
© Foto: dpa/ Stefan Puchner
Stirbt der Almabtrieb aus?: Im Allgäu finden Kühe ohne Spektakel ins Tal
Vor Corona war die Rückkehr der Tiere zum Bauern immer ein großes Fest zu Endes des Sommers. Nun geht es oft ruhiger zu.
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Bis zu 32 Kilometer Hufmarsch können sich die rund 250 Alp-Kühe der Weidgenossenschaft Maierhöfen dieses Jahr sparen – erstmals nach mehr als einem halben Jahrhundert. Jahr für Jahr hatten die Bergbauern ihr Vieh nach dem Alpsommer von den hochgelegenen Weiden in die Allgäuer Gemeinde im Landkreis Lindau zurückgetrieben und diesen Viehscheid mit teils mehr als 10000 Besuchern gefeiert. Doch nach zwei Jahren Corona-Zwangspause ist damit vorerst Schluss: Die Kühe werden in Tiertransportern zurück auf die Höfe gebracht.
Maierhöfen ist mit dem Abschied von der Viehscheid-Feier nicht allein. Die Gemeinde Obermaiselstein im Oberallgäu will „zurück zu den Wurzeln“ – und verzichtet beim diesjährigen Viehscheid am 24. September auf große Feste. Die rund 1400 Tiere werden zudem nicht an einen einzigen Platz im Ort getrieben, sondern an mehrere dezentrale Plätze, von denen es zurück in die Herbst- und Winterquartiere geht.
Die Atmosphäre werde „ganz, ganz anders sein“, wirbt die Tourist-Info der Gemeinde für das Konzept. „Ein wenig entspannter und der eigentliche Anlass wird wieder mehr in den Vordergrund gerückt.“ Ist die Zeit der Viehscheide als Touristen-Spektakel also vorbei?
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Die Landwirte mussten sich ständig rechtfertigen
Über Jahrzehnte waren die Veranstaltungen im Allgäu mit geschmückten Rindern, Blaskapellen und Festzelten ein Publikumsmagnet für Zehntausende Besucher. Bei den so genannten Viehscheiden treiben die Alphirten rund ein Drittel der etwa 31000 Rinder von den Bergen zurück ins Tal. Dort werden sie von ihren Hirten „geschieden“ und den Besitzern zurückgegeben.
2019 empfahl der Reiseführer „Lonely Planet“ den Brauch als eines von 1000 „einmaligen Erlebnissen“ in Europa – und hat ihn damit zu einer sehenswerten Touristenattraktion erhoben. Doch schon während der Corona-Zwangspause hatten einige Alpwirte betont, ohne die großen Feiern sei das Ende des Alpsommers für Mensch und Tier entspannter.
„Es gibt Behinderungen des Verkehrs durch die Menschenmassen, die Unfallgefahr steigt, und beim Treiben und Verladen des Viehs müssen sich Landwirte ständig rechtfertigen“, sagt der Geschäftsführer des Alpwirtschaftlichen Vereins im Allgäu, Michael Honisch. „Viele Beschläger und Älpler haben es in den Corona-Jahren geschätzt, als es ruhig und stressfrei vonstattenging.“
Dass nun in einigen Gemeinden auf Viehscheid-Feste verzichtet wird, hat aber auch andere Gründe. In Maierhöfen hätten die Bergbauern schon seit Jahren Kritik und Drohungen erhalten, weil der Hufmarsch zurück ins Tal als Tierquälerei angesehen worden sei, sagt der dortige Viehscheid-Vereinschef Thomas Holzer.
„Bei einigen fehlt aber auch das Personal, um so einen langen Alpzug zu ermöglichen.“ Dass überhaupt über ein Ende der Tradition nachgedacht worden sei, liege an der Pandemie-Pause: „Corona war da definitiv ausschlaggebend.“
Es wurde auch von den Älplern gesagt, das ist zu viel Rummel, Show und Party.
Bernhard Joachim, Geschäftsführer der Allgäu GmbH
Viele andere Gemeinden hätten sich im Gegensatz dazu aber wieder für Viehscheide wie vor der Pandemie entschieden, betont der Geschäftsführer der Allgäu GmbH, Bernhard Joachim.
Darunter seien auch beliebte Urlaubsorte mit großen Feiern wie Oberstaufen, Oberstdorf, Bad Hindelang und Pfronten. Schließlich seien die Viehscheide für viele Menschen ein „Reiseanlass“ – und verlängerten so die Hauptsaison im Allgäu über die Ferienzeit hinaus.
„Teilweise wurde auch von den Älplern gesagt, das ist zu viel Rummel, Show und Party“, sagt Joachim. „Aber die Älpler waren über viele Jahre Teil dieses Spektakels. Und sie haben selbst auch davon profitiert, zum Beispiel, indem sie in dieser Zeit Ferienwohnungen vermieten konnten.“
Ein Heimatfest als Ersatz
Dabei müssten Viehscheide nicht immer mit großen Festzelten gefeiert werden. „Man kann das auch weiterentwickeln und zum Beispiel einen Regionalmarkt veranstalten“, sagt Joachim. „Aber die Bereitschaft, den Alpsommer mit einem Fest zu beenden, die sollte beibehalten werden, auch aus Sicht des Tourismus.“
Diese Bereitschaft ist auch in Maierhöfen geblieben. Statt eines Viehscheids werde es dieses Jahr ein Heimatfest zum Ende des Alpsommers geben – aber eben ohne geschmückte Kühe, sagt Vereinsvorsitzender Holzer. „Da werden von weit weg sicher weniger Besucher kommen. Das Interessante, Schöne fällt für die ja weg.“
Bei der Allgäu GmbH ist man unterdessen zuversichtlich, dass die Viehscheid-Tradition in der Region auch in Zukunft weitergeführt wird. „Ich glaube schon, dass sich das eine oder andere Fest weiterentwickelt“, sagt Geschäftsführer Joachim. „Aber dass es nicht mehr stattfindet, glaube ich nicht.“
Auch der Alpwirtschaftliche Verein betont, die Viehscheide seien ein Gewinn. „Aber die Feiern haben mancherorts Volksfestcharakter erhalten“, sagt Geschäftsführer Honisch. „Der landwirtschaftliche Aspekt trat bisweilen zu sehr in den Hintergrund.“
Nach der Corona-Pause versuchten viele Kommunen aber nun, wieder mehr Rücksicht auf Älpler und Kühe zu nehmen. Denn die Pandemie habe in jedem Fall gezeigt: „Dass ohne Viehscheid im Allgäu etwas fehlt.“ (dpa)
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