst?

„Ihr wisst jetzt Bescheid, was euch blüht, wenn ihr raucht. Ihr habt die Chance, ganz cool zu sein“, sagt der Schwerkranke. Sein Arzt ist der Onkologen und Oberarzt am UKE, Eckart Laack. Er ist Vorsitzender von „Nichtrauchen ist cool. Prävention der Nikotinsucht bei Kindern und Jugendlichen in Hamburg und Umgebung e.V.“. Im Wechsel mit anderen Leidensgefährten lässt er Claren den Kindern im Alter von zehn bis 13 Jahren Woche für Woche von seiner Krankheit erzählen. Denn das Einstiegsalter für Raucher ist auf 12,8 Jahre gesunken.

Laack lässt den Fragen freien Lauf und Claren antwortet so gut er kann. Ja, er empfinde trotz allem noch Lebensfreude. Ob der Freund, der ihn als 14-Jähriger zum Rauchen anstiftete, auch Lungenkrebs habe, ist ihm nicht bekannt. Dr. Laack hakt oft nach: „Was ist das für ein Gefühl?“ Peter Claren haucht ins Mikrophon: „Es ist der Horror, es ist der Horror. Es ist die nackte Angst.“ Einzelne Kinder legen ihre Köpfe auf die Schultern ihrer Nachbarn. Es geht ihnen nahe.

Peter Claren ist ein alter Patient. Doch das soll niemanden in Sicherheit wiegen: Laack hatte eine 23-jährige Lungenkrebspatientin. Sie ist gestorben. Die Kinder sind nachdenklich: Eine Patientin, die gerade zehn Jahre älter war als sie selbst?

In einem Film über eine Lungenspiegelung versucht der Pneumologe, das Bronchioskop durch die Luftröhre in die Bronchien des narkotisierten Patienten, eines ehemaligen Gastwirts, einzuführen. Er kommt nicht weiter. Die Atemwege sind total verschleimt. Die Instrumente müssen noch mal raus gezogen werden. Nach einer Spülung arbeitet er sich mit einer Zange zum Tumor vor, schneidet eine Gewebeprobe heraus und deponiert sie als Untersuchungsmaterial für die Pathologen in einer Lösung. Einigen Kindern entfährt es: „Iiiiiiiiiiiiih!“ „Das ist die Realität“, warnt Dr. Laack. Er will nicht abschrecken: „Wir wollen die Realität zeigen, wohin Rauchen führen kann. Wir stehen am Ende der Zigarette und erleben täglich, welchen Leidensweg Lungenkrebspatienten durchmachen.“ Wissen, mitleiden, vorsorgen – so lässt sich die zweistündige Veranstaltung zusammenfassen.

Laack beginnt ein Quiz. In Turnschuhen und mit schnurlosem Mikrophon flitzt der 38-jährige Oberarzt durch den Hörsaal: Welche Krankheiten werden neben Lungenkrebs durch Rauchen verursacht? Raucherbein, Schlaganfall, Herzinfarkt, verkalkte Blutgefäße, Impotenz! schallt es ihm entgegen. Als der gut aussehende Patrick Nuo als prominenter Nichtraucher auf der Leinwand erscheint, kreischen die Mädchen. Viele Prominente unterstützen Laacks Initiative: Ralf Schmitz und Jasmin Wagner, Monika Lierhaus und der HSV.

In Deutschland sterben jährlich 140 000 an Lungenkrebs, erzählt Laack weltweit fünf Millionen Menschen. Dias illustrieren die Fakten. Der rauchende Bestatter vor seinem Leichenwagen mit der Aufschrift „Trost und Hilfe beim Abschiednehmen“ ist fast zum Schmunzeln, weniger allerdings die beiden Lungen: die eines Rauchers schwarz wie die Nacht – und die eines Gesunden, weiß-grau. „Das Entsetzen ist groß, wenn mal ein großes Flugzeug abstürzt. Dass genau so viele Menschen in Deutschland täglich an Lungenkrebs sterben, machen sich wenige klar“, wundert sich Laack.

Ein Schüler fragt: „Haben Sie eigentlich schon einmal geraucht?“ Laack: „Nein, ich habe immer Sport getrieben. Das verbietet sich.“ Der Arzt rennt weiter: „Wie viel krebserregende Substanzen sind in einer Zigarette?“ Die Schüler rätseln. 50 sind es. Woran erkennt man Raucher? Sie stinken, haben schlechte Zähne, gelbe Finger, kriegen früher Falten, altern früher, kommen schnell aus der Puste.

Laack macht die Stichprobe: „Wo wird zu Hause geraucht?“ Ein großer Teil der Kinder meldet sich. „Ihr müsst euren Eltern nicht böse sein. Rauchen ist eine Sucht“, erklärt er ihnen. Es sei ein Skandal, dass es in der EU 1,1 Millionen Zigarettenautomaten gebe, von denen allein 70 Prozent in Deutschland stehen. Er warnt vor Tricks der Industrie, die Zigaretten als cooles Symbol der Freiheit darstellt: „Vorsicht, die versuchen euch zu ködern. In Deutschland gehen jährlich 1,5 Millionen Jahre Lebenserwartung durch das Zigarettenrauchen verloren. Es entsteht ein volkswirtschaftlicher Schaden von 40 Milliarden Euro. Zusätzlich geben wir für Gesundheitsschäden jährlich 20 Milliarden Euro aus.“

Eine 13-Jährige streift sich das „Nichtrauchen ist cool“-T-Shirt gleich über: „Ich habe keine Lust zu rauchen. Ich hätte nicht gedacht, dass es so schlimm ist.“

Almut Lüder[Hamburg]

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