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Die Polizei wird aufgefordert, bei lesbenfeindlicher Gewalt genauer hinzuschauen.

© imago/Müller-Stauffenberg

Lesbenfeindliche Vorfälle in Berlin: „Gewalt wird häufig bagatellisiert oder nicht als solche wahrgenommen“

Das Antigewaltprojekt L-Support veröffentlicht die bei ihm gemeldeten Fälle lesbenfeindlicher Übergriffe. Die meisten ereignen sich im öffentlichen Raum.

Lesbenfeindliche Gewalt macht in der Pandemie keine Pause. Das zeigen die Fallzahlen von 2020, die das lesbisch-queere Antigewaltprojekt L-Support bekannt gegeben hat. So sind im vergangenen Jahr insgesamt 39 Meldungen von lesbenfeindlicher Gewalt bei L-Support eingegangen, drei mehr als im Vorjahr. 37 davon zeigten ein klar erkennbares lesbenfeindliches Motiv und 33 ereigneten sich in Berlin.

Aus der Auswertung von L-Support, die sich auf die 33 Fälle in Berlin bezieht, geht hervor, dass 23 Fälle im Jahr 2020 geschahen und zehn Fälle sich zwischen 2011 und 2019 ereigneten. Der Großteil der Betroffenen identifiziert sich als weiblich und homosexuell. Erstmals gingen außerdem Meldungen lesbenfeindlicher Gewalt von Frauen ein, die sich als heterosexuell bezeichnen. Die meisten Täter wurden als männlich wahrgenommen.

Die Übergriffe ereigneten sich größtenteils in Alltagssituationen, also zum Beispiel beim Einkaufen oder auf der Straße, aber auch rund um lesbische oder queere Veranstaltungen wie dem Dyke* March oder dem CSD.

„Ein weiterer wichtiger Kontext ist der öffentliche Nahverkehr“, sagt Projektleiterin Sabine Beck, „und nur einzelne Fälle ereigneten sich im persönlichen Umfeld der Betroffenen.“ Auffällig sei, dass in elf von 33 Fällen Anzeige erstattet worden sei, sagt Beck. „Das ist eine deutliche Steigerung zum Vorjahr, wo nur drei von 29 Fällen angezeigt wurden.“

Für viele ist Gewalt ein Teil des Alltags

Betroffenen berichteten oft von homofeindlichen oder lesbenfeindlichen Beleidigungen, die häufig mit Sexismus einhergingen. Aber auch „abwertende Gesten und Blicke“ wurden genannt und einige Betroffene berichteten, dass sie angespuckt worden seien. Seltener ist die Rede von „Verfolgung und körperlicher Gewalt“. Die meisten Betroffenen seien wütend und traurig und fühlen sich machtlos, so Beck, „Und diese Gefühle zeigen uns vor allem, dass sogenannte kleinere Übergriffe wie Beleidigungen oder drohende Gesten oder Blicke eine nicht zu unterschätzende Auswirkung auf das Leben der Betroffenen haben.“

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Für viele lesbische und queere Frauen sei Gewalt „Teil des Alltags“, doch nur wenige Personen würden die Vorfälle melden. Aus diesem Grund wird das Dunkelfeld auf über 90 Prozent geschätzt. Das liege auch daran, dass Gewalt bagatellisiert werde, sagt Beck.

Viele Betroffenen berichten außerdem, dass ihnen die Schuld für die erlebte Gewalt gegeben werde. Es sei deshalb umso wichtiger, dafür zu sensibilisieren, dass es sich nicht nur um „einen blöden Spruch“, sondern um eine „ernsthafte Gewalttat“ handle. Die Gewalt führt nämlich oft dazu, dass viele Personen sich nicht offen sichtbar zeigen, also zum Beispiel nicht die Hand der Partnerin hielten.

Aufgrund von Gewalterfahrungen zeigen sich nicht alle lesbischen und queeren Personen offen sichtbar.
Aufgrund von Gewalterfahrungen zeigen sich nicht alle lesbischen und queeren Personen offen sichtbar.

© L-Support

Keine persönliche Sensibilisierungsarbeit

Durch die Pandemie wurde die Arbeit von L-Support stark eingeschränkt. Die Öffentlichkeitsarbeit musste ins Internet verlagert werden und persönliche Sensibilisierungsarbeit ist nicht mehr möglich. „Das lesbisch-queere Leben ist viel unsichtbarer geworden als es sowieso schon war“, sagt Beck. Denn auch viele Szeneortn kämpfen ums Überleben.

L-Support geht davon aus, dass die Pandemie die Zahl der Fallmeldungen negativ beeinflusst. „Das Bewusstwerden, was Gewalt überhaupt ist, geschieht oft erst im persönlichen Gespräch. Wir machen häufig die Erfahrung, dass Gewalt bagatellisiert oder gar nicht als solche wahrgenommen wird.“, sagt Beck. Deshalb sei der persönliche Kontakt zu Betroffenen besonders wichtig. „Der entfällt aber und das zeigt sich auch in der Statistik.“

Bessere Sicherheitskonzepte

Lesbenfeindliche Gewalt sollte Beck zufolge als gesamtgesellschaftliches Problem anerkannt werden. Wichtig seien bessere Sicherheitskonzepte für den öffentlichen Raum. Dazu gehört beispielsweise die Sensibilisierung von Sicherheitskräften. Außerdem sollte die Sichtbarkeit von geschlechtlicher und sexueller Vielfalt in den Medien, der Politik und der Bildung erhöht werden, um Vorurteilen entgegenzuwirken.

Beck hebt außerdem die Bedeutung von Zivilcourage hervor: „Es passiert immer noch zu selten, dass Passant*innen sich einschalten, wenn Gewalt passiert.

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