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Betroffen sind meistens schwule Männer und trans Männer.

© imago/Thomas Eisenhuth

Zufluchtsort in Berlin: Erste Wohnung für zwangsverheiratete Männer

In vielen Ländern ist Zwangsheirat keine Seltenheit. In Berlin gibt es nun auch für betroffene Männer eine Zufluchtswohnung – aber es gibt schon Probleme mit der Miete.

Die Wohnung ist 155 Quadratmeter groß, hat fünf Zimmer, davon eines 40 Quadratmeter groß, und zwei Balkone; sie kostet monatlich 2000 Euro Miete und liegt am Rand von Berlin, irgendwo im Westteil. Das darf jeder wissen, diese Punkte stellen keine Gefahr dar.

Die genaue Adresse schon.

Die Wohnung ist ein Fluchtpunkt, Rettung für Menschen, die von Zwangsheirat oder wegen ihrer sexuellen Identität von Gewalt im Namen der Ehre bedroht sind. In bestimmten muslimischen Ländern ist Zwangsheirat für Männer keine Seltenheit. Vor allem wenn bekannt ist, dass sie homosexuell sind, werden sie davon bedroht. Homosexualität gilt bei vielen muslimischen Familien als Sünde und Schande. Deshalb ist die Adresse streng geheim. Eine Wohnung, die in Deutschland einmalig ist: formal eine Rettungsinsel für alle gefährdeten homo-, bi- und transsexuellen Menschen. In der Praxis aber werden dort vor allem homo- und bisexuelle Männer und Transsexuelle einziehen. Für sie gibt es in Berlin keine Fluchtwohnungen. Für Frauen gibt es zumindest Frauenhäuser.

Seit Jahren wurde nach einer Wohnung für gefährdete Männer gesucht

„Die Wohnung ist für uns ein Glücksfall“, sagt Christian Meyerdierks, der stellvertretende Vorsitzende des Kreisverbands Spree-Wuhle der Arbeiterwohlfahrt (AWO). Sein Kreisverband dient als Träger der Wohnung, er finanziert seit Mai die Miete. Nur sagt Meyerdierks auch: „Guten Gewissens kann ich diese Miete schon jetzt nicht mehr bezahlen.“

Denn: Die Wohnung steht leer.

Politik und Helfer arbeiten unterschiedlich schnell, das ist das Problem. Und Meyerdierks hat nun, ebenso wie Jörg Steinert, Berliner Chef des Lesben- und Schwulenverbands Deutschland (LSVD), Angst, dass die Wohnung bald für andere soziale Projekte verwendet werden muss. Weil die AWO die Miete nicht mehr bezahlen kann.

Der Vermieter hatte die Wohnung angeboten, sie solle für „soziale Zwecke genutzt werden“. LSVD und AWO griffen gerne zu, seit Jahren schon wird nach einer Wohnung vor allem für gefährdete homosexuelle Männer und Transsexuelle gesucht. Außerdem steht ja im Koalitionsvertrag, dass genau für Opfer von Zwangsheirat und sexueller Gewalt solche Krisenwohnungen eingerichtet würden.

AWO-Kreisverband zahlt Miete noch bis September

Es steht nur nicht drin, wann.

Der AWO-Kreisverband griff bei dem Angebot sofort zu und bezahlt seither die Miete. „Allerdings“, sagt Meyerdierks, „ist das nur bis September möglich.“ Dann geht das Geld aus, und die Wohnung ist weg. Eine Querfinanzierung durch den AWO-Landesverband ist nicht möglich, der hat dafür kein Geld. Und im aktuellen Haushalt der rot-rot-grünen Regierung ist für so eine Wohnung kein Geld eingeplant. Allein die Frage, wer überhaupt für so eine Wohnung politisch zuständig ist, beschäftigte drei Senatsverwaltungen monatelang. „Bei diesem Vorhaben überschneiden sich Handlungsfelder, die in verschiedenen Senatsverwaltungen mit ihren jeweiligen Förderprogrammen und Finanzierungsmöglichkeiten angesiedelt sind“, teilt Michael Reis, Pressesprecher der Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung, mit. Endlich ist klar: Justizsenator Behrendt (Grüne) ist verantwortlich.

Und die Miete?

Künftig Unterstützung über Klassenlotterie

Soll jetzt über die Klassenlotterie finanziert werden. „Ursprünglich“, sagt Reis, sollten die Mittel für solche Zufluchtswohnungen „für den Doppelhaushalt 2020/2011 eingeplant werden“. Damit, dass plötzlich so eine Wohnung auf den Markt kommen könnte, hatte offenbar niemand gerechnet. „Die Senatsverwaltung unterstützt die Träger dabei, die Krisenwohnung zunächst als Modellprojekt mit Finanzierung aus Mitteln der (...) Klassenlotterie zu realisieren“, sagt Reis.

Aber noch ist nicht gesichert, dass die Mittel auch fließen, deshalb sind Meyerdierks und Steinert erst mal zurückhaltend. Insgesamt 600.000 Euro haben sie bei der Klassenlotterie beantragt, damit könnte die Wohnung dreieinhalb Jahre finanziert werden. Teil der Gesamtkosten sind die Gehälter für zwei Sozialarbeiter.

Maximal fünf Menschen in der Wohnung

Erst wenn die Lotteriegelder bewilligt sind, dürfen maximal fünf Personen in die Wohnung einziehen. Der Bedarf ist auf jeden Fall da. 2017 haben sich zehn gefährdete Personen beim LSVD gemeldet, 2018 zwei. Sie brauchen dringend Schutz. Bisher wird den Männern und Transsexuellen schnellstmöglich ein Umzug in eine andere Stadt ermöglicht. Der LSVD würde der AWO empfehlen, wer Schutz in dieser Wohnung benötigt, letztlich aber entscheidet dann die AWO.

Aber einen Trost hat Meyerdierks auf jeden Fall. „Andere Projekte der AWO Spree-Wuhle leiden nicht darunter, dass wir im Moment für eine leere Wohnung bezahlen.“ Die Miete kommt aus Rücklagen.

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