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Der Berliner Sebastian Raetzel, 37. "Hot Shots", das siebte Album seiner Band The Baseballs, soll im Mai erscheinen.

© Sven Sindt/Sony

Interview mit Sänger Sebastian Raetzel: „Niemand sollte sich outen müssen“

Sebastian Raetzel ist offen schwul, Schlagersänger und Frontmann der Rock’n’Roll-Band The Baseballs. Ein Gespräch über Homophobie, Russland und die Pandemie.

Herr Raetzel, in der Filmbranche trauen sich viele queere Schauspielerinnen und Schauspieler nicht, sich zu outen. Wie sieht das im Popgeschäft aus?
In der Musikbranche wird auch nicht immer offen mit der eigenen Homosexualität umgegangen. Besonders zu Beginn der Karriere. Der DJ Felix Jaehn hat sich erst nach vielen Jahren als bisexuell geoutet. Matt Stoffers von der Band Feuerherz outete sich erst kürzlich, nachdem sich die Gruppe aufgelöst hatte.

Es ist schon so, dass unsere Gesellschaft als sehr offen wahrgenommen wird – es aber oft gar nicht ist. Ich finde es schade, dass Homosexualität immer noch so ein großes Thema ist. Ich hoffe, dass sich das ändert. In Berichten liest man häufig „der homosexuelle Sänger“, ich habe noch nie „der heterosexuelle Sänger“ gelesen. Es kommt allerdings auch darauf an, in welchem Genre man unterwegs ist. Im Disco-Pop hat man es einfacher als als Heavy-Metal-Künstler oder Rapper.

Woran liegt das?
Auf der einen Seite sicher am jeweiligen Management, das Angst hat, dass sich ein Coming-out negativ auf die Verkäufe auswirken könnte. In den eben genannten Genres dominieren nun mal bestimmte Männer-Stereotype. Ich kann mir gut vorstellen, dass da der ein oder andere Fan es nicht toll fände, wenn sein Idol auf einmal schwul ist.

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Auch Boybands haben Probleme: Die weiblichen Fans könnten enttäuscht sein, wenn auf einmal die ganze Band schwul ist. Auf der anderen Seite steht da natürlich die persönliche Ebene. Niemand sollte sich outen müssen. Wenn es jemand für sich behalten möchte, ist das absolut legitim.

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Wie war das bei Ihnen?
Unser Start als Band liegt bereits elf Jahre zurück. Das war noch eine ganz andere Zeit. Wir sind im Rock’n’Roll unterwegs. Vor allem als wir international durchgestartet sind, gab es die Überlegung, wie weit ein offener Umgang mit meiner Sexualität sinnvoll ist. Unser erstes Management hat vor unserer ersten Veröffentlichung durch Zufall von meiner Homosexualität erfahren und direkt bei der Plattenfirma angerufen. Es stand kurzzeitig sogar die Überlegung im Raum, ob ich aus der Band gekickt werde – auch wenn das unmöglich gewesen wäre.

Wie haben Sie reagiert?
Ich habe erst später davon erfahren und war sehr sauer. Heute haben wir Gott sei Dank ein sehr tolles Management, mit dem wir sehr offen über alles sprechen können. Wir hatten aber auch damals nie die Situation, zu irgendetwas gezwungen zu werden, irgendetwas verheimlichen zu müssen oder nicht sagen zu dürfen.

Und die Plattenfirma?
Denen war das komplett egal. Für die Plattenfirma fiel das Thema total aus der Zeit. Dazu muss ich sagen, dass unser erstes Management schon sehr lange in dem Business unterwegs war. Von der alten Schule. Man hatte scheinbar einen anderen Umgang mit dem Thema als wir.

Wie sind Sie als Band damit umgegangen?
Wir haben uns schon gefragt, wie offen wir mit dem Thema umgehen. Ob das nicht Auswirkungen auf bestimmte Märkte hat – Russland zum Beispiel, wo wir immer sehr erfolgreich waren. Ich bin der Meinung, dass man durchaus in diesen Ländern, wo Homofeindlichkeit eine Rolle spielt, auftreten sollte. Wenn wir nämlich anfangen, uns nicht mehr mit anderen Kulturen auszutauschen, dann werden wir den Leuten dort nicht helfen können und somit der Anti-Homo-Propaganda in die Hände spielen.

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Deshalb war es mir dort auch wichtig, ein Statement abzugeben. Ich habe mir ein T-Shirt gekauft, auf dem in kyrillischer Schrift „Homo-Propaganda“ stand. Ein Wink auf das entsprechende russische Gesetz. Ein Foto, auf dem ich das Shirt trage, habe ich mit der Bildunterschrift „From Russia with Love“ gepostet.

Anhand der Reaktionen konnte ich sehen, dass ich damit einen Nerv getroffen habe und einigen russischen LGTBQI*-Fans Mut gemacht habe – auch wenn ich persönlich nicht so viel riskiert habe. Ich kann mir nicht vorstellen, in so einem Land zu leben. Das muss schlimm sein.

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Und dann?
Ich habe es erst einmal unkommentiert gelassen. Es gab Diskussionen, ob es ein Coming-out oder ein Menschenrechtsstatement war. Ich hatte nie das Bedürfnis, ein großes Thema aus meiner Sexualität zu machen. Wir waren nie eine Boulevardband, fanden nicht groß in den Klatschmagazinen statt. Bei uns stand immer die Musik im Fokus. Zu dem Zeitpunkt war ich 30.

Mit 17 habe ich mich bei meiner Familie und Freunden geoutet. Das medial noch mal aufzuarbeiten, fand ich sinnlos. 2015 bin ich allerdings mit meiner Fußballmannschaft schwuler Europameister geworden. Anschließend habe ich einem schwulen Magazin ein Interview gegeben, in dem wir meine Sexualität gar nicht direkt thematisiert haben, aus dem Kontext wurde sie aber klar. Zu der Zeit hatten wir kein Album zu promoten. Ich wollte das nicht für Werbung nutzen. Damit war das Thema für mich vom Tisch.

Gab es negative Konsequenzen?
Wir spielen weiter in Russland, wir spielen weiter in Polen. Mein Management hatte keine Befürchtungen. Man weiß natürlich nie, wer uns jetzt nicht mehr bucht oder unsere Platten nicht mehr kauft. Zu 100 Prozent kann man das nicht sagen. Bewusst habe ich aber keine Veränderung wahrgenommen. Außer: In Russland haben wir ein sehr schwules Publikum. Auf den ein oder anderen Markt hat sich das vielleicht sogar positiv ausgewirkt, was natürlich eine subjektive Wahrnehmung ist. Ich glaube aber schon, dass man mehr gewinnt als verliert.

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Apropos verlieren. Gerade gehen Ihrer Band durch die Corona-Pandemie die Einnahmen flöten. Wie geht Sie damit um?
Was für eine Überleitung! Ich spreche jetzt wahrscheinlich für alle Kulturschaffenden: 2020 ist ein Horror-Jahr. Mein letzter regulärer Gig war am 16. November 2019. Normalerweise wäre es im März wieder losgegangen. Allerdings wurde alles abgesagt, und es sieht auch nicht so aus, als würde es besser werden.

Wir mussten unsere Tour für 2020 zweimal verschieben. Wirtschaftlich lohnte sich das nicht. Die Leute sind verständlicherweise sehr zurückhaltend, was Ticketkäufe angeht. Die Veröffentlichung unseres Albums „Hot Shots“' mussten wir ebenfalls verschieben.

Viele Bands haben trotzdem Musik veröffentlicht.
Das sind Kolleg*innen, die im Streaming wesentlich erfolgreicher sind. Für die lohnt sich das wirtschaftlich. Wir machen 95 Prozent unserer Einnahmen durch Live-Shows. Und die entfallen momentan komplett, und uns fehlen dazu noch die Flächen, um das Album zu promoten. Der Staat ist auch keine Hilfe. Betriebskosten haben wir keine, da bleibt nur die Grundsicherung. Also Hartz IV. Sehr viele Kolleg*innen konnten nicht in ihrem Beruf bleiben, sind nun arbeitslos oder mussten umschulen. Das ist sehr schade.

Was schätzen Sie, wie lang die Situation noch andauern wird?
Bestimmt noch ein Jahr. Selbst wenn jetzt ein Impfstoff auf den Markt kommt, dauert es noch mindestens bis zum Frühjahr, bis wir damit durch sind. Der Festivalsommer würde trotzdem ausfallen. Es bleibt nicht genug Zeit, um die Tickets zu verkaufen. Ganz abgesehen davon, welche Budgets die Veranstalter nun haben, um Bands zu buchen. Selbst wenn etwas stattfindet, werden wir weit von einem Festivalsommer wie 2019 entfernt sein.

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