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„Queere Literatur ist keine Nische“: Berliner Festival widmet sich dem Thema Coming-out
Das Literarische Colloquium Berlin startet ein dreitägiges Programm zum Coming-out. Anne Hetzer vom Kuratierungsteam erklärt, was die Gäste erwartet – und was hinter „Inviting-in“ steckt.
Stand:
Das Literarische Colloquium Berlin (LCB) widmet sich in einem Festival dem Coming-out in der Literatur. Warum das Thema?
Das LCB hat eine gewisse Tradition mit spezifisch queeren Themen. Es gab etwa ein Festival zu Empfindlichkeiten, zum Cruising (der Suche schwuler Männer nach einem Sexpartner, Anm. d. Red) und jetzt zum Coming-out. Es geht viel um die Frage, wie Erfahrungen als queere Person zusammenhängen mit dem eigenen Schreiben. Wir berücksichtigen nicht nur literarische Werke, sondern zum Beispiel auch den Film.
Im Film hat man das Gefühl, dass Coming-out-Dramen längst auserzählt sind. Inwieweit ist das in der Literatur anders?
Der Film ist ein mächtiges Medium, gerade auch für queere Themen. Wir schauen, wie junge Filmschaffende auf das Coming-out blicken, welche Vorbilder es gibt und welche Rolle öffentliche Outings spielen. Gerade im Mainstream-Bereich habe ich das Gefühl, dass das Thema oft noch neue Impulse bekommt. Aber wir sprechen auch über Beispiele aus dem Dokumentar- und Experimentalbereich – und wir beleuchten das Thema Porno. Das wird oft marginalisiert und dämonisiert, gehört aber zentral mit in die Diskussion, gerade wenn es um Körper, Sexualität und Begehren geht.
Und gibt es Parallelen vom Film zur Literatur?
Eine spannende Frage ist, wie Film und Literatur sich gegenseitig beeinflussen. Schriftsteller*innen gucken auch Filme. Literarisch werden wir die Rolle von Archiven diskutieren und sicher das große Thema Autofiktion, das gerade in der queeren Community eine Tradition hat. Ich denke zum Beispiel an Leslie Feinberg, Jan Morris oder Charlotte von Mahlsdorf. Es gibt aber auch viele andere Erzählweisen, das ist uns wichtig zu betonen. Einen Fokus legen wir auf die Frage nach dem aktivistischen Potenzial von Literatur. Ein Coming-out ist in einer cisgeschlechtlich-heteronormativen Gesellschaft immer auch politisch.
Neben Coming-out setzt das LCB auf den Begriff Inviting-in. Was ist damit gemeint?
Coming-out bedeutet vielleicht in etwa sowas: Eine Person kommuniziert ihre Sexualität, ihre Geschlechtsidentität nach außen und setzt sich damit ein Stück weit auch der Reaktion von anderen aus. Da gibt es verschiedene kritische Punkte, etwa: Ist das wirklich ein einmaliges Ereignis oder doch ein langer Prozess? Der Begriff des Inviting-in kommt aus der postkolonialen Theorie und sieht den Vorgang stattdessen eher so: Menschen werden eingeladen, zuzuhören und etwas sehr Persönliches zu erfahren. Gleich zu Beginn des Festivals gibt es eine Diskussionsrunde zu den Begriffen und ihren Perspektiven.
Was ist Ihr Lieblings-Coming-out in der Literaturgeschichte?
Gute Frage. Das letzte Buch von Jayrôme C. Robinet hat mich zum Beispiel sehr beeindruckt. Es erzählt witzig, traurig, poetisch den vielschichtigen Prozess seiner Transition. Jetzt erscheint sein neuer Roman, darauf freue ich mich schon.
Beim Festival treten rund 50 Autor*innen mit ganz diversen Hintergründen auf. Können Sie dennoch Gemeinsamkeiten erkennen?
Überschneidungen werden wir sicher sehen, aber das Festival lebt von der Vielfältigkeit der Ansätze. Was wir auch zeigen wollen: Queere Literatur ist keine Nische, sondern findet mitten in der Literaturlandschaft statt. Wir freuen uns auf ein großes queeres Publikum, aber es sind wirklich alle literaturinteressierten Menschen eingeladen zu kommen und zuzuhören.
Sie sind selber Lyriker*in und haben unter anderem ein Gedicht mit dem Anfang „Wie lesbisch sind Deine Gedichte?“ geschrieben. Ich hatte beim Lesen das Gefühl, dass Sie die Frage doof finden. Stimmt der Eindruck?
Mich hat die Frage erstaunt und ins Denken gebracht – insofern, als mich genau das umgetrieben hat: Was bedeutet die Identität der Autor*in fürs Schreiben? In „Pandoras Playbox“, dem Band, der angesprochen ist, arbeite ich relativ explizit mit lesbischem Begehren und genderfluiden Körpervorstellungen. Ich habe aber auch andere Texte geschrieben – was heißt das dann für die?
Andererseits haben Sie eine Anthologie zu queerer Lyrik mitherausgegeben. Was ist eigentlich das spezifisch Queere an Lyrik?
Es ist an der Zeit, genau das herauszufinden. Wie verändert sich die allgemeine Literaturlandschaft dadurch, dass queere Lyrik und Literatur insgesamt eine größere Aufmerksamkeit bekommt? Ich bin noch dabei, nach Antworten darauf zu suchen. Es scheinen auch viele Erwartungen im Spiel zu sein: Oft wird davon ausgegangen, dass queere Autor*innen irgendwie über Erotik schreiben. Was ist, wenn sie über Blumen schreiben? Andererseits steckt für mich viel Kraft darin, Sexualität, Körper, Begehren, Erotik, Geschlechtsidentität zu thematisieren. Das ist eine große Stärke von queerer Literatur, und zwar eine subversive Stärke.
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