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Queere Geschichte im Unterricht: „Schule ist kein geschlechtsneutraler Ort”
Der FU-Geschichtsdidaktiker David Gasparjan über heteronormative Lernmaterialien, das Projekt "queerhistoryLab" und queere Stadtspaziergänge.
Stand:
David Gasparjan ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Projekt "K2teach – Know how to teach" an der FU Berlin, das im Zuge der Qualitätsoffensive Lehrerbildung aus Mitteln von Bund und Ländern finanziert wird.
Die Internetplattform queerhistory@FU-Berlin ist in der zweiten Förderphase von K2teach von ihm und Geschichtsdidaktik-Professor Martin Lücke konzipiert worden und bietet Bildungsangebote zu queerer Geschichte.
Die Schule hat wieder begonnen. Kommen queere Themen im Unterricht zu selten oder zu oft vor?
Die Vielfalt an Geschlechter-Rollen, Familien-Formen oder Lebensweisen wird kaum bis gar nicht thematisiert. Diese Unsichtbarkeit wird sogar in einer Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes von 2017 als eine Herausforderung an den Schulen genannt.
Die fehlende Auseinandersetzung hat direkte Auswirkungen auf die Lebenswelt von Schüler*innen. Es führt zu geschlechtsspezifischen Diskriminierungen, und für viele Schüler*innen ist es im Kontext Schule fast unmöglich sich frei zu entfalten.
Woran liegt das?
Schule ist kein geschlechtsneutraler Ort. Durch schulische Curricula, Lernmaterialien und -methoden sowie Interaktionen zwischen Lehrer*innen und Schüler*innen werden hierarchisch-heteronormative Strukturen und eine binäre Geschlechtervorstellung im Schulalltag stetig reproduziert.

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Schauen wir uns die Schulbücher an. Ein Beispiel ist ein Geschichtsbuch aus dem Jahr 2017. Dort finden wir zum Thema Gleichstellung nur Quellen und Sachtexte von und über weiße cis Männer. Schulmaterialien sollen aber multiperspektivisch konzipiert werden, ein respektvoller Umgang im Kontext Schule sichergestellt werden.
Für die Lehrer*innen sollte es zudem noch sehr viel mehr Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten zu Gender und Diversity geben.
Sie erforschen das "historische Genderbewusstsein" von Lehramtsstudierenden in der Geschichte. Was kann man darunter verstehen und wie ist es darum bestellt?
Das bedeutet, ein Bewusstsein dafür zu haben, dass sich die Auffassung von Geschlecht und Geschlechterverhältnisse ändert – in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Schüler*innen sollen eigenständig Geschlechterverhältnisse erkennen und reflektieren können, auch außerhalb des schulischen Kontexts – etwa wenn sie genderspezifische Plakate im Supermarkt sehen.
Zu meinen Student*innen: Es gibt Motivation und Neugier auf das Thema. Das Wissen, wie sie das dann theoretisch und didaktisch in ein Unterrichtskonzept integrieren können, fehlt ihnen oft noch. Ich beobachte aber auch, dass einige sich schon ausführlich damit befasst haben.
Euer Projekt entwickelt Unterrichtseinheiten zu queerer Geschichte. Können Sie Themenbeispiele nennen?
Es geht um historische Themen aus dem 19. und 20. Jahrhundert. Das geht von Geschlecht und Macht im Osmanischen Harem bis zur modernen Empfängnisverhütung. Die Unterrichtseinheiten können für den Geschichts- und Politikunterricht ab der 7. Klasse verwendet werden, in der Sekundarschule und im Gymnasium.
Einzelne Bausteine können auf andere Fächer übertragen werden, wie Biologie und Gesellschaftslehre. Die Unterrichtsentwürfe und -module findet man übrigens auf unserer Internetplattform queerhistory@FU-Berlin.
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Wie sind Reaktionen von Schüler*innen auf die Unterrichtseinheiten?
Meistens positiv, das kommt gut an. Während des Projekts habe ich das "queerhistoryLab" entwickelt, dort entwerfen die Studierenden eigenständig Unterrichtsentwürfe und erproben sie an Schüler*innen-Gruppen. Wir laden dann Klassen ein und unterrichten sie hier. Die Klassen sind ziemlich dynamisch.
Wir richten auch Pufferzonen ein, falls es zu diskriminierenden Verhalten kommt, um zu benennen, welche Problematiken unter Umständen vorliegen. Dieser Worst Case kam bisher aber nur einmal vor.
Die Uni bietet auch queere Stadtspaziergänge zum Download an. Was steckt dahinter?
Bisher wird hier das schwul-lesbische Berlin der 1920er Jahre behandelt, es geht an elf Stationen kreuz und quer durch die Stadt. Das richtet sich eigentlich auch an Schülerinnen und Schüler, um deren Wissen räumlich zu vertiefen.
Die Stadtrundgänge werden auch privat gerne gebraucht – für Geburtstage oder andere Veranstaltungen im Freundeskreis. Das bekomme ich durch Anfragen und Rückmeldungen immer wieder mit. Wir wollen die Stadtrundgänge technisch weiterentwickeln: Um sie als Apps für mobile Endgeräte anbieten zu können.
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