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Immer wieder wurde Sina vor Gericht mit dem Deadname angesprochen.

© Foto: PantherMedia/Andriy Popov

Gericht misgendert trans Frau: „Bevor ich meine Identität verleugne, sitze ich lieber die Haft ab“

Sina weigerte sich, die Kosten für ein Gerichtsverfahren zu tragen, in dem sie wiederholt misgendert wurde. Nun droht ihr im schlimmsten Fall sogar Haft.

Schulen, Ämter und Gerichte – es gibt zahlreiche öffentliche Institutionen, in denen trans und nicht binäre Personen regelmäßig von Diskriminierung betroffen sind. Häufig werden sie mit dem falschen Namen angesprochen oder ihnen wird ihre Geschlechtsidentität abgesprochen.

Wie weit diese Diskriminierung reichen kann, verdeutlicht der Fall der trans Frau Sina. Sie weigerte sich, die Kosten für ein Gerichtsverfahren zu tragen, in dem sie wiederholt absichtlich misgendert wurde. Nun droht im schlimmsten Fall sogar eine Beugehaft.

Sina heißt eigentlich anders, möchte aber vorerst anonym bleiben. Zu groß sei die Angst, sagte sie dem Tagesspiegel. Sie schläft seit Wochen bei Bekannten und Freund*innen, weil sie Sorge hat, festgenommen zu werden. „Mittlerweile haben sie sogar meinen Bausparvertrag gepfändet, weil sie offenbar festgestellt haben, dass sie meinen Protest mit Erzwingungshaft nicht brechen können.“ 

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Das Namensänderungsverfahren kann sich über Jahre ziehen

Alles begann damit, dass Sina in einem gerichtlichen Verfahren wiederholt als Mann bezeichnet und mit dem abgelegten Namen angesprochen wurde, dem sogenannten Deadname. Begründet wurde das mit der fehlenden Vollstreckungsfähigkeit, denn in Gerichtsverfahren müssen die jeweiligen Parteien möglichst konkret bezeichnet werden, um identifizierbar zu sein.

Erst wenn das formale Namensänderungsverfahren nach dem sogenannten Transsexuellengesetz abgeschlossen sei, könne Sina den Rechtsstreit unter ihrem richtigen Namen führen, argumentierte das Gericht. 

Dieses Verfahren kann sich jedoch über viele Jahre ziehen, deshalb nutzt Sina ihren richtigen Namen bereits als Pseudonym und besitzt darüber hinaus einen Ergänzungsausweis. Dieser enthält alle selbstgewählten personenbezogenen Daten und wird von Innenministerien, Polizei und den meisten Behörden akzeptiert. 

Gegen die Argumentation des Gerichts reichte Sinas Rechtsanwalt einen Antrag ein, der dem Tagesspiegel vorliegt. Darin heißt es: „Tatsächlich kann auch bereits vor einer Namensänderung in dem Personenregister der Klägerin der tatsächlich bereits im Alltag geführte Name genutzt werden, solange die Klägerin identifizierbar ist.“ Das sei bei Sina der Fall: Schufa, Finanzamt, Führerscheinstelle und weitere Institutionen verwenden ihren richtigen Namen bereits.

Der Rechtsanwalt berief sich auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht und Grundgesetz und bezog sich auf Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes. Dieses entschied bereits in der Vergangenheit, dass die Übereinstimmung von Namensgebung und Geschlechtsidentität erstrebenswert sei.

Auch die Kostenrechnung wurde an „Herr“ adressiert

„Bei der Akzeptanz des neuen Namens handelt es sich um eine Geste des Respekts und um die Anerkennung der Grundrechte der betreffenden Person, insbesondere des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes und der Menschenwürde“, lautete die Schlussfolgerung.

Für trans Frauen ist das eine Beleidigung.

Sina

Das Gericht zeigte sich davon allerdings unbeeindruckt und verfasste auch den darauffolgenden Gerichtsbeschluss in männlicher Form. „Für trans Frauen ist das eine Beleidigung“, sagt Sina. Auch die Kostenrechnung wurde an „Herr“ adressiert, sodass Sina sich weigerte, den Brief anzunehmen.

Zwischenzeitlich übermalte der Gerichtsvollzieher die Anrede „Herr“ zwar mit einem weißen Tippex – vermutlich, damit Sina den Brief doch annahm - erhielt daraufhin aber eine Strafanzeige wegen Urkundenfälschung. Erst im Oktober 2021, als das Anschreiben schließlich an „Frau Sina“ adressiert war, nahm diese den Brief an. 

Sina fragt sich, in welches Gefängnis sie müsste

Weil Sina über Monate nicht die Kosten als „Herr“ beglichen hatte, war dem Brief ein Haftbefehl beigelegt, der die Anrede „Herr .. alias Frau ..“ enthielt. „Ich habe ihn meinem Rechtsbeistand gezeigt, der in Gelächter ausbrach, weil es die ganze Unfähigkeit des Rechtsstaates zeigt, mit dem Thema umzugehen. Wir haben dann Beschwerde eingelegt“.

Was folgte, waren zahlreiche weitere Briefe mit Formulierungen wie „Herr/Frau..“ oder „Herr .. auch .. Frau..“ oder „Herr .. alias Frau ..“ . Sie sei deshalb stur geblieben, sagte Sina. „Das Gericht argumentierte mit fehlender Vollstreckungsfähigkeit, also kann auch der ausgestellte Haftbefehl logischerweise nicht vollstreckt werden.“ 

Sie frage sich außerdem, in welches Gefängnis sie theoretisch müsste. In das für Frauen, da sie selbst eine Frau ist, oder in das für Männer, weil der Haftbefehl an „Herr“ adressiert ist. Zumindest in Berlin sind seit vergangenem Jahr Einzelfallentscheidungen möglich, sodass trans, intergeschlechtliche und nicht binäre Personen mitbestimmen können, ob sie in die Haftanstalten für Männer oder für Frauen kommen.

Auch in der Justizvollzugsanstalt Moabit in Berlin wurden die Haftbedingungen verbessert.
Auch in der Justizvollzugsanstalt Moabit in Berlin wurden die Haftbedingungen verbessert.

© dpa/ Paul Zinken

In anderen Bundesländern hängt es immer noch davon ab, ob sie ihren Geschlechtseintrag und ihren Namen offiziell geändert haben. Die trans Frau Diana O. etwa musste im Jahr 2019 mehrere Monate im Männergefängnis von München-Stadelheim verbringen, mit der Begründung, dass ihre geschlechtsangleichende Operation nicht vollzogen sei. 

Zusammenhang zwischen Misgendern und Depressionen

„Immer wieder passiert dasselbe auch an Schulen, Universitäten, Arbeitsstellen und vor allem in Behörden“, kritisiert Sina. „Dieser Zustand darf so nicht bleiben.“ Eigentlich entschied das Bundesverfassungsgericht, dass es die Grundrechte einer trans Frau verletze, wenn sie mit dem männlichen Pronomen angesprochen wird.

Dennoch erleben trans Personen in Deutschland bis heute gerade in Behörden häufig Diskriminierung. Welche psychischen Auswirkungen das haben kann, zeigt eine Studie des VLSP: Darin wird ein Zusammenhang zwischen Misgendern und psychischem Stress, Ängsten sowie Depressionen hergestellt. Umgekehrt könne „die Verwendung des zur Geschlechtsidentität passenden Vornamens in möglichst vielen Lebensbereichen depressive Symptome sowie Suizidgedanken und –handlungen deutlich senken“. 

Sina beschreibt sich selbst als einen toleranten Menschen, der es anderen nachsieht, wenn diese sie versehentlich misgendern. „Aber wenn es von staatlicher Seite kommt und dann noch vorsätzlich und mit solch hanebüchenen Argumenten, da verstehe ich es, wenn die queere Gemeinschaft ihr Vertrauen in den Rechtsstaat verliert.“

Man habe bei den Stonewall Proteste in New York gesehen, mit wie viel Entschlossenheit Menschen um ihre Identität kämpften. Und das will Sina nun auch tun, denn: „Bevor ich meine Identität verleugne, sitze ich lieber die Haft ab.“ Das Einzige, was der Staat trans Personen nicht nehmen könne, sei ihre Würde. „Und die nehme ich notfalls mit ins Gefängnis oder ins Grab.“ 

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