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Von TISCH zu TISCH: Rio Grande

Backhendl mit Kartoffelsalat

Wiener Schnitzel mag vermutlich jeder Nicht-Vegetarier – eine seltsame Karriere für ein Gericht, das vor ein paar Jahrzehnten den gastronomischen Stillstand verkörperte wie sonst nur noch Jägerschnitzel und Kohlroulade. Und auch die deutschen Feinde von Topfenknödel und Kaiserschmarrn dürften in einen recht kleinen Saal passen. Generell hat sich die österreichische Küche im Land der Piefkes nach und nach zu einem Selbstläufer entwickelt – man könnte sagen, dass Wien das neue Paris ist, wenn man es aus der Sicht mittlerer Berliner Restaurants betrachtet.

Doch leider wird uns fast immer nur das Klischee serviert, fern jeden kulinarischen Zeitgeists: Wiener Schnitzel ist in den besten Wiener Restaurants genauso wenig zu bekommen wie ein Steak frites in den Pariser Sternetempeln. Die Brücke von diesen Überlegungen zurück nach Berlin ist schnell geschlagen, und zwar seltsamerweise mithilfe eines Restaurants, das „Rio Grande“ heißt. Der Berliner Rio Grande ist bekanntlich die Spree, und deshalb befindet es sich am Ufer, auf der Kreuzberger Seite, gleich neben der Oberbaumbrücke. Das ist zunächst einmal: ein toller Ort mit Aussicht. Die Enten schwimmen vor dem Fenster vorbei, von drüben irrlichtert die O2-Arena, die U-Bahn klappert über die Brücke – wenn hier nicht alsbald sämtliche in Berlin spielenden TV-Serien durchreisen, läuft was grundsätzlich schief.

Chefin ist Edith Berlinger, die aus Österreich kommt und auch das höher angesiedelte „Horvath“ führt, mithin genügend Expertise für die richtige Dosis Schmäh mitbringt. Und, vor allem, auch für eine nicht zu klischeeverhaftete Küche. Denn es gibt in der Standardkarte zwar allerhand Klassiker, aber auch eine Tageskarte, in der die Küche etwas weiter ausholen darf. Beispielsweise um eine so einfache wie wirkungsvolle Vorspeise wie die Räucherforellenfilets mit Salat von roten Beten und einer Meerrettichterrine aufzutischen. Ich hätte mir zwar den Meerrettich viel durchschlagskräftiger vorstellen können, aber es ergab sich dennoch ein höchst angenehmes Gesamtbild.

Das galt in höherem Maße auch für das Backhendl, das hier überraschenderweise offiziell nur als Vorspeise, aber doch mit dem rituellen Kartoffelsalat, Kürbiskernen und Kernöl serviert wird – köstlich. Die Rindskraftbrühe mit Flädle hat Substanz und Würze ohne faule Tricks, und auch die gänzlich donaufernen Jakobsmuscheln mit Blutorangen-Fenchel, dezent mit Orangenschaum überflufft, schmecken prima, eine ausgezeichnete Sache gemessen am kleinen Preis (9,50). Unter den recht fleischlastigen Hauptgängen gefiel uns das Lammkarree auf geschmortem Lammragout mit grünen Bohnenkernen und Kartoffelkrapfen. Man muss auch nicht Vegetarier sein, um die Auberginen-Polenta-Rolle mit Zucchinigemüse zu mögen; so etwas wird hier natürlich nicht auf Bestellung frisch à la minute zubereitet, sondern steht schon in der Küche und ist deshalb batziger, als es sein könnte. Aber das scheint mir angesichts der freundlichen Kalkulation vertretbar.

Nur bei den Desserts übertreiben sie es etwas: Die Topfenknödel mit saurem, charakterlosem Zwetschgenkompott kommen so schnell aus der Küche, als müsste der Chef noch die Bahn kriegen, und auch der lätscherte Apfelstrudel (mit kräftig überdosiertem Limettenaroma) ist sicher besser gewesen, als er frisch gebacken war. Nehmen wir es nicht so tragisch: Ein Drei-Gang-Menü aus der Tageskarte beispielsweise kostet 28 Euro, das ist außerordentlich günstig, gemessen an der Über-alles-Qualität.

Was haben wir noch? Österreichische und deutsche Weine dominieren die Weinkarte, die mit ihrem überschaubaren, aber kundig zusammengestellten Programm gut zum Essen passt. Mit dem herausragenden, saftigen Lagen-Veltliner von Fred Loimer für 38,50 ist das obere Ende der Fahnenstange fast schon erreicht. Und auch der solide Chardonnay-Sekt von Schlumberger für 3,90 Euro pro Glas zeigt, wie sich hier Gastfreundschaft und Vernunft zu einem bezahlbaren Gesamtkunstwerk vereinen.

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