
© Tereza Mundilova
Neues Album von Mavi Phoenix: Abflug in die Freiheit
Mavi Phoenix ist Popmusiker – und trans. Mit dem Album „Marlon“ zeichnet der Österreicher ein facettenreiches Selbstporträt.
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Luftgitarre-Spielen war gestern, das neue Ding heißt Gitarren-Luftsurfen. Wie’s geht, führt Marlon Nader alias Mavi Phoenix im Video zu seinem Song „Tokyo Drift“ vor. Darin steht der österreichische Musiker auf einem Modell der Marke Fender und fliegt munter herum, erst nur ein paar Zentimeter über dem Asphalt einer abgelegenen Straße, dann geht es immer höher hinaus, über die Wolken, durch Hochhausschluchten, Berg- und Wüstenlandschaften.
Das sieht sehr lässig aus, vor allem wenn Mavi Phoenix das Instrument mit den Füßen leicht kippt – und als im Song ein Gitarrensolo erklingt, gibt’s auch noch ein bisschen Luftgitarrenspiel von ihm.
Erste Songs bastelt er als Teenager zusammen
Dass Mavi Phoenix einer E-Gitarre die Hauptrolle in einem seiner Videos geben würde, wäre bis vor Kurzem noch eine völlig abwegige Idee gewesen. Denn Gitarrenklänge kamen auf seinen EPs und dem Debütalbum „Boys Toys“ von 2020 quasi nicht vor. Mavi Phoenix, der 1995 in Linz zur Welt kam, als Teenie am MacBook seine ersten Songs zusammenbastelte und schon zwei Mal den renommieren Amadeus Award gewann, setzte stets auf eine dynamische und melodiebewusste Mischung aus Cloud-Rap, Lo-FiPop und modernem R’n’B.
Davon blitzt auf dem gerade erschienenen Nachfolger „Marlon“ vieles weiterhin durch, doch hat sich das Soundbild in eine deutlich rockigere Richtung entwickelt. „Ich habe schon immer Bands wie Queens Of The Stone Age, Green Day oder Tame Impala gehört“, sagt Mavi Phoenix im Videogespräch. Auch Pharrell Williams’ Band N.E.R.D sei wichtig für ihn gewesen.
Sein erstes Instrument war eine E-Gitarre, die sein Vater ihm schenkte, als er 14 war.
„Aber ich hatte dann nie Bock in den Unterricht zu gehen“, erzählt er lachend. „Der Lehrer meinte: Du bist talentiert, aber du übst halt nie.“ Dass offenbar doch einiges hängen geblieben ist, zeigen Songs wie „Leaving“ oder „Nothing New“ vom neuen Album, in denen Mavi Phoenix sich mit geschlagenen E- und Akustikgitarren begleitet, die mal nach Lagerfeuer und mal nach Garage klingen. Bei „Only God“ zucken sie funky über eine breite Bassline und in „Pretty Life“ schieben sie sich übereinander bis sie mit einem Trap-Beat verschmelzen.
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Die starke musikalische Veränderung hat sich für Mavi Phoenix „irgendwie ganz natürlich ergeben“, wie er sagt. Weil sich in seinem Leben viel veränderte, wandelte sich auch die Musik. Mavi Phoenix ist trans und hat in den letzten beiden Jahren eine Geschlechtsangleichung durchlaufen. Den Beginn dieses Prozesses spiegelte schon „Boys Toys“, auf dem einige Songtexte aus einer explizit transmännlichen Perspektive geschrieben waren. Im Video zum Song „Bullet In My Heart“ erklärten Texteinblendungen, dass Mavi Phoenix sich nicht dem ihm bei der Geburt zugewiesenen weiblichen Geschlecht zugehörig fühlt.
Der Sänger ging anschließend sehr offen mit seinem Transsein um, gab Interviews, dokumentierte auf Youtube den Wandel seiner Stimme durch die Testosteron-Behandlung. Die Reaktionen auf sein Coming Out seinen größtenteils positiv gewesen, erzählt er. Seine Eltern kamen allerdings erstmal nicht klar damit, was Mavi Phoenix in einem seiner Lieder erwähnte. Und heute? Alles wieder im Lot: „Es ist echt voll gut zwischen uns und sie sind auch stolz auf mich“, sagt er. „Die feiern die Musik und sie feiern mich.“
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Mavi Phoenix wirkt locker und zugewandt im Gespräch. Wie jemand, der bei sich angekommen ist und sich auf seine Zukunft freut. Das spiegelt auch das Album, dem der Musiker ganz bewusst seinen Vornamen als Titel gegeben hat. Das Cover zeigt ein Schwarz-Weiß-Porträt von ihm. Das Blond ist aus seinen Haaren verschwunden, er trägt jetzt seine Naturfarbe.
„Ich wollte einfach ganz normale kurze Haare, eine normale Farbe“, sagt Mavi Phoenix. „Normal“ ist eine wichtige Vokabel bei ihm. So tauchen in den Songtexten immer wieder der „normal guy“ oder der „normal dude“ auf. Manchmal spricht er von sich aber auch als „freak“. Was kein Selbsthass ist, sondern eine Abwehrstrategie: „Ich versuche, mir zu eigen zu machen, was andere vielleicht über mich denken, um weniger verletzbar zu sein. Ich sage: Ja, ich bin ein Freak – und was jetzt?“
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Man nimmt dem jungen Mann dieses Selbstbewusstsein sofort ab. Er strahlt es auch im Video zu seinem Song „Leaving“ aus, in dem er sich am Ende mit freiem Oberkörper zeigt. Dass seine Brust jetzt flach ist, habe ihm geholfen, sich in seiner Männlichkeit komplett zu fühlen. Sie bedeute Freiheit für ihn.
Zu diesem neu gewonnenen Freiheitsgefühl gehört auch, dass es auf „Marlon“ viel um Liebe und Sex geht. Im „F Song“ singt Mavi Phoenix etwa: „Lips so soft I get so lost/ Wanna kiss her slowly, wanna make love/ I need you to ride me so get on top/ I let you take the lead, let you be in charge/ For a change“. Genauso offen wie er hier seine Wünsche beschreibt, thematisiert der 26-Jährige auch Herzschmerz und Verzweiflung.
Der Schlüsselsong ist die Single „Leaving“, in der er zunächst nur von einer akustischen Gitarre begleitet über das Ende einer toxischen Beziehung singt. Mit großer Intensität wirft sich Mavi Phoenix in die Zeile „Believe me/ I’m leaving“ – und erklärt im Gespräch, dass das zum Entstehungszeitpunkt des Songs reines Wunschdenken war. „Ich war noch nicht so weit zu sagen: Du behandelst mich schlecht, ich gehe jetzt. Aber im Song habe ich so getan als sei ich schon an diesem Punkt. Das war mein Über-Ich. Und ich habe es dann auch geschafft, zu gehen.“
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Selbsttherapie und Selbstporträt – „Marlon“ ist beides. Mavi Phoenix zeigt sich auf dem Album in vielen Facetten, wobei seine neue, tiefere Stimme eine zentrale Rolle spielt. Benutzte er bei frühen Veröffentlichungen häufig den Autotune-Effekt, ist dieser inzwischen kaum noch präsent. Das starke Hochpitchen des Gesangs war eine Art Versteck, das Mavi Phoenix nicht mehr braucht.
Ihm gefällt seine Stimme und er gibt ihr viel Raum in den neuen Lieder. Deren testosteronbedingte war Veränderung auch mit Nervosität verbunden, wie er zugibt: „Es ist ein Sprung ins kalte Wasser. Obwohl du weißt, dass es krass wird, ist es dann noch mal krasser als du dir dachtest.“ Inzwischen erschreckt er sich, wenn er alte Aufnahmen mit seiner damals noch höheren Stimme hört.
Einige Töne sind nun allerdings außerhalb seiner Reichweite. Als Mavi Phoenix das beim Songschreiben bemerkte, griff er zur Gitarre. Mit ihr konnte er weiter in die Höhe fliegen, fand Melodien und einen ganz neuen Sound. Was aber nicht heißen soll, dass er dabei bleibt. „Es langweilt mich komplett, mich zu wiederholen“, sagt er. Vielleicht hebt Mavi Phoenix beim nächsten Album ja mit einem Klavier ab – und findet sogar einen Weg, das cool aussehen zu lassen.
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