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Besinnliche Einkaufszeit.

© Foto: imago images/Müller-Stauffenberg

Shopping in Krisenzeiten: Ich entscheide, also bin ich

Konsumentscheidungen sind ein Akt der Selbstermächtigung. So gesehen können verkaufsoffene Adventssonntage therapeutische Wirkung entfalten.

Ein Kommentar von Ariane Bemmer

Und nun zum Konsumklima! Alle reden von Inflation, von Verarmungsängsten, von explodierenden Stromkosten und stillgelegten Heizungen. Wie soll da Weihnachtsstimmung aufkommen, sprich: Geschenke, Geschenke, Geschenke? Das passt einerseits gar nicht zusammen, ko-existiert andererseits aber erstaunlicherweise dennoch, sogar recht konfliktfrei.

Die Gesellschaft für Konsumforschung hat kürzlich festgestellt, dass sich mitten in sämtlichen Schreckensmeldungen zur fortschreitenden Wohlstandsabnahme die Verbraucherstimmung in Deutschland bereits wieder stabilisiert und auch die sogenannte „Anschaffungsneigung“ nur minimale Einbußen erfährt.

Das muss keinesfalls heißen, dass a) die Menschen wahnsinnig geworden sind oder b) ihre Shoppinglust als Und-dann-die-Sintflut-Verzweiflungstat zu deuten ist. Vielmehr steckt im Einkaufen für die modernen Menschen auch ein Akt der Selbstermächtigung, so erläutern es die Experten vom Rheingold-Institut, das auf tiefenpsychologische Gesellschaftsforschung spezialisiert ist. Und weil das so ist, ist das Shopping auch nicht so einfach aus dem Alltag zu streichen.

Im Entscheidungsprozess, ob man dieses kauft oder jenes oder vielleicht auch beides nicht, sondern etwas ganz anderes, erleben die Einkaufenden sich als handlungsfähig. Ich entscheide, also bin ich.

Und so könnte man sagen, dass Einkaufen umso wichtiger für die Einzelnen wird, je mehr sie das Gefühl haben, fremdbestimmt einem Schicksal entgegenzutrudeln, das sie nicht beeinflussen können: Krieg in Russland, Energieengpässe, Inflation, Außenwirtschaftskonflikte mit China, nahende industriepolitische Probleme mit den USA. Die Eckpunkte für Zukunftssorgen nehmen rasant zu, und irgendwo muss sich das Entlastung verschaffen.

Bei Beziehungsproblemen nennen sich entsprechende Kaufräusche „Frust-Shopping“, aber das impliziert meist auch schon den nachfolgenden Hangover, den Kater nach dem Exzess, wenn man zwischen viel zu viel Eingekauftem langsam feststellt, dass das Beziehungsproblem sich dadurch kein bisschen verändert hat. Dass man das anders lösen muss.

Diese Option fällt beim Kompensationsshopping gegen die globalen Krisen flach: Man kann hier nicht wirklich etwas bewegen, man kann nur zusehen, dass man nicht völlig die Nerven verliert.

Insofern könnte der verkaufsoffene Sonntag, den Berlin und Brandenburg an diesem vierten Advent nochmal ausgerufen haben, geradezu gesellschaftstherapeutische Wirkung entfalten.

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