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Verschwiegener Bötzsee, bald wieder so grün wie auf diesem Sommerbild.

© imago

Ausflug nach Strausberg: Die verlorene Haselnuss

Strausberg ist von Seen umgeben. Von einem zum anderen kann man wandern. Und der Kopf wird frei.

Ein Märzsonntag wie im Bilderbuch. Blauer Himmel, Sonne, 17 Grad. Da will ein Berliner natürlich raus ins Grüne. Ein See darf gern dabei sein. Qual der Wahl. Den Finger auf die Landkarte gepiekt – und Strausberg gefunden. Gleich drei Seen rundherum – nichts wie hin. Im Städtchen hasten wir zur Uferpromenade. „Hallo, wir wollen noch mit“, rufen wir dem Fährmann zu. Er hat Erbarmen, wir springen aufs Schiff. Es transportiert seine Passagiere vom Stadtufer auf die gegenüberliegende „Waldseite“. Kurze sieben Minuten später sind wir dort.

Die übrigen Fahrgäste gehen nach links oder rechts, wir stapfen geradeaus. Mitten in den Wald hinein. Niemand da außer uns. Ein großes Schild warnt: „Verhindert Waldbrände“. Darunter ist die aktuell geltende Waldbrandstufe eingestellt – und beruhigt. Waldbrandstufe null. Bald tanzen zwei Zitronenfalter überm braunen Laub am Boden. Frisches Grün ist noch rar. Irgendwo in den Baumwipfeln klopft ein unsichtbarer Specht. Ruhestörung! Andere Vögel zwitschern entrüstet zurück. Auf dem Weg liegt eine Haselnuss. Vielleicht hat sie ein Eichhörnchen aus dem Winterversteck gebuddelt und dann verloren? Was macht die einsame Birke da zwischen so vielen Kiefern? Was soll der hölzerne Ausguck am Wegesrand, so schief und krumm gezimmert? Schritt für Schritt wird der Kopf frei für solche herrlich überflüssigen Gedanken.

Wir überqueren eine zum Glück nur mäßig befahrene Landstraße und stapfen weiter durch den Wald. Am Ende schimmert es blau zwischen den Ästen. Das muss der Bötzsee sein. Linksherum könnten wir gehen und ihn umrunden, aber rechts weist ein Schild zur „Neuen Spitzmühle“, Hotel und Restaurant. Ein Kaffee wäre doch jetzt nett. Aber ach, wir haben schon Böses geahnt, angesichts des morschen, halb verfallenen Stegs am See, flankiert von zwei schiefen Laternen. Die „Neue Spitzmühle“ ist geschlossen. „Seit vier, fünf Jahren schon“, sagt ein Einheimischer, der eben vorübergeht. Wie schade, so eine tolle Lage am See, bedauern wir. „Wirft wohl nicht genug ab“, sagt der Mann und fügt hinzu: „Die wollen doch heutzutage alle im ersten Jahr gleich eine Million verdienen, das klappt eben nicht.“ Verlorene Tradition. An der Hauswand steht in verblasster Schrift: „Die Spitzmüllerin. anno domini 1738“.

Der Bötzsee kann nichts dafür

„Gehen Sie weiter dort entlang, da finden Sie die ,Alte Spitzmühle‘“, sagt der Mann und ergänzt: „Hat aber auch zu.“ Zwar sei ein Schild dran, dass sie am 1. April wieder öffne. „Aber daran glaub’ ich noch nicht.“ Auch andere Ausflügler stehen ratlos vor der verschlossenen Pforte und linsen zur verwaisten Seeterrasse. Auf der Karte im Glaskasten werden „Obstkuchen für den leichten Gaumen“ und „Kaffee – das Schwarze-Gold (sic!) zum Wachwerden“ beworben.

Der Bötzsee kann nichts dafür, wir nehmen’s ihm trotzdem übel. Und spazieren einfach zum Konkurrenten, dem Fängersee. Auch der lässt sich umrunden. Wir starten am westlichen Ufer. Ein beschaulicher Pfad, ein paar Enten schnattern um die Wette. Wir haben Durst. Die kleine Wasserflasche im Rucksack ist längst ausgetrunken. Plötzlich Hundegebell, das immer lauter wird. Wir überholen zwei Spaziergängerinnen und fragen bang: „Wo kommt das her?“ – „Dort ist ein Tierheim“, erklären sie und weisen auf ein Areal links vom Weg hinter hohen Bretterzäunen.

Kurz darauf, an der Nordspitze des Sees, passieren wir die Wesendahler Mühle. Vor zehn Jahren pries ein Autor in dieser Zeitung das „reizvolle Gartenlokal“ und „das Plätschern des Wassers am stetig sich drehenden Rad der Wassermühle“. Hier dreht sich schon lange nichts mehr. Alles ist verrammelt.

Über den Schultern baumelt das Badetuch

Zurück durch den Wald nach Strausberg. Über die Schillerhöhe – eine Büste des Dichters steht auf einem Sockel – wollen wir ins Städtchen. Wie kommen wir am besten zum Fischerkietz? Ein Anwohner in der Neubausiedlung weist freundlich den Weg: „Immer geradeaus und dann rechts rein in die sogenannte Badstraße. Die führt am See entlang und dann landen Sie bald im Fischerkietz.“

Wieso nennt er die Badstraße „sogenannt“? Die Liegewiesen und Grillplätze sehen doch sehr einladend aus. Am See entdecken wir das Restaurant Fischerkietz mit sonnenbeschienener Terrasse im ersten Stock. Ein Plätzchen ist noch frei, mit schönem Blick auf den See. Doch der aufgeplusterte Apfelkuchen schmeckt künstlich, der Milchkaffee ist schlapp, die Bedienung eher lustlos.

Im schmuck gemachten Örtchen mit fein restaurierter Stadtmauer und imposanter Feldsteinkirche entdecken wir das „Litera“. Zu spät. „Von unserem Käsekuchen kann ich schwärmen“, sagt Besitzerin Chris-Karen Schmidt-Farwig. Seit Mai 2009 führt sie das Café. Zwei, drei Tische stellt sie bei gutem Wetter vor die Tür. Aber die Menschen wollen wahrscheinlich lieber am See sitzen, vermuten wir. „Ja, aber da gibt’s ja nichts“, sagt sie.

Sie findet Strausberg „zu ruhig“ und schwärmt dann vom klaren Wasser des Sees. Und von der beschaulichen Atmosphäre. „Im Sommer schlappen die Leute in Badelatschen hier entlang und über ihren Schultern baumelt ein Handtuch.“ Das werden wir bald nachahmen. Und wenn’s am Straussee zu eng wird, lagern wir eben am Bötz- oder Fängersee. Mit gut gefülltem Picknickkorb, versteht sich.

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