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Ist Geldverschenken ein Netztrend, der die Welt ein Stück besser machen wird?

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Scheinheilige Youtube-Philantropen: „500 Euro für Obdachlosen (sehr emotional)“

Junge, schicke Influencer generieren Klicks mit Videos, in denen sie armen Menschen Geld schenken. Wie zynisch ist das bitte?

Eine Kolumne von Sebastian Leber

In einem seiner Videos hält der Youtuber Mois einem Obdachlosen seine Kreditkarte hin. Mit dieser könne der Bedürftige nun einmalig so viel Geld abheben, wie er wolle – und dann alles behalten. Der Obdachlose ziert sich, es ist ihm sichtlich unangenehm. Er sagt, er könne das nicht tun. Doch Mois ermahnt ihn, seine Spielregeln einzuhalten. Schließlich hebt der Mann 100 Euro ab, und weil er so bescheiden war, gibt Mois gleich noch 100 Euro obendrauf. Der Mann bricht in Tränen aus, die Kamera zoomt heran, filmt ihm direkt ins Gesicht. Mois sagt: „Du verdienst das tausendmal mehr als wir alle, Bruder.“

Videos wie dieses findet man jetzt haufenweise in den sozialen Netzwerken. Sie tragen Namen wie „500 Euro für Obdachlosen (sehr emotional)“ oder „Sie kann nicht glauben, dass ich ihre Miete zahle!“ oder auch „Zehn Obdachlose einkleiden (Gänsehaut)“. Das wiederkehrende Prinzip: Junge, schick gekleidete Influencer filmen sich dabei, wie sie fremde, mittellose Menschen beschenken. Sie stellen sowohl ihre eigene Wohltätigkeit als auch die Dankbarkeit des Beschenkten zur Schau.

Ist das ein Netztrend, der die Welt ein Stück besser machen wird? Gehört dieser neue Online-Altruismus nicht gefeiert?

Die Wohltaten könnten Nachahmer inspirieren

Vielleicht schaffen die Videos ein öffentliches Bewusstsein für Menschen am Rand der Gesellschaft. Vielleicht wollen ihre Macher tatsächlich nur das Beste. Vielleicht sind sie anderen Ansporn, selbst Gutes zu tun. Einerseits.

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Deutschlands bekanntester Youtube-Philanthrop Mois ist 31 Jahre alt und schon länger als Influencer aktiv. Bevor er die Wohltätigkeit für sich entdeckte, kommentierte er auf seinem Kanal Gangstarap-Videos. Mois hat eine Begabung für schräge Metaphern und Sinnsprüche, die geradezu philosophisch klingen, solange man nicht zu viel über sie nachdenkt. Dass Veränderung zum Leben dazugehöre, erklärt Mois seinen Zuschauern etwa damit, dass „vier Mal im Jahr Blätter von den Bäumen fallen“.

Manche Obdachlose werden heimlich gefilmt

Seine Bedürftigen sucht er sich in den Innenstädten von Krefeld und Düsseldorf. Die Aufnahmen unterlegt er gern mit melancholisch-schmalzigem Pianogeklimper. Je rührseliger, desto besser, denn er selbst verdient an den Videos durch Klicks und Werbeeinnahmen. Manche Obdachlose werden heimlich aufgenommen, manchen merkt man deutlich an, dass sie nicht gefilmt werden möchten. Oft werden sie Teil eines „Experiments“, wie Mois es nennt. Zum Beispiel hängt er in einer Fußgängerzone Geldscheine auf und hinterlässt als Nachricht eine Anweisung: Jeder Obdachlose solle sich bloß einen Schein nehmen.

Dann filmt er versteckt aus der Ferne und empört sich, als ein Obdachloser alles Geld einsteckt. Mois nennt ihn „irgendso ein Junkie“ und erklärt, in Deutschland müsse doch ohnehin niemand obdachlos sein. Schließlich gebe es ja Menschen wie ihn, Mois, die den Spitzensteuersatz zahlten. Er behauptet, von 1000 Obdachlosen wolle in Wahrheit nur ein einziger wirklich von der Straße wegkommen.

An einem anderen Tag will Mois einem Obdachlosen Bücher kaufen. Er sagt zu ihm: „Das ist wie so ein Fernseher für dich, glaube ich. Sowas hilft dir seelisch viel weiter als irgendwelche Geschenke.”

Natürlich darf und soll man über Gutes reden, das man tut. [...]. Die Art und Weise jedoch wie das hier geschieht, ist mehr als zynisch und lässt jeden Respekt vor den Menschen fehlen.

Schreibt Community-Mitglied Rembrandt66

Ist das Umstyling von Wohnungslosen eine gute Tat?

Die deutschen Wohltätigkeits-Youtuber haben sich das Genre nicht ausgedacht. Ihr Vorbild ist der 24-jährige US-Amerikaner Jimmy Donaldson, der als „Mr. Beast“ auf Youtube geschätzte 54 Millionen Dollar pro Jahr verdient. Donaldson wurde bekannt, weil er sich dabei filmte, wie er am Stück von 0 bis 100.000 zählte. Er brauchte dafür 40 Stunden. Inzwischen wird er vor allem für seine Hilfsaktionen gefeiert. Anfang des Jahres gab Mr. Beast bekannt, er habe 1000 Menschen eine Augen-Operation finanziert. „Charity-Porno“ nennen Kritiker das.

Pfandhaus unterschätzt man, aber hier sieht man echt die meisten Emotionen, das ist echt krass.

Mois, Youtuber

Ein Berliner Influencer stellt Obdachlose vor die Wahl, ob sie etwas Essen oder nicht lieber Alkohol geschenkt bekommen möchten. Ein anderer verpasst ihnen kostenlose „Umstylings“ und verschenkt Hotel-Übernachtungen („Du kannst dich duschen, du kannst dich komplett duschen“). Man könnte diese Videos für genial halten, hätten ihre Urheber sie als zynische Persiflage auf PR-Strategen und deren Leitsatz „Gutes tun und drüber reden“ konzipiert. Doch sie sind – nach allem, was man weiß – leider ernst gemeint.

Mois filmt inzwischen auch im Pfandhaus und bietet Menschen an, ihre Schulden zu begleichen. Er sagt: „Pfandhaus unterschätzt man, aber hier sieht man echt die meisten Emotionen, das ist echt krass.“ Einer Frau gibt er Geld, damit sie sich ihre verpfändete Spielekonsole zurückholen kann. Mois erklärt, sie könne sein Geld sowieso besser gebrauchen „als Obdachlose, die es eh für Drogen verwenden“.

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