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Fröhliche Büßer im Allgäu. Wer nicht allein pilgern will, kann sich an eine „Mitgehzentrale“ wenden.

© dpa

Pilgerwege: Auf dem Sinnespfad

Es gibt immer mehr Pilgerwege in Deutschland – auch fürs Wochenende.

Im Mittelalter durchzogen Pilgerwege nach Rom und Jerusalem den europäischen Kontinent wie ein Netz. Erst in den vergangenen Jahren sind viele dieser Wege durch örtliche Pilgerinitiativen wiederentdeckt worden. Seither nähern sich Tradition und moderne Formen des Pilgerns einander an. An den Knotenpunkten der mittelalterlichen Pilgerrouten wurden Herbergen und Gasthäuser, ganze Städte, Kapellen und Kirchen gegründet. Die Pilgerströme im Mittelalter gelten als Vorläufer des modernen Tourismus.

Heute versprechen historische Pilgerwege oder regionale Routen als „Sinnespfade“ den Menschen vor allem kurzzeitige Erholung vom Alltag. Auch wenn unzählige Fern- und Radwanderwege spirituelle und historische Stätten in Deutschland streifen, ist der rein religiöse Aspekt des Pilgerns in den Hintergrund getreten.

Galt Pilgern einst als typisch katholisch, so hat die Lust am Pilgern seit etwa zehn Jahren auch den protestantischen Norden erfasst. An der polnischen Grenze auf der Ostseeinsel Usedom beginnt die „Via Baltica“, ein 700 Kilometer langer Pilgerweg, der bei Osnabrück an der Grenze zu Westfalen endet und an den „Perlen der Nordkirche“ vorbeiführt.

Auch viele Jakobswege gibt es in Deutschland. Teilstrecken des berühmten Pfades ins spanische Santiago de Compostela wurden mithilfe historischer Karten rekonstruiert. Örtliche Pilgerinitiativen zeichnen die Verläufe alter Pilgerwege nach, zumindest stimmen Anfang und Ende mit der historischen Strecke überein.

Eine gelbe (Jakobs-)Muschel auf blauem Grund markiert den „Ökumenischen Pilgerweg“ durch Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Angelehnt ist die Route an die „Via Regia“, eine Handelsstraße, die einst Könige, Krieger und Händler nutzten. Und eben auch Jakobspilger. Seit der Eröffnung des Weges 2003 gewähren dort „Herbergseltern“ gegen eine Spende eine schlichte Unterkunft. Wer die 450 Kilometer des Weges nicht alleine gehen möchte, kann sich sogar an eine „Mitgehzentrale“ wenden.

„Viele Pilger nehmen sich einen Weg vor und legen ihn an mehreren Wochenenden zurück“, sagt Katrin Sießl von der Initiative „Pilgern bewegt“. Menschen, die sich nur am Wochenende eine spirituelle Auszeit nehmen, haben auch schon einen Namen: „Samstagspilger“.

Wie viele Pilgerwege es in Deutschland gibt und auf wie viele Kilometer sie sich erstrecken, weiß Sießl nicht zu sagen. „Pilgern fängt ja meist schon vor der Haustür an.“ Auch der nordelbische Pilgerpastor Bernd Lohse hält sich mit der Antwort zum Unterschied zwischen einem Spaziergang, einer Wanderung und dem Pilgern bedeckt: „Was Pilgern ist, entscheidet Gott.“ Weder die Länge des Weges noch die Zeit seien entscheidend. Es gehe vielmehr darum, sich auf den Weg zu machen.

Bei den neuen Wegen werden oft örtliche Wallfahrtstraditionen und kirchliche Einrichtungen an der Strecke berücksichtigt. Nürnberg und Lindau verbindet eine 468 Kilometern lange „Kloster-Route“. Angelehnt an den Leichenzug des irischen Missionars Bonifatius, verläuft durch Rheinland-Pfalz und Hessen die „Bonifatiusroute“ von Mainz nach Fulda. Zwei „Elisabethpfade“ führen von Frankfurt am Main, Eisenach und Köln nach Marburg. Die Stadt an der Lahn war schon im Mittelalter ein wichtiger Wallfahrtsort: In der dortigen Elisabethkirche ruhen die Gebeine der Elisabeth von Thüringen, die 1235 heiliggesprochen wurde.

Barrierefreie Wege für gehbehinderte Menschen sind allerdings selten. Die „Weinroute“ von Koblenz nach Konstanz ist nach Angaben von Katrin Sießl in großen Teilen geeignet, aber nur weil man die Radwege weitgehend benutzen könne.

Kaum Bedeutung hatte das Wallfahren lange Zeit für evangelische Christen. Denn weder kann, noch muss man Gott durch eine Pilgerreise gnädig stimmen, fand der Reformator Martin Luther (1483–1546). Dennoch errichtete vor zwei Jahren die Evangelische Landeskirche Anhalts einen „Lutherweg“. Eine Wegstrecke von 410 Kilometern verbindet Luthers Geburtsstadt Eisleben und Wittenberg. Auf das Wirken des Reformators machen 34 Stationen aufmerksam.

Auch wenn die neuen Routen den früheren Wegen ähneln, der moderne Mensch pilgert bequemer: Den breitkrempigen Filzhut, die Sandalen und den Pilgerstab hat er gegen einen leichten Rucksack, wasserdichte Schuhe und Teleskop-Wanderstöcke eingetauscht. Eins ist gleich geblieben: Pilger kommen aus allen Gesellschaftsschichten. (epd)

Nastasja Becker

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