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Hohe Feste. Auf dem Sigiriya, einem 200 Meter hohen Monolith im Zentrum Sri Lankas, ließ sich der unrechtmäßige König Kassapa I. (473–491) einen Palast bauen, von dem nur noch die Grundmauern stehen.

© Gabor v. Bickensohl

Sri Lanka: Wiegenlied im Wickelrock

Sri Lanka lockt vor allem mit seinen Stränden. Doch Wanderer im Inselinneren sehen eher Authentisches.

Die Wolkenmädchen machen ihrem Namen heute alle Ehre. Rund um die Fresken der halbnackten Schönen auf dem Basaltkegel von Sigiriya im Inneren Sri Lankas hängt der Himmel tief und grau. Doch auch im schrägen Sprühregen haben sie nichts von ihrer Anmut verloren. Attraktive Modelle haben die Maler im 5. Jahrhundert gewählt, und sie mit wertvollen Juwelen geschmückt. Es seien die Konkubinen des Königs Kashyapa, der sich hier auf dem Löwenberg verschanzt habe, behauptet unser Inselführer.

Von 500 Bildern seien lediglich 22 erhalten. Den Einwand, dass manche Wissenschaftler hier einst eher ein Kloster als eine Festung vermuten und es sich bei den Damen um Bodhisattvas handle, Wesen, die nach Erleuchtung streben, wischt er locker beiseite: Wie, bitteschön, hätte irgendein Mönch beim Anblick der Barbusigen denn noch vernünftig meditieren sollen? Wohl wahr.

Auf jeden Fall hat der Aufstieg über die 1200 Stufen und die steile Wendeltreppe das Zeug zum genau richtigen Einstieg in einen Wanderurlaub auf Sri Lanka: Schritt für Schritt der Kultur entgegen. Denn man kann tatsächlich wandern auf der Insel im Indischen Ozean. Sie steht nicht nur für Tee, Buddhas und Traumstrände. Ihre landschaftliche Vielfalt lernt man erst zu Fuß richtig kennen.

Wandern im Regen

Im Knuckles Range im zentralen Bergland etwa bilden die ausladenden Äste der Mara-Bäume so etwas wie das Gebälk des Regenwaldes, das das Blätterdach trägt. Wie auf einem in Grau zerfließenden Aquarell schälen sich die Konturen von Lianen, dicken Stämmen und flachen Kronen aus dem Nebel, die Blätter glänzen wie frisch lackiert. Regen gehört mit zur Grundausstattung dieser Gebirgskette: Bis zu fünf Meter fallen im Jahr, und manchmal scheint das Rauschen gar nicht mehr aufhören zu wollen.

Knochenarbeit im Knuckles Range. Den Tee pflücken meist tamilische Frauen.
Knochenarbeit im Knuckles Range. Den Tee pflücken meist tamilische Frauen.

© Gabor v. Bickensohl

Wandern im Regen? Warum nicht? Die Männer im klatschnassen Wickelrock, die in den Reisfeldern die Hacke schwingen, lösen sich schließlich auch nicht auf. Aus tropfnassen Gesichtern lächeln sie den Fremden zu und man müsste schon aus sehr dürrem europäischen Holz geschnitzt sein, um den Gruß nicht breit und triefend zu erwidern.

Am nächsten Morgen aber zeigt sich: Es gibt doch ein Blau hinter all dem Grau am Himmel. Über dem tiefgrünen Dschungel ringsum ragen die „Knöchel“ auf, die fünf Gipfel, die der Region ihren Namen gegeben haben. Und die Sonne erreicht schnell enorme Kraft.

Vorsicht, Blutegel!

Sothi, der im „Dumbanagala Chalet“ bei Kandy als Kellner arbeitet, nimmt die Wanderer mit in sein Heimatdorf. In langgezogenen, flachen Häusern wohnen Raum an Raum tamilische Familien, die als Teepflücker in den Plantagen arbeiten. Die Unterkunft ist ärmlich, aber man spürt das Bemühen um Schönheit: Tagetes, Dahlien und Geranien blühen in den kleinen Vorgärten. Dazwischen sitzt ein alter Mann in einer Badewanne und lässt sich – seufzend vor Vergnügen – von seinen Enkeln mit Heilkräutern abreiben.

Der Pfad abwärts führt in die Reisfelder. Die weißhaarige Frau am Weg ist 95 und hat noch die Kolonialzeit erlebt – doch so sehr anders dürfte es auch damals nicht ausgesehen haben: Wie die Ränge eines Amphitheaters schwingen sich sorgfältig angelegte Terrassen über die Hänge, malerisch grast hin und wieder ein Büffel, weiße Reiher stolzieren durch den Schlamm und hoch oben thront eine der Hütten, die mit Palmstroh gedeckt sind. Einige Menschen davor sind mit irgendeiner Arbeit beschäftigt, neugierige Kinder mit blitzenden Augen im dunklen Gesicht kommen heruntergelaufen und arbeiten schüchtern an ihrer Bildung: „I like pen.“

Bekanntlich aber hat jedes Paradies seine Unzulänglichkeiten, und die hier heißen Leeches (Blutegel). Blitzschnell finden sie den Weg zur menschlichen Haut und lassen sich auch nicht von dicken Socken abhalten. Sie sind weder schmerzhaft noch gefährlich, aber unangenehm. Immer wieder kontrolliert Sothi deshalb die Beine seiner Gäste und sprüht, wenn er einen der zwei Zentimeter langen Parasiten entdeckt, eine ominöse Flüssigkeit darauf: Kurzes Sich-Winden – das war’s mit dem geringelten Vampir.

Veddas, die letzten Ureinwohner

Wolkenmädchen. Am Srinigar sind unter einem Felsüberhang diese Fresken zu sehen.
Wolkenmädchen. Am Srinigar sind unter einem Felsüberhang diese Fresken zu sehen.

© Gabor v. Bickensohl

Da die verschiedenen Wandergebiete über mehrere Regionen der Insel verstreut sind, bleibt während der Fahrten dazwischen immer mal wieder Gelegenheit, sich in den Städten treiben zu lassen: Da sitzt der Herrenschneider neben der Arrakbude, der Juwelier schwatzt mit dem DVD-Verleiher, und dazwischen gammelt immer mal wieder eines jener winzigen Hotels vor sich hin, die man eher nicht besuchen möchte. Tata-Busse hupen, Lotterieverkäufer rufen baldiges Glück aus und auf den Straßen dösen sandfarbene Hunde, in grenzenlosem Vertrauen auf die Langmut buddhistischer Autofahrer.

Es riecht nach Benzin, nach Trockenfisch, Jasmin und Räucherstäbchen. Rote und grüne Tuk-Tuks schieben sich voran wie geschäftige Riesenkäfer, Kinder in weißen und lilafarbenen Schuluniformen bummeln nach Hause, und der Schuhhändler wartet schweigend neben seinem Berg gebrauchter Sandalen.

In den Wäldern rings um Mahinyangana leben die Veddas, die letzten Ureinwohner des Landes. Ihr Chef, der 67-jährige Wannila Uruwalige, ist ein bedeutender Mann. Darauf deutet sein buschiger, grauer Bart, sein selbstbewusstes Auftreten und die gerahmten Fotos an der Wand, die ihn mit wichtigen Politikern zeigen.

2400 Menschen leben im Dorf Dambana. Touristen sind, gegen bares Geld, willkommen. Im Begegnungszentrum treffen sie auf Uruwalige und einige seiner Söhne, muskulöse Jungs mit Wickelrock, nacktem Oberkörper und fein geölter Lockenmähne. Das Dorf selbst ist tabu für Besucher.

Zauber gegen Schlangen

Die Veddas bauen Mais an, suchen Früchte und Honig, einige gehen mit Pfeil und Bogen auf die Jagd nach Kaninchen. Während des Gesprächs behandelt der Alte nebenbei einen hustenden Mann mit einer Kräutertinktur – Naturmedizin ist eine weitere Einnahmequelle des Stammes.

Ja, es gibt eine öffentliche Schule, aber ob die Kinder sie besuchen oder lieber das Leben im Wald üben wollen, bleibt ihnen überlassen. Nein, gefährlich ist der Alltag hier nicht, gegen Schlangen kennen sie einen bewährten Zauber. Erstaunlicherweise scheint mit jeder weiteren Frage das Interesse der Männer zu wachsen, von ihrem Leben zu erzählen. Anschließend führen sie, etwas verlegen, ein Wiegenlied und einen Totentanz vor, schießen mit Pfeilen auf Bäume und kramen am Ende geschnitzte Krokodile aus einem Sack, Souvenirs aus Dambana.

Funktioniert sie denn tatsächlich immer noch, diese in sich geschlossene, naturverbundene Welt ohne Elektrizität und fließendes Wasser? Es wird immer schwieriger, den alten Lebensstil aufrechtzuerhalten, gibt der Chef zu, während er einen ordentlichen Strahl betelnussroten Speichels in eine Schüssel spuckt. „Immer weniger Menschen kennen heute den richtigen Weg“ sagt er seufzend – und von der lehmgestampften Veranda des übernächsten Hauses guckt ein junger Mann in Jeans und Polo-Shirt neugierig herüber.

Barockgärten im Dschungel

Von Kandy aus fährt ein Zug hinauf ins Bergland von Nuwara Eliya. Im komfortablen Waggon flimmert „Johnny English“ über den Bildschirm – natürlich lacht auch Sri Lanka über den britischen Trottel Mr. Bean. Das wahre Kino aber spielt draußen vor dem Fenster. Mal ragt die lianenüberwucherte Ruine eines Teeschuppens aus dem Grün, ein Eisenbahnwaggon, vor Jahrzehnten aus dem Gleis gekippt, rostet vor sich hin, und durch die leeren Fensterhöhlen eines seit langem verlassenen Bungalows turnen Affen.

Die britischen Pflanzer haben den einstigen Dschungel im Hochland in eine einzigartige Kulturlandschaft verwandelt. Steile und sanfte Hügel wechseln sich ab. Am Grunde weiter Täler erheben sich runde Kuppen, die von kreisförmigen Reihen von Teebüschen bedeckt sind, wie Köpfe von sorgfältig geflochtenen Zöpfen.

So gepflegt wirken die Anlagen, als würden sie jeden Morgen neu in Form gebracht. Beinahe haben sie etwas von der Strenge von Barockgärten – wären da nicht schlanke Eukalyptusbäume und langnadlige Kiefern, die die Ordnung immer wieder aufbrechen. Zwischen den grünen Reihen bewegen sich Menschen in bunten Kleidern und zupfen erstaunlich schnell die obersten Blättchen ab, Handvoll auf Handvoll auf Handvoll.

Durch diese Art von Landschaft führt am letzten Tag der Weg von Ohiya ins Tal hinunter zum Bambarakanda Wasserfall, mit fast 250 Metern der höchste der Insel. Wie ein Geschmeide aus Silberdraht und zerplatzenden Perlen rieselt und rauscht das Wasser über den schwarzen Fels, an den sich Farne und Aloen klammern. Ganz unten klatscht und pladdert es mit Macht in ein Felsbecken, feuchte Schwaden stieben hoch, neblige Schleier zerfetzen in der Luft und lösen sich in nichts auf.

Verlockend ist sie, diese Insel. Und viel zu schön, um einfach nur hindurchzufahren.

Thilo Vonderheide

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