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Wurmlinger Pfingstritt Jahrgang 1999/2000

© imago images / Eibner

Tradition ohne Anstand: In Wurmlingen reitet der Rassismus mit

Traditionen können Identität stiften – oder ausgrenzen. Der „Mohrenkönig“ aus Baden-Württemberg steht für letzteres und wird trotzdem gefeiert. Warum das kein Randproblem ist.

Ronja Merkel
Ein Kommentar von Ronja Merkel

Stand:

In manchen Momenten kann man fast glauben, diese Gesellschaft hätte sich von ihren kolonialen Abgründen gelöst. Man hofft, dass die peinlichsten Kapitel weißer Überheblichkeit endlich im Archiv der Geschichte ruhen; zusammen mit den rassistischen Karikaturen und den überheblichen N*-Liedern aus Omas Gesangsbuch.

Doch dann kommt ein kleiner Ort in Baden-Württemberg daher und demonstriert, wie brüchig dieser Fortschritt ist. Mit stolz geschwärzten Gesichtern und einem Symbol, das man allen Ernstes für identitätsstiftend hält.

Der Pfingstritt in Wurmlingen an diesem Montag wird wieder überschattet von der Rückkehr des sogenannten „Mohrenkönigs“, dessen Gesicht tiefschwarz bemalt ist. Die Lokalpolitiker verteidigen das als „stolze Symbolfigur“, man wolle sich ja nicht vom Zeitgeist knechten lassen, und drei Frauen im Organisationsteam würden die angebliche Vielfalt unterstreichen.

Gleichzeitig ist es beklemmend, wie viele Menschen vor Ort zwar protestieren – aber lieber schweigen. Denn die Angst vor dem sozialen Ausschluss scheint größer als das Unbehagen über ein rassistisches Relikt. Kein Dorfidyll, sondern Herdentrieb in Aktion.

Tradition ist keine Rechtfertigung für Demütigung

Wurmlingen, ein 2600-Seelen-Ort im Neckartal nahe Tübingen, inszeniert sich als Gemeinschaft mit brachialem Nostalgie-Faible. Jüngst erhob die Gemeinde den Pferderitt – begleitet von Festzelt, Liedern und dem „Mohrenkönig“ – zum vermeintlichen Höhepunkt ihres Festjahres. Tradition? Ja. Aber welche? Die, Schwarze Haut zum Spektakel zu degradieren? Tradition ist keine Rechtfertigung für Demütigung.

Der Begriff „Mohr“ ist nicht neutral, er ist historisch brutal belastet. Es macht wütend, wenn Abgeordnete heute behaupten, das sei gesittetes Brauchtum.

Ronja Merkel, Tagesspiegel-Redakteurin

Blackfacing ist kein folkloristischer Spaß oder harmloser Anachronismus, sondern eine fortbestehende Praxis aus dem kolonialen Karikatur-Kosmos des 19. Jahrhunderts. Rassistisch, entmenschlichend, und immer noch furchtbar aktuell.

Der Begriff „Mohr“ ist nicht neutral, er ist historisch brutal belastet. Es macht wütend, wenn Abgeordnete heute behaupten, das alles sei harmlos oder gesittetes Brauchtum – und damit zielstrebig ihre Verantwortung verweigern.

Forderungen nach Straßenumbenennungen (wie hier in Berlin) und Rassismuskritik gewinnen in der heutigen Zeit an Dringlichkeit – da wirkt Wurmlingen wie ein Ort, der den Anschluss verloren hat.

© imago images/Christian Spicker

Die rituelle Rückkehr zur Maskerade offenbart: Es ist modern langweilig geworden, andere Menschen zu demütigen – also bedient man sich leicht verstaubter, aber wirkmächtiger Symbole. Eine Regel würde genügen: Spaß darf sein – aber bitte nicht auf Kosten anderer. Wer meint, rassistische Witze und mittelalterliche Maskengerichte zu brauchen, offenbart: Er führt offenbar ein ziemlich trauriges Leben.

Wurmlingen wird zum Mahnmal der Ignoranz

Was Wut und Fassungslosigkeit trifft: Pauschal wird Kritik jetzt schon mit „Das ist doch nur Spaß“ oder „Jetzt kommt wieder das Woke-Geschrei“ gekontert, jede Form von Empörung als überzogener Moralismus denunziert. Dabei ist Respekt keine überzogene Tugend, sondern schlicht das Minimum zivilisierter Koexistenz. Und die beginnt damit, nicht nach unten zu treten.

In einer Zeit, in der Diskussionen um Kolonialhistorie, Straßenumbenennungen oder Rassismuskritik an Dringlichkeit gewinnen, wirkt Wurmlingen wie ein Ort, der den Anschluss verloren hat. Wer sich selbst keine Grenzen setzt, verteidigt nicht die Freiheit, sondern die Demütigung.

Wurmlingen ist an diesem Pfingstmontag kein Ausdruck von Lebensfreude, sondern ein Mahnmal der Ignoranz. Denn Tradition lebt nur dann weiter, wenn sie nicht die Würde anderer aushebelt. Wer das nicht einsieht, hat das Prinzip einer offenen Gesellschaft nicht verstanden. Und macht sich lächerlich – nicht nur in Baden-Württemberg, sondern weit darüber hinaus.

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