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Christian Pulz war Anfang der 80er Mitbegründer der Gruppe "Schwule in der Kirche – Arbeitskreis Homosexuelle Selbsthilfe" in der DDR.

© Wolfgang Beyer

Zum Tod des schwulen Aktivisten Christian Pulz: Er war ein Fels der Bewegung

Christian Pulz war einer der Mitbegründer der Lesben- und Schwulenbewegung in der DDR. Im Sommer wollte er den ersten East Pride mitorganisieren. Jetzt ist er überraschend gestorben. Nachruf eines Weggefährten.

In Plauen, einer Stadt im sächsischen Vogtland, wurde Christian Pulz am 14.12.1944 geboren, kurz vor dem Ende der einen und dann mitten hinein in die andere Diktatur in Deutschland. Je länger ich darüber nachdenke, desto stärker bin ich fasziniert, dass sich unter diesen Umständen ein Mensch so für sich selbst entscheiden konnte.

Auch wenn diese Entscheidung erst in der zweiten Hälfte bestimmend wurde, ist sein ganzes Leben davon überstrahlt, dass Christian ein Schwulenaktivist war. 1981 begann dieser Weg, ausgelöst durch das Buch „Coming out“ von Martin Siems. Das Thema des Buches war: Sei dein eigener Chairman! Es ging um homosexuelle Selbsterfahrung.

So begann die erste selbstbestimmte Gruppe von Homosexuellen in Leipzig mit einem Emanzipationsbuch aus dem Westen. Sie begann mit einem Buch aus dem Westen und sie begann in der Institution, die wie kaum eine andere für die Unterdrückung von Homosexualität und Verfolgung von Homosexuellen verantwortlich war, in der Kirche.

Es ist daraus nach 1982 eine staatsunabhängige Lesben- und Schwulenbewegung mitten in dieser anderen Diktatur in Deutschland entstanden. Und das war nur möglich, weil es die Evangelische Kirche gab. Und Christian Pulz wurde zu einem Fels dieser Bewegung.

Christian Pulz (4. v.l.) und „Schwule in der Kirche“ auf der Friedenswerkstatt 1983 in Ost-Berlin.
Christian Pulz (4. v.l.) und „Schwule in der Kirche“ auf der Friedenswerkstatt 1983 in Ost-Berlin.

© Christian Pulz

Ich habe Christian Pulz erst viel später 1997 in Berlin kennengelernt. Damals ging ich aufs Gymnasium und stand kurz vor meinem Coming out. Bei mir hat es kein halbes Leben gedauert. Aber doch war wesentliches noch immer wie in den 1960er Jahren bei Christian: Wir beide sollten Minderheit sein. Ich könnte hier vieles über Christians politisches Wirken für schwule Befreiung schreiben. Das ist in den letzten 25 Jahren so gut wie nicht geschehen. Ich bin aber sicher, dass es geschehen wird. Die Spuren, die er und viele andere hinterlassen haben, sind einfach da.

Ich schreibe über meine ganz persönliche Erfahrung, über die Wirkung, die Christian auf mich machte, auf einen jungen Mann aus einem atheistischen SED-Elternhaus. Ich begann in den späten 1990er Jahren zu spüren, dass ich in meiner Schulklasse nicht der einzige Junge sein konnte, der auf Jungs steht. Und ich ahnte schon, es ist das eine, sich als Junge zu anderen Jungs sexuell hingezogen zu fühlen, aber etwas ganz anderes, dazu auch offen zu stehen und es dann selber öffentlich zum Thema zu machen. Ich habe sehr früh – so mit 14, 15 Jahren die Erfahrung gemacht, dass eigentlich fast alle Jungs empfänglich für die erotische Ausstrahlungskraft von Jungs und Männern sind.

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Aber ansprechen durfte das niemand. Man konnte darüber Witze machen und es gab diese Spielchen, sich gegenseitig zu berühren, unter verschiedensten Vorwänden miteinander körperlich in Kontakt zu kommen. Ich war damals so naiv und habe mich in einen Klassenkameraden verliebt und es ihm auch noch gesagt. Denn auch er war immer ganz vorne dabei, wenn mal wieder diese Spielchen begannen.

Und für mich war ganz klar, dass kein so grundlegender Unterschied zwischen mir und ihm existierte, dass ich nicht offen über meine Gefühle sprechen könnte. Ich hatte ernsthaft erwartet, dass auch er über seine homosexuellen Gefühle sprechen würde. Es geschah nicht. Ich bin der einzige homosexuelle Junge in meiner Schulklasse geworden. Und das hat mich zornig gemacht. Meine Erfahrung sprach einfach ganz fundamental dagegen und ich konnte mich da selbst nicht betrügen. Mit meinem beginnenden homosexuellen Nachdenken war ich damals allein.

Es kamen Lehrer, die es gut meinten, Klassenkameraden, die Wert darauflegten, mit mir befreundet zu sein, aber es kam niemand, der sagte: Du ich bin auch wie du. Christian war der erste Mensch in meinem Leben, der mir sagte: „Ja, Wolfgang, ich habe das alles sehr ähnlich erlebt wie du. Ich glaube denen nichts!“ Wir beide wussten, die Welt hat ein großes Problem mit ihrer Homosexualität. Sie braucht uns als Minderheit, um sich weiterhin vor sich selbst zu verstecken. Sie braucht und gebraucht uns.

Christian hat mir gezeigt, was es bedeutet, schwul zu sein. Und er selber hat die Situation von Homosexuellen folgendermaßen auf den Punkt gebracht: „Die Homosexuellen sind für ihre Situation verantwortlich zu machen. Die Homosexuellen sind für ihre Situation nicht verantwortlich zu machen.“ Ich habe von ihm gelernt, dass homosexuelles Selbstbewusstsein mehr ist als das Bewusstsein, Teil einer Minderheiten-Community zu sein, dass es mir die Chance bietet, die Universalität der Menschenrechte ernst zu nehmen und für eine Welt zu kämpfen, in der es allen Menschen möglich wird, ohne Angst und Scham ihre homosexuellen Gefühle leben zu können.

Völlig überraschend ist Christian Pulz am vergangenen Donnerstagmorgen im Alter von 76 Jahren gestorben.

Wolfgang Beyer

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