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Für ein Recht auf Selbstbestimmung für trans Menschen.

© Getty Images/iStockphoto

Gericht entscheidet: Transsein darf nicht mit psychischer Erkrankung gleichgesetzt werden

Nach fünf Jahren Rechtsstreit steht fest: Julia Monro darf nicht als psychisch krank bezeichnet werden, weil sie trans ist. Dorthin war es ein schwerer Weg.

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Fünf Jahre hat es gedauert, bis Julia Monro Recht bekommen hat. Bis sie vor dem Landesgericht Koblenz eine Unterlassung erreicht hat. Jetzt steht fest: Die Behauptung, sie sei als trans Person automatisch psychisch krank und leide an einer „psychischen oder geistigen Erkrankung”, wird mit 2500 Euro bestraft.

Dorthin war es ein langer Weg. Alles fing damit an, dass Julia Monro, die sich als Menschenrechtsaktivistin engagiert und bei der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität (dgti) ehrenamtlich arbeitet, im Jahr 2016 eine knapp neunmonatige Affäre beendete. Nach der Trennung dauerte es nicht lange, bis Monro mitbekam, dass in der gemeinsamen Tanzschule über sie geredet wurde, dass Gerüchte die Runde machen.

„Ich war immer erpressbar"

Sie sei trans und deshalb „psychisch krank“ und „kriminell“, hieß es. Obendrauf wurde behauptet, Monro würde anderen Personen nachstellen, sie stalken. „Krank und kriminell gleichzeitig. Wer heutzutage über trans* Personen noch so ein Bild im Kopf hat, der lebt echt noch in der Vergangenheit oder ist vielleicht selbst krank“, sagt Monro.

Heute, fünf Jahre später, kann sie offen darüber sprechen und sich zur Wehr setzen gegen falsche Anschuldigungen. Aber das war nicht immer so. Regelmäßig hatte sie Zweifel, fürchtete, in eine Psychiatrie gesteckt zu werden und kämpfte mit Suizidgedanken. Denn sie befand sich bereits in der für trans* Personen vorgeschriebenen Psychotherapie, daraus wurde ihre angebliche „Erkrankung“ abgeleitet.

„Ich war immer erpressbar von den Personen, mit denen ich in Beziehungen war und die als einzige wussten, dass ich trans bin“, erinnert sich Monro. Als sie dann von den Behauptungen über sie mitbekam, entschied sie, dass es so nicht weitergehen könne, dass sie etwas unternehmen müsse. „Dieses Mal setzte ich mich zur Wehr und ging zu einem Anwalt.“

Zerstochene Autoreifen und Beschimpfungen

Am wichtigsten war es ihr, Recht darin zu bekommen, dass Transsein nicht gleichgesetzt werden darf mit Kriminalität oder psychischer Erkrankung. Aber die Anschuldigungen hörten mit ihrem Gang zum Anwalt nicht auf. Im Gegenteil: Hinzu kamen Versuche, sie einzuschüchtern. Erst wurde Monro durch ununterbrochenes Klingeln geweckt, dann wurden ihre Autoreifen zerstochen und schließlich hämmerte jemand gegen ihre Tür und beschimpft sie als „Schlampe“, drohte, sie „kaltzumachen“.

Julia Monro engagiert sich als Menschenrechtsaktivistin und arbeitet ehrenamtlich bei der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität (dgti).

© privat

„Zum ersten Mal hatte ich Angst um mein Leben“, sagt Monro. „In diesem Moment hatte ich die Bestätigung, dass ich geoutet wurde, weil gezielt weibliche Beleidigungen verwendet wurden.“ Sie glaubt, dass es sich dabei um ihre ehemalige Affäre und deren Bruder handelte.

Aufgrund der Einschüchterungsversuche war sie außerdem gezwungen, sich gegenüber der Polizei als trans Frau zu outen. Die stellte nämlich Nachfragen, weshalb weibliche Beleidigungen gegen sie verwendet wurden. (Anmerkung d. Redaktion: Monro lebte zu der Zeit noch in der männlichen Rolle.) „Wenn man solche Rückfragen gestellt bekommt, dann hat man nur zwei Möglichkeiten: lügen oder sich offenbaren“, sagt Monro. „Ersteres hatte ich bereits 35 Jahre getan. Ich habe Menschen belogen, am meisten mich selbst“.

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Diana Gläßer, Vorsitzende des Verbands lesbischer und schwuler Polizeibediensteter in Deutschland (VelsPol), kennt die Situation: „Für die Polizei ergibt sich in diesem Moment ein Konflikt mit dem Personenstandsgesetz und dem Transsexuellengesetz. Denn die Polizei muss sich an das gültige Recht halten und glaubt, das zu tun, indem sie sich an das Personenstandsgesetz hält.“ Die Person wird folglich mit dem Geschlecht angesprochen, was im Personalausweis steht und das wird auch in die Personalien eingetragen. „Wenn aber eine Person ein anderes Geschlecht hat als im Personenstand vermerkt ist, wissen viele Polizist*innen nicht, woran sie sich halten sollen.“

Für Gläßer überwiegt in diesem Moment das Recht auf Selbstbestimmung, dafür müsse man aber in Kauf nehmen gegen das Personenstandsgesetz zu verstoßen. „Und das tut praktisch niemand.“ Der Ergänzungsausweis schaffe ebenfalls keine Eindeutigkeit, weil er bei vielen Polizist*innen gar nicht bekannt sei und im Rechtsverkehr nur Gültigkeit in Verbindung mit dem Personalausweis habe. „Da geht es dann schon wieder los, weil die Dokumente sich widersprechen.“

Der Schutz des Opfers muss überwiegen

Gläßer zufolge könne das Problem nur gelöst werden, indem die Polizei sensibilisiert wird und der Gesetzgeber das Transsexuellengesetz durch ein Selbstbestimmungsgesetz ersetzt. „Ich rate den Kolleg*innen immer, die Selbstbestimmung zu wahren und sowohl das Geschlecht als auch den Vornamen, den die Person angibt, einzutragen. Missverständnisse können durch Aktenvermerke umgangen werden. Nur so kommen wir dahin, dass alte Personalien nicht mehr in der Akte stehen.“

Das sei wichtig, weil anderenfalls die Gefahr besteht, dass der Deadname durch die Akteneinsicht bekannt wird. „Der Schutz des Opfers muss in diesem Moment überwiegen. Das gilt für die Polizei, weil wir hier von einem besonders verletzlichen Raum sprechen, aber auch für andere Behörden.“

Was auf ihre Entscheidung, sich einen Rechtsbeistand zu nehmen, folgte, beschreibt Monro rückblickend als „Justizmaschinerie“. Den Richter*innen und Staatsanwaltschaften mangelte es an Wissen und Sensibilität für das Thema Trans. Immer wieder wurde sie mit dem falschen Pronomen angesprochen und ihre Geschlechtsidentität wurde nicht akzeptiert.

Fünf Jahre zog sich der Rechtsstreit, dann bekam Julia Monro Recht.

© imago images/Panthermedia

Die Richterin der ersten Instanz verglich die Geschlechtsidentität mit „sexuellen Praktiken und Neigungen“. Dabei sei es eben genau nicht um ihre Sexualität gegangen, sagt Monro. „Wenn man diese Formulierung nachschlägt, landet man schnell bei krankhaftem Sexualverhalten, welches von der Norm abweicht. Und das ist ja genau das wogegen ich mich wehre.“

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Gegen die Richterin reichte Monro Dienstaufsichtsbeschwerde ein – ohne Erfolg. Die Richterin wiederum stimmte einem Betreuungsverfahren zu, in dessen Antrag es hieß, Monro leide an Realitätsverlust und habe mit ihrem neuen Namen eine imaginäre „Kunstfigur“ generiert. Das Betreuungsverfahren wurde letztlich abgewiesen und das Hauptverfahren an das Landgericht Koblenz verwiesen

Nicht pauschal "krank" oder "kriminell"

Fünf Jahre zog sich der Rechtsstreit. Im September 2021 kam es dann zur gerichtlichen Anhörung. Nach drei Stunden Verhandlung schlossen Monro und die Gegenseite schließlich einen Vertrag, der dem Tagesspiegel vorliegt. Dieser sieht unter anderem vor, dass Monro „aufgrund ihrer Eigenschaft als transgeschlechtliche Person“ nicht mehr als „psychisch krank“ oder als Person mit „psychischer oder geistiger Erkrankung“ bezeichnet werden darf. Außerdem darf die Gegenseite nicht mehr behaupten, dass Monro ihr oder ihren Kindern „nachgestellt habe“.

Bei Zuwiderhandlungen droht eine Strafe von 2500 Euro. Gleichzeitig darf Monro nicht mehr äußern, dass die Gegenseite eine Borderline-Störung habe, die sie zuvor als Trennungsgrund angeführt hatte. „Aber das ist mir egal“, sagt Monro, „ob da jetzt Borderline vorhanden ist oder nicht, ist mir gleichgültig. Mir ist nur wichtig klarzustellen, dass trans* Personen nicht pauschal ‚krank‘ und schon gar nicht ‚kriminell‘ sind. Denn durch solche falsche Anschuldigungen, habe ich meine komplette Existenz verloren und viele Menschen haben sich von mir abgewandt.“

Eine Mutmacherin für die Community

Dadurch, dass sie sich juristisch mit ihrer eigenen Geschichte auseinandersetzen musste, wurde sie selbst zur Expertin für geschlechtliche Vielfalt und ist heute eine Mutmacherin ihrer Community. „Solche Lebenserfahrungen sind natürlich prägend, aber man geht auch stärker daraus hervor, wenn man sich nicht alles gefallen lässt.“ Sie hofft, dass die Entscheidung anderen trans* Personen hilft und sie ermutigt, ebenfalls vor Gericht zu gehen, denn: „Alleine das Aktiv-werden trägt zu einer besseren Gesundheit bei.“

Gleichzeitig möchte Monro an den Rechtsstaat appellieren, sich mit der eigenen Transfeindlichkeit innerhalb des Systems auseinanderzusetzen. Damit trans* Personen irgendwann nicht mehr befürchten müssen, vor Gericht misgendert und als psychisch krank dargestellt zu werden.

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