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Bundesweites Queerfilmfestival: Zwischen Selbstfindung und Selbstzweifel
Eine Woche lang laufen beim Queerfilmfestival in 13 Städten aktuelle Spiel- und Dokumentarfilme. Mit dabei sind Werke von François Ozon, Elene Naveriani, Rosa von Praunheim und Uli Decker.
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Was für ein Ausblick! Das Café von Amnon (Gia Agumava) liegt direkt am Schwarzen Meer, nur ein paar Meter Strand trennen die Terrasse von den beständig heranrollenden Wellen. Das Gesprächsthema an diesem Sommernachmittag ist jedoch weniger malerisch: Eliko, einer der Stammgäste, hat sich erhängt. Ein Grüppchen von Dorfbewohnern diskutiert, was zu tun ist mit der Leiche „des Ach-so-Feinen“.
Eine Frau gibt zu bedenken: „Er hat sich umgebracht, aber er kann ja nicht selbst ins Grab springen.“ Jemand schlägt vor, ihn auf den Müll zu werfen oder an die Hunde zu verfüttern. Nach einer Weile reicht es Amnon: „Leute, seid ihr verrückt? Wer lässt denn einen Toten unbegraben verfaulen“, sagt er und verspricht, sich um die Beerdigung zu kümmern.
Amnon wirkt beherrscht, aber in seinem Innern sieht es anders aus. Denn für ihn war Eliko mehr als ein guter Gast. Wie genau sie zueinander standen, zeigt sich bald in dem von Elene Naveriani in ruhigen, langen Einstellungen inszenierten Drama „Wet Sand“, dessen warmherzige Lakonie an frühe Aki-Kaurismäki-Filme erinnert. Als Elikos Enkelin Moe (Bebe Sesitashvili) aus Tiblis in den Ort kommt, bildet sie mit ihren kurzen gefärbten Haaren, den Tattoos und ihrer coolen Art schon äußerlich einen Kontrast zur archaischen Dorfgemeinschaft.
„Wet Sand“ ist nach „Als wir tanzten“ von 2019 ein weiteres Beispiel für einen berührenden queeren Film aus dem seit jeher starken Arthouse-Land Georgien. Er gehört zu den Höhepunkten des „Queerfilmfestival“, das vom 8. bis 14. September 19 aktuelle Filme in 13 Städte bringt. Die Auswahl ist bunt gemischt und international, wobei trans Perspektiven allerdings weitgehend fehlen.
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Dafür beinhaltet das Programm eine Reihe starker Berlinale-Filme aus diesem Jahr. So sind etwa François Ozons Fassbinder-Hommage „Peter von Kant“, Mohammad Shawky Hassans poetische Collage „Soll ich dich einem Sommertag vergleichen“ sowie das harte israelische Drama „Concerned Citizen“ von Idan Haguel noch einmal zu sehen. Ebenfalls auf dem Spielplan steht Magnus Gerttens’ herausragender, mit dem Teddy Award ausgezeichneter Dokumentarfilm „Nelly & Nadine“ über eine lesbische Liebesgeschichte, die im Konzentrationslager Ravensbrück begann.
Ganz frisch ist das neue Werk von Rosa von Praunheim, der sich in „Rex Gildo – Der letzte Tanz“ mit einer Mischung aus Spielszenen, Interviews und Archivmaterial an den Schlagerstar annähert. Wunderbar aasig spielt Ben Becker darin die Rolle von Rex Gildos Manager und heimlichem Geliebten Fred Miekley. Ihn zeigt ihn von Praunheim als treibende Kraft beim Aufbau der heterosexuellen Scheinidentität des Sängers.
Gitte Hænning, die eine Zeitlang ebenfalls in dieses Konstrukt einbezogen war, gibt dem Regisseur dazu ein erfrischend herzliches Interview in ihrer Wohnung.

© Flare Film/Privatarchiv Familie Decker
Ein sehr persönlicher Dokumentarfilm kommt von Uli Decker. In „Anima – Die Kleider meines Vaters“ beschäftigt sie sich mit einem Geheimnis ihrer bayerischen Familie: Ihr 1936 geborener Vater Helmut, der im Alter von 62 Jahren bei einem Unfall ums Leben kam, zog seit seiner Jugend heimlich Frauenkleider an.
„Travestieren“ nennt der Hauptschullehrer das in seinen Tagebüchern, aus denen Decker, die als Kind selbst gegen die ihr aufgedrängten Mädchenkleider rebelliere, viel zitiert. Interviews mit ihrer Mutter und Schwester kombiniert die Regisseurin mit animierten Foto-Collagen und Archivbildern. So entsteht das dichte Psychogramm einer Familie, die ohne es zu wissen von der Selbstverleugnung des Vaters geprägt wurde.
Da haben es die jungen Menschen aus den Coming-of-Age-Film im „Queerfilmfestival“-Programm schon deutlich leichter. Ob in der englischen Komödie „Sweetheart“ oder den ebenfalls schon auf der Berlinale gezeigten Jugendfilmen „Girls Girls Girls“ aus Finnland oder „Sublime“ aus Argentinien – niemand hat hier große Identitätsprobleme. Rund um Liebe und Sex gibt es dafür zahlreiche Verwicklungen, da geht es den queeren Kids nicht anders als ihre Hetero-Freund*innen.
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