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Regenbogenfahne beim CSD.

© IMAGO/NurPhoto/IMAGO/Emmanuele Contini

Schwarz-roter Koalitionsvertrag: Völlig unterbelichtet in Sachen Queerpolitik

Das Selbstbestimmungsgesetz soll evaluiert, queeres Leben geschützt werden. Ansonsten fällt CDU/CSU und SPD beschämend wenig zur Queerpolitik ein.

Nadine Lange
Ein Kommentar von Nadine Lange

Stand:

Der schlimmste Fall ist ausgeblieben: Die von CDU und CSU im Wahlkampf angekündigte Abschaffung des Selbstbestimmungsgesetzes steht nicht im Koalitionsvertrag. Man wolle das Gesetz aber bis spätestens Mitte kommenden Jahres evaluieren.

Als PDF-Download: Der schwarz-rote Koalitionsvertrag steht. Worauf sich die Parteien geeinigt haben, können Sie hier nachlesen.

Dabei werde ein besonderer Fokus „auf die Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche, die Fristsetzungen zum Wechsel des Geschlechtseintrags sowie den wirksamen Schutz von Frauen“ gelegt. Außerdem solle „die Nachverfolgbarkeit aller Personen bei berechtigtem öffentlichem Interesse bei Namensänderungen“ in den Blick genommen werden.

Damit werden genau die Punkte noch einmal aufgemacht, die in der langen und hitzigen Debatte um die vereinfachte Änderung des Geschlechtseintrags zu Streit geführt hatten. Es ist zu hoffen, dass eine Bewertung des Gesetzes zeigt, was sich schon in andern Ländern mit ähnlichen Regeln gezeigt hat: Missbrauch ist die absolute Ausnahme, dafür wird das Leben von trans, inter und non-binären Menschen deutlich leichter.

Abgesehen davon ignorieren die Koalitionsparteien die Belange der LGBTIQ-Community in ihrer Vereinbarung fast vollständig. Das Wort „queer“ kommt in dem 144-seitigen Dokument gerade zwei Mal vor.

Kein Wort zum Abstammungsrecht

Unter der Überschrift „Geschlechtliche Vielfalt“ schreiben sie: „Wir verpflichten uns weiterhin, queeres Leben vor Diskriminierung zu schützen. Es muss für alle Menschen, unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung selbstverständlich sein, gleichberechtigt, diskriminierungs- und gewaltfrei leben zu können.“ Dass es hier eigentlich um sexuelle und nicht – wie in der Überschrift angekündigt – um geschlechtliche Vielfalt geht, zeigt die geringe Queerkompetenz der Verfasser*innen.

Darüber, wie das diskriminierungsfreie Leben für Queers erreicht werden soll, verliert der Vertrag nur noch einen weiteren Satz, der an Wolkigkeit kaum zu übertreffen ist: Man wolle „mit entsprechenden Maßnahmen das Bewusstsein schaffen, sensibilisieren und den Zusammenhalt und das Miteinander stärken.“ Dass die Vorgängerregierung mit dem „Aktionsplan Queer leben“ ein ambitioniertes Programm dazu gestartet hatte, findet keine Erwähnung. Ob die Maßnahmen weitergeführt werden – unklar.

Verantwortlich für den Aktionsplan war als erster Queerbeauftragter der Bundesregierung Sven Lehmann von den Grünen. Ob es diese Position weiterhin geben wird, geht aus dem Koalitionsvertrag nicht hervor. Allerdings sieht er eine Halbierung der Beauftragten der Regierung vor. Dass der Queerbeauftragte zu den wegfallenden Posten gehört, ist angesichts des queerpolitischen Desinteresses der schwarz-roten Koalitionäre sehr wahrscheinlich.

Dieses Desinteresse spiegelt sich auch darin, dass sie weitere wichtige Punkte unerwähnt lassen: Kein Wort zur Ergänzung des Diskriminierungsschutzes in Artikel 3 Grundgesetz um die sexuelle Identität und auch kein Wort zu Reform des Abstammungsgesetzes, das weiterhin queere Familien mit Neugeborenen benachteiligt.

Für die zukünftigen Regierenden eines Landes, das sich gern für seine Werte und Weltoffenheit feiert, ist das beschämend wenig. Vor allem aber ist es ein klares Zeichen an die LGBTIQ-Community. Eure Belange sind für uns drittrangig, ruft Schwarz-Rot ihr zu. Dass Queers gerade sowohl auf den Straßen, als auch von rechtsradikalen Kräften immer stärker angefeindet werdet, ist uns egal, sagen die Parteien.

Das ist bitter, allerdings auch keine große Überraschung. Und so kann die queere Gemeinschaft in den kommenden vier Jahren ein weiteres Mal ihre Resilienz unter Beweis stellen.

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