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Giraffen ziehen am Segera Retreat vorbei.

© Crookes and Jackson

Naturerhalt und Tourismus in Kenia: Das Schutzgeld-Versprechen

Millionen Menschen reisen jedes Jahr für Safaris nach Ostafrika. Davon soll auch die Bevölkerung profitieren – und schärft ihr Bewusstsein für die Naturwunder.

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Was für ein Anblick! Pechschwarze Büffel tüpfeln die sattgrüne Savanne, grazile Giraffen knabbern an Akazien, grunzende Flusspferde wälzen sich im Mara River. Die Masai Mara zählt zu den bekanntesten Schutzgebieten Kenias, 1500 Quadratkilometer tierbevölkerte Savanne, in das jedes Jahr Tausende Touristen reisen.

„Als Kind dachte ich, das Land gehört jemand anderem“, erinnert sich Simon Saitoti, 39 Jahre, Conservation Manager für den Safari-Anbieter Andbeyond. „Dass es ein Staat im Staate wäre.“ So viele Ausländer kamen täglich in den Nationalpark, vornehmlich weiße Menschen aus Amerika, England oder Deutschland. Sie fuhren mit dem Jeep bis zum Schlagbaum, bezahlten ihre Parkgebühren und wurden eingelassen. Wer würde da nicht an eine Grenze denken?

Inzwischen haben viele Kenianer verstanden: Moment mal, dieses Land ist unseres! Wir haben die Pflicht, es zu bewahren – und das Recht, davon zu profitieren. Naturschutz gilt als probates Mittel, sich die Deutungshoheit über die Reservate zurückzuholen. Die Briten mögen einst den Safari-Tourismus groß gemacht haben, die Kenianer entdecken ihn nun für sich – als Player in einer globalen Branche, in der die Völker der Massai, Samburu oder eines der anderen 41 Stämme der kenianischen Nation mitwirken.

Die Masai Mara liegt an der Grenze zu Tansania, auf etwa 1500 Metern über dem Meer bildet sie die nördliche Erweiterung der Serengeti. Andbeyond betreibt im sogenannten Mara-Triangle zwei Camps, Kichwa Tented und Bateleur Camp. Im letzteren sitzt Simon Saitoti auf der Restaurantterrasse, freie Sicht auf wilde Tiere. Drumherum beobachten Gäste gerade durchs Fernglas eine Herde Elefanten, die sich knapp 500 Meter entfernt durchs hohe Gras pflügt. Das ist schon was Anderes als Rehe aus dem Regionalexpress zu zählen.  

Simon Saitoti arbeitet für Wild Impact in der Masai Mara.

© Ulf Lippitz

Saitoti, aufgewachsen in einem Massai-Dorf in der Nähe, erklärt, dass es sich heute kein Camp mehr leisten kann, ohne Naturschutz und Community-Arbeit auszukommen. Seine Glaubwürdigkeit würde darunter leiden. Andbeyond hat beispielsweise bereits vor drei Jahrzehnten eine eigene Stiftung gegründet, die afrikaweit agiert. Die Gästeeinnahmen aus den Camps finanzieren die operativen Kosten von Wild Impact.

Simon kümmert sich in der Mara-Ebene darum, dass die Spenden vernünftig verteilt werden. Dass von den Geldern neue Schulen, Kliniken oder Straßen gebaut werden, dass arme Familien Universitätsstipendien für begabte Kinder erhalten. Dass es wirklich zu einem Trickle-Down-Effekt kommt und nicht alles in den Taschen ausländischer Investoren versickert.

Essen mit Savannenaussicht: im Bateleur Camp möglich.

© andBeyond

Diese Karriere, das gibt er zu, hätte er sich als kleiner Junge nie vorstellen können. Wer es zu etwas bringen wollte, studierte damals Medizin oder Jura, zog vielleicht ins Ausland, um besseres Geld zu verdienen. Doch im Frühling 1998 änderte sich alles für den Teenager. Er gelangte mithilfe derselben Stiftung, für die er heute arbeitet, in die Masai Mara, nahm zum ersten Mal an einer Safari teil, erfuhr vom Guide, dass ein Elefant ein demütiges Tier ist – und eben nicht bloß der Zertrampler von Getreidefeldern, den man am besten auf der Stelle töten sollte.

Zurück in der Schule gründete er den Club „Friends of Conservation“, sah sich Naturdokumentationen an, veranstaltete Debattierrunden, in denen Teilnehmer argumentieren mussten, warum eine bestimmte Art nicht einfach gefährlich, sondern überlebenswichtig für das ökologische Gleichgewicht war. Nach dem Abschluss studierte er Naturschutz-Management und arbeitet nun seit mehreren Jahren für Wild Impact.

Jeden Morgen fliegen Touristen in bunten Ballons über die grüne Ebene, begrüßen den Sonnenaufgang und blicken von ihrer Kanzel auf Flusspferde beim Schlammbad (wie Würste im Wasser) oder Paviane auf Nahrungssuche (hektische Punkte im Grasland). Die Tierbeobachter bekommen wenig von Simons täglicher Arbeit mit. Auch bei den Ausfahrten, auf denen erfahrene Guides spektakuläre Interaktionen vorhersagen – da!, eine rasende Büffelherde, die zwei Geparden von einem Antilopenkadaver vertreibt – haben die wenigsten Gäste eine Idee von der Aufgabe Saitotis.

Blick auf den Mara River (und Flusspferde) vom Ballon aus.

© Daniel Fernandez Campos

Momentan arbeitet der Naturschutzbeauftragte daran, einen der Wälder außerhalb des Reservats aufzuforsten. Die Grünfläche ist besonders für Elefanten ein Rückzugsort, wenn einmal im Jahr die Great Migration die Hochebene erreicht. Dann grunzen, schnauben, fressen sich etwa eine Million Gnus durch die Mara. Elefanten sind sensible Wesen, sie verlassen das Gebiet während dieses Dauerstresses und ziehen sich in den schattigen Wald mit dem noch reichlichen Nahrungsangebot zurück.

Damit das so bleibt, engagiert sich Simon dafür, die Dorfeinwohner drumherum zu überzeugen, kein Brennholz mehr hinauszutragen, die Bäume nicht für Weideland abzuholzen und keine Häuser auf gerodetem Grund zu errichten. „Wir müssen den Menschen die Vorteile des Tourismus nahebringen“, sagt Saitoti. In diesem Fall sähe die Faktenkette wie folgt aus: Weniger Wald bedeutet weniger Elefanten, heißt weniger Großwild-Fotojäger, was wiederum dazu führen würde, dass die Einnahmen aus dem Tourismus stagnierten – und damit weniger Mittel für den Ausbau der Infrastruktur zur Verfügung ständen.

Es ist kein einfacher Konflikt. Die Massai gehören zu jenen Völkern, die traditionell ihre Viehherden über die Savanne treiben. Ihren Reichtum haben Familien in der Vergangenheit über die Größe des Rinderbestandes definiert. Die jungen Menschen nehmen langsam davon Abschied, Frauen finden nun Männer mit Schulabschluss attraktiv – geregeltes Einkommen sticht wandernde Schafe. Knapp 90 Prozent der Angestellten im Bateleur Camp stammen aus den umliegenden Dörfern. Sie verdienen relativ gut an Trinkgeldern und Löhnen, bauen sich einen moderaten Wohlstand auf. Das Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt des Landes hat sich laut Statistischem Bundesamt in den vergangenen 20 Jahren verdreifacht.

So sieht der tägliche Wildtierkontakt in der Masai Mara aus.

© andBeyond

Nicht nur um die Masai Mara, im ganzen Staat kämpfen Tradition und Moderne miteinander, tragen die zwei größten Industriezweige einen täglichen Konflikt aus: mehr Flächen für die Landwirtschaft oder weitere Areale für Naturschutz und Tourismus erschließen? 250 Kilometer nördlich der Mara, knapp nördlich des Äquators, kann man auf dem Laikipia-Plateau erleben, wie um jeden Quadratmeter gerungen wird. Wer von der Regionalhauptstadt Nanyuki mit dem Jeep ins Segera Retreat fährt, kommt an dutzenden Obstplantagen und Maisfeldern vorbei. Ziegenhirten führen ihre Herden an langen Elektro-Zäunen entlang, hinter denen große Schutzgebiete liegen. An einigen Stellen bewachen bewaffnete Uniformierte die Reservate.   

Ein Löwe bewacht einen Kadaver in der Masai Mara.

© Daniel Fernandez Campos

Auch nach Segera gelangen Reisende nur durch ein gesichertes Tor. Wachleute überprüfen die Ankommenden, erst dann öffnet sich das Gatter für das privat geführte Naturreservat. Der frühere Puma-Manager Jochen Zeitz kaufte die ehemalige Ranch vor mehr als 20 Jahren, errichtete im Zentrum des 200 Quadratkilometer großen Gebiets eine exklusive Hotelanlage mit zehn Villen und gründete gleichzeitig eine Stiftung, die sich um Erhalt der Tierwelt und Förderung der umliegenden Gemeinden kümmerte.

Im Segera Retreat arbeiten heute dutzende Mitarbeiter für den Umweltschutz, pflanzen Setzlinge, bewachen Tiere oder kontrollieren Herdenbewegungen. Zu 95 Prozent gehören die Angestellten zur lokalen Community, Männer wie Frauen. Benaiah Odhiambo ist eine Ausnahme. Der 46-Jährige stammt aus Nairobi, der Hauptstadt mit knapp vier Millionen Einwohnern. Er hat 2012 als Buchhalter bei Segera angefangen und sitzt heute auf dem Posten des Conservation Managers.

Benaiah Odhiambo hat seinen Bürojob gegen einen in der Natur eingetauscht.

© Ulf Lippitz

„Obwohl ich mich nie für Tiere interessiert habe“, sagt er gleich zur Begrüßung, als er aus einem tarngrünen Jeep steigt. „Als Kind waren sie mir egal, sie existierten nicht in der Wahrnehmung meiner Welt.“ Mal Nashörner sehen im Nairobi-Nationalpark, dem einzigen der Welt, der auf einem Stadtgelände liegt? „Kam mir nicht in den Sinn.“ Erst nachdem er bei Segera angefangen hatte, wurde er neugierig. Warum spenden Menschen aus aller Welt für Arterhaltung in Kenia? Was macht unsere Natur so besonders? Er las, recherchierte, unterhielt sich mit Rangern – und übernahm vier Jahre später die Naturschutzabteilung.

Benaiah Odhiambo lehnt am Wagen, ein ernster Mann mit Mission, der besorgt fragt: „Muss ich für das Foto lachen?“ Gleich beginnt die Trainingseinheit der drei Bloodhounds, jener schlappohrigen Hunde, die über eine der besten Spürnasen bei Haustieren verfügen. „Wir üben mit ihnen an sechs Tagen die Woche, wie sie Menschen aufspüren“, erklärt Odhiambo. Eine Person geht mit einem Ranger vor, versteckt sich im Dickicht und wartet darauf, dass die Hunde ihn finden. Das Ziel des Spiels: im Ernstfall Wilderer zu erwischen.

Wie eine Oase liegt Segera auf dem Laikipia-Plateau.

© Crookes and Jackson

Die Safarigäste können bei diesem Einsatz mitwirken und sich als Pirschobjekt zur Verfügung stellen. Während einer der Urlauber nun im Gebüsch verschwindet, erläutert Benaiah ein wenig die Gemengelage. Zwar sei die Wilderei in Kenia stark rückläufig und habe es auf dem Gelände von Segera in den vergangenen fünf Jahren keinen Zwischenfall gegeben, doch dürfe man die illegale Jagd nie ausschließen. Sie hängt wie ein Damoklesschwert über all ihren Bemühungen. 56 Mitarbeiter passen im Team auf Elefanten, Giraffen oder Löwen auf, 24 von ihnen haben sogar eine Art Polizistenstatus, der ihnen sofortige Festnahmen ermöglicht.

Dass die Wilderei gesunken ist, führt der Conservation Manager auf mehrere Gründe zurück. „Es gibt ein stärkeres Bewusstsein in der Bevölkerung, wie wichtig die Tiere für unsere Umwelt sind“, sagt er. Zudem seien die Strafen in Kenia abschreckend hoch, der Staat schickt Wilderer ins Gefängnis und verbrennt beispielsweise Elfenbein öffentlichkeitswirksam.

Jeden Tag trainiert die Hundestaffel in Segera.

© Crookes and Jackson

Außerdem beteiligen sich inzwischen mehr Dörfer am Naturschutz und genießen die ökonomischen Vorteile solcher Maßnahmen. Erst vor einigen Monaten hat im Süden Kenias, nahe dem Amboseli-Nationalpark, das Angama Amboseli eröffnet – ein Resort mit zehn Luxuszelten und Panoramablick auf den Kilimandscharo. Es ist das erste Schutzgebiet, das von einer Community gegründet wurde. Mehr als 800 Familien haben sich zusammengeschlossen, ihr Land einer Stiftung verpachtet, die sich für den Erhalt von Wildtierkorridoren einsetzt – und die Erlaubnis erteilt, im Kimana Sanctuary ein exklusives Hotel zu errichten.

In Segera flitzt nun Harley an langer Leine durch den Busch. Der Bloodhound hat Witterung aufgenommen, er zieht, zerrt und hechelt. Als er nach wenigen Minuten den Gast gefunden hat, wedelt er mit dem Schwanz und leckt ihm das Gesicht ab. Ob sich ein Wilderer darüber freuen würde? Während der Hund mit einer dicken Scheibe Wurst belohnt wird, erzählt Benaiah Odhiambo, wie beliebt die Tiere inzwischen in den Dörfern seien. Vergangenes Jahr habe sich ein Mädchen im Busch verirrt, die verzweifelten Eltern fragten bei den Rangern um Hilfe – und nach 24 Stunden fand ein Spürhund das Kind. Spätestens seitdem steht Naturschutz hoch im Kurs.

Demnächst stehen große Veränderungen an. 22 Breitmaul- und Spitzmaulnashörner werden aus anderen Reservaten nach Segera umgesiedelt, ein wichtiger Baustein im Erhalt der vom Aussterben bedrohten Arten. Die Dickhäuter zählen zu jenen Tieren, die auf dem afrikanischen Kontinent am erbarmungslosesten getötet werden. Auf dem Schwarzmarkt bringt ein Kilo des eigentlich nutzlosen, aber bei Vietnamesen wie Chinesen als Aphrodisiakum und Medizin begehrten Horns bis zu 50.000 Euro ein. Kein Wunder, dass sich der kriminelle Handel ähnlich dem von Drogen organisiert.

Dagegen müssen Benaiah Odhiambo und seine Ranger ankämpfen. Vorsichtshalber wurde deshalb ein Teil des privaten Schutzgebiets eingezäunt – in dem können sich die Tiere Reviere suchen und ihre Beschützer besser den Überblick behalten. Abends beim Fine-Dining im Restaurant des Hotels, es gibt unter anderem glasierte Schweinerippchen, in Zimt und Granatapfelkernen geschwenkten Blumenkohl, erfahren die Gäste noch von Hightech-Drohnen, die bei der Überwachung zum Einsatz kommen. Die hat ein Geschäftsmann aus dem Silicon Valley gespendet, sie können winzige Temperaturunterschiede erkennen und kamen bereits bei US-Militäroperationen in Afghanistan zum Einsatz. 

Benaiah wird die Operation von Computer und Jeep aus überwachen. An den Schreibtisch wird er nicht zurückkehren, er hat seine Aufgabe im Leben gefunden, seine Erfüllung unter freiem Himmel. „Wenn ich zu lange hier draußen bleibe, verwandle ich mich noch in ein Tier“, scherzt er zum Abschluss, am liebsten in einen Elefanten. Vor 15 Jahren hätte er über diesen Witz nicht gelacht.           

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