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Krippe im Zentrum von Câmara de Lobos, mit dem Jesuskind in einem traditionellen Santana-Haus statt im Stall.

© Sascha Rettig

Madeira packt die Rute aus: Adventsgrüße unter Palmen

Bei 23 Grad kommt man nicht in Festlaune? Auf der portugiesischen Atlantikinsel geraten die Einwohner in einen regelrechten Weihnachtsrausch – zur Freude der Touristen. 

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Humberto Jesus’ Weihnachtsschatz befindet sich in einem Schuppen neben seinem Haus – und alle, die ihn sehen wollen, können im Bergdorf Camacha auf der Insel Madeira vorbeikommen und bei ihm klopfen. Dann greift er seine Schlüssel, öffnet die Tür, knipst das Licht an und zeigt, was er aus Ton und mit viel Liebe zum Detail geschaffen hat: seine traditionelle Weihnachtskrippe.

Das mag nicht sonderlich aufregend klingen, doch zu dieser sogenannten Lapinha gehört bei Weitem nicht nur das Standardpersonal. Nein, Jesus, Maria, Josef und die heiligen drei Könige sind hier umgeben von vielen, vielen anderen Figuren: Fischer, Schlachter und Holzfäller. Frauen sticken und backen. Es werden Weidenkörbe geflochten und Weine transportiert.

Wie viele dieser Figuren es insgesamt sind, weiß er nicht. „Ich will damit den Alltag zeigen, wie er früher hier auf der Insel war, denn vieles hat sich verändert“, erklärt der 57-Jährige, der auf Madeira längst nicht der einzige mit solch einer ausufernden Lapinha ist.

Eine bunte Krippe in Ponta do Sol.

© Sascha Rettig

Die Krippen, die einst mit der Kolonialisierung vom Festland auf die portugiesische Insel kamen, werden vielerorts aufgebaut. Humberto Jesus hat für sie sogar ein Zimmer in seinem Haus eingerichtet. Zudem sehen Reisende sie an vielen öffentlichen Orten: von der kleinen Weihnachtswelt im Küstenörtchen Calheta im Südwesten bis zum Strandort Machico im Osten. Oft sind die Lapinhas eingebettet in eine Miniatur-Landschaft mit Bergen, Felsen und Meer. Das Ethnografische Museum vor Ort stellt eine historische Krippe mit mehr als 300 Figuren aus dem 19. Jahrhundert aus.

So sieht die Steilküste im Süden ohne Weihnachtsbäume aus.

© Sascha Rettig

Über diese Dekorationen kann sich jeder Dezember-Tourist auf der Atlantikinsel schnell davon überzeugen, dass sich Heiligabend und sommerliche Temperaturen nicht ausschließen. Die Insulaner gelten als geradezu weihnachtsbegeistert. Nimmt man die unzähligen Lichterdekorationen zum Maßstab, die dunkle Inselnächte erhellen, sind sie sogar regelrecht verrückt nach dem „Festa“ – nicht zuletzt weil über 90 Prozent der Menschen auf Madeira katholisch und die meisten sehr gläubig sind.

Den Höhepunkt bildet die Hauptstadt Funchal: Auf einer Bustour schaukelt man durch die zum Teil engen Straßen und erlebt dabei das dekorative Funkeln, Leuchten und Glitzern von über zwei Millionen Lichtern in den abendlichen Straßen. Bummelt man danach lichthungrig weiter, entdeckt man am Hafen noch mehr Leuchtdeko: Hier ein Lichtertunnel. Da Lichterskulpturen im Park. Und nahe dem Hafen ein Lichterbaum, der hoch in die salzige Luft ragt.

Blauer Himmel statt Schneekulisse: Nussknacker im Küstenort Ponta do Sol.

© Sascha Rettig

Wer braucht da auf dem Weihnachtsmarkt schon Glühwein? Auf Madeira ist es an diesem Dezembertag ohnehin zu warm dafür. Über 20 Grad zeigt das Thermometer, als die Food-Tour mit Guide Rubina Vieira neben der mit Weihnachtssternen reich dekorierten Krippe beginnt.

Da ist der Poncha, der erfrischende, fruchtige Traditionsdrink mit einigen Umdrehungen, eindeutig die bessere Wahl. Honig und ordentlich Zuckerrohrschnaps oder Rum gehören hinein. In den Buden auf dem Weihnachtsmarkt vor der 700 Jahre alten Kathedrale in Funchal wird er in mehreren Varianten ausgeschenkt. Mit einem traditionellen Stößel wird der Zitronensaft frisch ausgepresst. Orange gibt es ebenfalls. „Und zu Weihnachten macht man Poncha auch gern mit Mandarinen von der Insel“, sagt Rubina Vieira.

Eine Grundlage für ein, zwei, drei der Inseldrinks schafft man sich mit typischen Imbissen: „Carne vinho alhos ist ein deftiges Sandwich mit Schweinefleisch, Weißwein und Knoblauch“, sagt Vieira, als sie jedem ein Brötchen reicht. Ein paar Stände weiter backen ältere Insulanerinnen ganz traditionell ihr Bolo do Caco, ein Fladenbrot, das mit Knoblauchbutter bestrichen wird, wenn es noch warm ist.

Trotz der angenehmen Temperaturen auf der „Insel des ewigen Frühlings“ ist aber selbst eine Schlittenfahrt kein Problem. Die jedoch ist etwas anders als bei uns üblich. Dafür geht es erst mit der Seilbahn mit weiten Ausblicken über Funchal hoch ins Bergdorf Monte, wo man zunächst die opulenten Gärten besichtigen kann. Dann stellt man sich in die lange Schlange für die Rückfahrt nach unten an: im Weiden-Schlitten.

Ein wahres Gewimmel in dieser Krippe in Funchal.

© Sascha Rettig

„Im 19. Jahrhundert war das ein Transportmittel für Familien aus Monte, die nach Funchal wollten“, sagt Vieira. Inzwischen sind die Schlitten längst zur Touristenattraktion geworden. In einer rasanten Fahrt rauschen zwei Personen auf dem Schlitten mit gefetteten Kufen bergab. Zwei Carreiros lenken die Gefährte. Sie sorgen nicht nur für den richtigen Schwung, sondern stemmen sich mit ihren robusten Lederschuhen in den Kurven gegen die Fliehkraft stemmen und bremsen an den entscheidenden Stellen, bis sie nach zwei viel zu kurzen Kilometern in die Zielgerade einbiegen.

Was wäre die Adventszeit ohne kulinarische Ausschweifungen! Die Auswahl zwischen feinen, modernen oder bodenständigen Restaurants fällt schwer. Statt Gänsebraten steht meist Insel-Küche auf dem Menü, mit viel Fisch und Meeresfrüchten wie im Restaurant „Vila do Peixe“. Hier lenkt die Fischtheke vom grandiosen Blick über das Dorf Camara und das Meer ab – wenn man dabei zusieht, wie der nach gängigen Schönheitsvorstellungen recht hässliche, schwarze Degenfisch zum weißen Filet wird und schließlich auf dem Grill landet. Als Vorspeise serviert das Lokal typische Lapas-Muscheln, die noch am Tisch auf dem Teller im heißen Knoblauch-Öl weiterbrutzeln.

Da fehlt letztlich nur noch etwas Süßes als Mitbringsel. Madeira-Wein kommt da als erstes in den Sinn, ein Dessertwein, den man unter anderem auf einer Weinkellertour bei „Blandy’s“ probieren und fürs Fest zu Hause mitnehmen kann.

Nur einen Katzensprung entfernt drängeln sich die Kundinnen und Kunden um den Tresen bei der Traditionsbäckerei „Fabrica Santo Antonio“, wo man die passende Begleitung zum Wein findet. „Vor Weihnachten stapeln sich die Bestellungen“, sagt Bruno Vieira von der Bäckerei, die sich in fünfter Generation in Familienbesitz befindet.

Eine Fabrik jedoch? Ist das nicht wirklich, sondern ein kleiner Traditionsbetrieb, wo alles hausgemacht ist. Hinter den Kulissen des kleinen, nostalgischen Ladens demonstriert er an diesem Tag, wie der Teig des Bolo de Mel, des Madeira-Honigkuchens, angerührt wird – bis heute nach dem Originalrezept. „Der ist zur Weihnachtszeit besonders beliebt – 500 davon stellen wir ab Oktober bis zum Fest jeden Tag her!“ Zwei der hübsch dekorierten Boxen landen auch im Koffer. Die Festtage können kommen!

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