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Feiner Sand, schlimmer Tand: Strandbingo.

© Sascha Rettig

Plastikplage im Paradies: Strandbingo an der dänischen Westküste

An der Nordseeküste kann man spielerisch einiges über Plastikmüll erfahren – und aus dem gesammelten Plastik individuelle Souvenirs gießen.

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Unvorstellbar! Am Strand in Hvide Sande Plastik zu finden, scheint ein reichlich aussichtsloses Unterfangen zu sein. Blitzsauber sieht es an der dänischen Westküste aus. Der Sand ist weiß und fein. Das Gras in den aufgetürmten Dünen wiegt sich in der feinen Brise. Die Wellen schwappen an diesem sonnigen Urlaubstag ans Ufer.

„Glaubt mir!“, sagt Daniel Sano Mirecki, als sich nach einem kurzen Spazierweg durch die kleine Hafenstadt die Schuhe mit jedem Schritt im Sand eingraben. „Es wird nicht lange dauern!“ Mit einem Spiel will der Deutsch-Däne auf ein Umweltproblem aufmerksam machen, das längst nicht nur Dänemark, sondern die ganze Welt betrifft: angespülter Plastikmüll an den Stränden.

Dafür breitet er die Plane aus, die er unter dem Arm mit hergetragen hat. Sechs Felder sind darauf zu sehen – eines für jede Art von Plastik, das am Strand keine Seltenheit ist: vom Haushaltsmüll bis zu Fischernetzen, von winzigen Industrie-Pellets bis zu luftleeren Ballons. Wer alles einmal gefunden hat, hat Strand-Bingo. Das Spiel beginnt jetzt!

Daniel Sano Mirecki und sein schlimmstes Fundstück.

© Sascha Rettig

Zuerst scannen die Teilnehmer den Boden in direkter Umgebung. Doch es lohnt sich, zwischendurch den Kopf zu heben und in die Ferne zu schauen. Schließlich bekommt man einen Eindruck, warum viele Deutsche so gern hierherkommen, um Ferien zu machen.

Die Nordseeküste Jütlands ist äußerst verwöhnt von der Natur: Schier endlose Paradiesstrände, die von weißen und mit Grasbüscheln bewachsenen Sanddünen flankiert werden, ziehen sich das Ufer entlang. Hier kann man baden, entspannen oder sich für unterschiedlichste Wassersportarten in die Fluten stürzen.

Paradiesisch weite Strände säumen die Nordseeküste Jütlands.

© Sascha Rettig

Oder Ausflüge in die Umgebung unternehmen: durch Heide- und Naturschutzgebiete radeln oder Whiskys beim Tasting in der „Stauning Distillery“ probieren. Für einen historischen Kontrast sorgen die alten Bunkeranlagen, die hier und da zu finden sind. Relikte des Atlantikwalls aus dem Zweiten Weltkrieg, als Dänemark von Nazi-Deutschland besetzt war. Am Strand von Blåvand, weiter südlich, wurden sogar einige umfunktioniert: Mit Maultierköpfen und -schweifen versehen, gelten sie nun als Kunstobjekte – und überaus beliebte Fotomotive.

Auch Daniel Sano Mirecki zog 2019 ohne berufliche Pläne mit der Familie hierher, weil er so immer seiner Surf-Leidenschaft nachgehen kann. Dafür verließ der 49-Jährige Kopenhagen, hing seinen Schiffsmaklerjob an den Nagel und fand zusammen mit der Co-Inhaberin Katrine Kock Frandsen seine neue Bestimmung mit „omhu“. Übersetzt heißt das Wort Sorgfalt, mit dem Projekt möchten die Gründer auf die Umweltverschmutzung aufmerksam machen. Shop und Café laden im Zentrum von Hvide Sande zum Innehalten ein.

Der Ort mit seinem Fischerei-Museum, der Schleuse und dem Fischereihafen, wo täglich eine Fischauktion stattfindet, liegt mitten auf der Nehrung Holmlands Klit. Steigt man auf Dänemarks höchstem Leuchtturm Lyngvig Fyr die 280 Stufen und 38 Meter in die Höhe, hat man einen weiten Blick über diesen schmalen Landstreifen, die weiten Gewässer, über Campingplätze und Ferienhäuser, bis zu den Ortschaften mit maritimem Flair.

Zwischen Søndervig und Nymindegab trennt die Nehrung die Nordsee und den großen Ringköbing-Fjord voneinander, auf dem sich die Surfer gern vom Wind herumpusten lassen. Über 40 Kilometer ist sie lang, aber nur ein bis zwei Kilometer breit. Egal, wo man sich befindet, ob Einheimischer oder Urlauber, man ist immer nah am Wasser.

Mehr als 28.000 Kilo Müll entfernt

Am 52 Kilometer langen Strand der Kommune landen laut Daniel etwa 100 Tonnen Müll pro Jahr. Zwischen 2020 und 2024 wurden durch das Projekt in der Gegend immerhin mehr als 28.000 Kilo Müll entfernt. „An unserer Küste werden Netze und Schnüre der Fischerei-Industrie angespült, aber auch jede Menge Haushaltsmüll aus Deutschland – der kommt über die Elbe hierher“, sagt Daniel. Luftballons kämen hingegen häufig aus Großbritannien rübergeweht.

Was das bedeutet, sieht man sofort, während man den eigentlich sauberen Strand genauer unter die Lupe nimmt. Hier liegen zwei Wattestäbchen, dort verblichene Verpackungen und die Reste eines Luftballons. Nach gründlicher Recherche findet man viele der winzigen, runden Plastikpellets, die in der Industrie verwendet werden. Wie kommen die an die Strände? Auf unterschiedlichen (Um-)Wegen, so Daniel: „Die gehen zum Beispiel containerweise beim Transport über Bord oder werden bei der Produktion in den Fabriken in die Gullis gefegt.“

Er und seine Mitgründerin Katrine Kock Frandsen hatten sich bei einer Müllsammel-Aktion am Strand kennengelernt, die sie organisiert hatte. „Was Gutes machen und am Strand sein – ich fand das eine geile Idee“, erinnert sich der in Hamburg geborene Umweltretter. 2020 machten sie aus ihrer Leidenschaft ernst und gründeten Omhu. Ihr Anliegen: die Natur pfleglich zu behandeln, Ordnung zu schaffen.

Im Winter organisiert Daniel Schulprojekte, im Sommer jeden Mittwoch eine Strandreinigung. Jeder kann kommen und beim Müllsammeln helfen. Daniel hofft nicht nur, die Leute mit den Aktionen zu mehr Umweltschutz zu bewegen. Alles ohne erhobenen Zeigefinger, sondern mit einem Lächeln und einer Belohnung für die getane Arbeit, bei der er den Sammelnden erklärt, was hier warum liegt. „Trash talk“, nennt er das ironisch.

Ausflug ins Städtchen Hvide Sande.

© Sascha Rettig

Eigentlich darf man sich nichts nehmen, was am Strand liegt. Das gehöre nach einem uralten Gesetz dem Königreich. „Wenn wir was Wertvolles finden, melden wir es dem Strandvogt“, sagt Daniel. „Wir sammeln aber normalerweise eh nur Müll.“ Und davon nimmt er sich, was er gebrauchen kann – der Rest wird entsorgt.

Plastikmüll zu Schlüsselanhängern

Im kleinen Shop, der zu „omhu:“ gehört, verkauft er Souvenirs aus dem gefundenen Plastik. Man kann sich zudem sein persönliches Erinnerungsstück gießen. Dafür haben die Macher von omhu sich eine Maschine bauen lassen: Das 220 Grad heiße Plastik spritzt man damit wie zähflüssiges Kaugummi in unterschiedlichste Förmchen für Schlüsselanhänger oder Armbänder.

„Nicht jedes Plastik ist dafür geeignet“, erklärt Daniel. PET-Flaschen seien beispielsweise giftig beim Erhitzen. HDPE-Plastik von alten Fischkisten oder Shampoo-Flaschen hingegen ließe sich gut weiterverarbeiten. Waschen, schreddern, schmelzen und dann mit der Maschine in eine Form drücken. Die Farbmischungen jedes Stücks sehen anders aus. Jedes Teil ist ein individuelles Souvenir.   

Zurück zum Plastiksammeln am Strand. Dort hat es nicht lange gedauert, schon ruft jemand „Bingo!“. Jedes der Teilchen war im Umkreis von wenigen Metern im Sand versteckt. Daniel sieht den Strand heute anders – und mehr als nur die Wellen zum Surfen. Auch bei den Mitsammelnden und Bingo-Spielenden weckt er das Bewusstsein und schärft den Blick. Man sieht die Strände danach mit anderen Augen, weniger traumhaft sind sie deshalb nicht.

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