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Mehr Menschen in Deutschland fühlen sich alleine. (Symbolbild)

© dpa/Jonas Walzberg

„Studie hat uns alarmiert“: Das „Wir-Gefühl“ geht verloren – und kaum jemand glaubt, dass es zurückkehrt

Die Gesprächsfäden reißen ab, das Zusammengehörigkeitsgefühl in der Bevölkerung sinkt. Das belegt eine neue Studie. Die zugleich auch eine große Sehnsucht danach festgestellt hat.

Stand:

Die Menschen in Deutschland haben in den vergangenen zwei Jahren einen Verlust von Verbundenheit erlebt: Ganze 89 Prozent stimmen 2025 der Aussage zu, dass die Gesellschaft gespalten und ein gemeinsames „Wir-Gefühl“ verloren gegangen sei. 2023 waren es 83 Prozent.

87 Prozent nehmen eine wachsende Trennung und Vereinzelung in der Gesellschaft wahr, die sie besorgt. Und nur noch neun Prozent der Menschen glauben, dass sich das Gemeinschaftsgefühl in den nächsten zehn Jahren verbessern werde. 2023 glaubten das noch 17 Prozent.

Das sind Ergebnisse einer Studie zur Verbundenheit, die das Rheingold Institut durchgeführt hat im Auftrag der gemeinnützigen Düsseldorfer Stiftung „Identity Foundation“, die seit 2014 Kooperationspartner der phil.cologne ist, einem jährlichen Philosophie-Festival.

Es sind Ergebnisse, derentwegen Rheingold-Chef Stephan Grünewald sagt: „Die Studie hat uns alarmiert.“

Grünewald bezieht das vor allem auf die Verschlechterungen im Vergleich zu einer Vorgängerstudie aus dem Jahr 2023, für die das Institut wie diesmal auch 32 zweistündige tiefenpsychologische Interviews geführt und 1001 Menschen online bevölkerungsrepräsentativ befragt hatte.

95 Prozent wünschen sich mehr Zusammengehörigkeit

Der konstatierten fehlenden Verbundenheit steht in weiten Teilen der Bevölkerung eine große Sehnsucht nach Gemeinschaftsgefühl und Zusammengehörigkeit gegenüber. So bejahten 95 Prozent der Befragten die Aussage, dass angesichts der weltpolitischen Lage wieder mehr Zusammenhalt in Deutschland nötig sei. 77 Prozent gaben an, sich mehr „echte Gemeinschaftserlebnisse“ zu wünschen – und zwar auch mit Menschen, die anders denken als sie.

Die Gesprächsfäden unter den Gesinnungsbiotopen reißen ab.

Stephan Grünewald, Rheingold Institut

In der Realität werde Verbundenheit aber vor allem im Familien- und Freundeskreis erlebt, erklärt Grünewald. Die Rückzugsorte entwickelten sich zu Bollwerken, in denen Haltungen und Meinungen sich weiter zementierten, wodurch Anschlussfähigkeit ans „Außen“ weiter abnehme. „Die Gesprächsfäden unter den Gesinnungsbiotopen reißen ab“, resümiert Grünewald. Im Kern würden die einzelnen Gruppen unversöhnlicher.

89 Prozent beklagen Aggression im Umgang

Das schlage auf das allgemeine Sicherheitsgefühl durch. 89 Prozent (2023: 84 Prozent) empfinden das Miteinander in der Gesellschaft als aggressiv, die Spannungen entladen sich in den Augen der Menschen immer öfter in verbalen Angriffen.

Eine Möglichkeit, der Gesellschaft zur ersehnten Verbundenheit zu verhelfen, führe über „sichere Räume“, sagt Grünewald. Was durchaus auch als Handlungsauftrag an die Lokalpolitik zu verstehen sei, die mit Instandhaltung von Infrastruktur und ähnlichem dafür sorgen könne, dass Beständigkeit im Umfeld den Menschen ein gutes Gefühl von Geborgenheit liefere.

Junge Menschen leiden besonders unter der abnehmenden Verbundenheit

Vor allem junge Menschen leiden den Studienautoren zufolge. Sie spürten weniger Konflikte zwischen den Generationen, als Konflikte innerhalb ihrer Generation. Um sich nicht angreifbar zu machen, griffen viele junge Menschen zu einer Art „Tarnkappenstrategie“, sie mieden offene Bekenntnisse und klare Ansagen.

Das erkläre auch den Erfolg der Linken-Politikerin Heidi Reichinnek bei den Jüngeren: Sie beziehe beherzt klare Positionen und nehme dafür Anfeindungen in Kauf.

Furchtlos und darum beliebt: Heidi Reichinnek, Vorsitzende der Fraktion Die Linke im Bundestag.

© imago/Chris Emil Janßen/IMAGO/Chris Emil Janssen

Zum Thema Politik konnten die Studienautoren auch nichts Beruhigendes melden: Nur ein Drittel der Menschen (34 Prozent) vertraut noch den demokratischen Institutionen. Und nicht mal mehr die Hälfte der Bevölkerung (47 Prozent) gab an, dass sie Vertrauen in die öffentlich-rechtlichen Medien hat.

Paul Kohtes, Vorsitzender der „Identity Foundation“, zeigt sich besorgt über das Ergebnis: Das Land durchlebe „einen erschreckenden Mangel der Verbundenheit“, sagt er. Ob die Politik da helfen kann?

Dem erteilt Nadja Rosmann, ebenfalls von der Stiftung, eine deutliche Absage: „Diese Ära geht zu Ende“, sagt sie. Die Rufe nach der Politik seien ein „restaurativer Ansatz“, der kaum mehr erfolgversprechend sei. Eher sollte man lernen zu „verkraften, dass wir hier etwas verlieren“.

Dem pflichtet Stephan Grünewald bei. Für die Verbundenheit der Menschen untereinander seien die Menschen auch selbst zuständig: indem sie offen blieben, sich einbrächten, anderen zuhörten, sich im Perspektivwechsel übten. Das sei für jeden eine eigene Aufgabe  – und führe zum guten Erleben von Selbstwirksamkeit. Die dann auch in Gemeinschaft münden könne.

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