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Xavier Naidoo im Fernsehen.

© dpa/Henning Kaiser

Xavier Naidoos Konzert in Köln: Dieses Comeback richtet Schaden an

Er verbreitete Lügen und schlimmsten Hass. Jetzt füllt Xavier Naidoo wieder Hallen. Weshalb dieser Einschnitt zur weiteren Normalisierung von Antisemitismus führen wird.

Sebastian Leber
Eine Kolumne von Sebastian Leber

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Er schrieb Sätze wie „Ich kann den sogenannten Juden nichts mehr glauben“ und „Ziemlich viele Juden in diesen Kinderschänder-Dreck verwickelt“. Er verbreitete die antisemitische Hetzschrift „Die Protokolle der Weisen von Zion“ inklusive des Hinweises, das Buch sei eines der „wichtigsten Dokumente der Menschheitsgeschichte“. Er verbreitete auch ein Video mit der Aussage, der Holocaust sei eine „gelungene historische Fiktion“.

Angemessen entschuldigt hat sich Xavier Naidoo dafür nie. Dass einem nun Menschen, die finanziell von Naidoos Comeback profitieren, das Gegenteil weismachen wollen, ist ökonomisch nachvollziehbar, aber trotzdem hochgradig unappetitlich.

Andere argumentieren, man könne doch zwischen Künstler und Werk trennen. Das denke ich auch. Jeder soll, logischerweise, genau die Musik hören, die er möchte. Denn es geht doch immer darum, was die jeweiligen Lieder bei einem persönlich auslösen, welche Geschichten man mit ihnen verbindet, welche Gefühle sie beim Anhören zum Vorschein bringen.

Manche Songs erinnern vielleicht an bestimmte Augenblicke oder Phasen im eigenen Leben, vielleicht auch an Personen, mit denen man sie damals gemeinsam hörte. Bei „Führ mich ans Licht“ haben wir uns zum ersten Mal geküsst, Schatz, weißt du noch? Und bei „Dieser Weg“ fällt einem natürlich die tolle WM ein, Jürgen Klinsmann, unser Team war so großartig damals, diese Leichtigkeit, ach ...

Keine dieser Gedanken und Emotionen verliert an Schönheit oder Richtigkeit, nur weil der Sänger später ekelhaften, menschenverachtenden Hass verbreitet hat. Mir geht es so mit Morrissey, der ja inzwischen auch widerliche Dinge von sich gibt.

Ich verstehe also jeden, der sagt: Naidoos Songs verdienen weiterhin Platz im eigenen Leben. Und wer sich die alten Lieder auf CD anhört oder meinetwegen auch auf Spotify und voller Freude mitsingt, genießt einfach sein Leben und lädt damit keinerlei Schuld auf sich.

Anders ist es, ein Konzert dieses Mannes zu besuchen und ihn mit 60 Euro oder mehr zu unterstützen. Damit normalisiert man ihn und seine Entgleisungen. Man ebnet einem Täter den Weg zurück in die Mitte der Gesellschaft, ohne dass er seine Taten aufgearbeitet und sich zumindest bemüht hat, den angerichteten Schaden halbwegs wiedergutzumachen. Dieser Konzertbesuch ist eine Solidaritätserklärung. Ob man will oder nicht.

Naidoos erstes Konzert fand an diesem Dienstag in Köln statt. Ich fürchte, es wird ein Einschnitt gewesen sein. Talkshoweinladungen und anbiedernde Interviews werden folgen. An diesem Abend, in dieser Halle, wurde eben nicht zwischen Künstler und Werk getrennt, sondern beides miteinander vereint. Denn neben der Musik wurde selbstverständlich auch die Person Naidoo bejubelt.

Echte Aufarbeitung fand nicht statt

In seiner schlimmen Phase behauptete Xaxier Naidoo, die Juden hätten sich „die Welt Untertan gemacht“. Den „Zentralrat der Juden“ beschimpfte er als „Zentralrat der Lügen“. Er verbreitete auch eine Botschaft, wonach das Deutsche Reich seine Souveränität wiedererlangen müsse. Die Deutschen seien „versklavt“ worden. Die EU sei ein „Geschäftsgebilde der Familie Rothschild“.

Ein anderes Mal verbreitete Naidoo ein Statement, wonach der Zweite Weltkrieg den Deutschen aufgezwungen wurde. Der Krieg sei von dem „US-Juden Roosevelt“ geplant und von dem „US-Juden Eisenhower“ umgesetzt worden. Die „immerwährende Schuld“ sei „eine Lüge der Juden, um uns ein schlechtes Gewissen einzureden“.

Ich fürchte, die Konzerte Naidoos werden zur weiteren Normalisierung von Antisemitismus führen. Man erkannte es Anfang der Woche schon in den Vorabmeldungen, in denen Naidoos Äußerungen als „umstritten“ verharmlost wurden oder in denen bloß irgendwelche vagen Vorwürfe angedeutet wurden, die aber sowieso lange her seien.

Es ist hilfreich, sich diesen Normalisierungsprozess anzusehen. Ich habe mir deshalb vorgenommen, das Konzert und seine Folgen an dieser Stelle zu dokumentieren und in Kontext zu setzen. Dieser Text wird also regelmäßig aktualisiert.

Das Konzert in Köln hätte Gelegenheit sein können, Verpasstes nachzuholen, sagt der Sozialwissenschaftler Lukas Geck, Co-Autor des dieses Jahr erschienenen Sachbuchs „Lauter Hass. Antisemitismus als popkulturelles Ereignis“. Naidoo hätte zeigen können, dass er ernsthaft um Entschuldigung bitte. „Doch auch diese Chance wurde vertan.“

Die ausverkauften Shows sendeten laut Geck nun vielmehr ein anderes Signal: „Alles ist vergeben, alles vergessen. Das Publikum verzeiht dem größten Popmusiker Deutschlands“. Naidoo habe von der Bühne „Ihr seid schuld, dass ich hier stehe“ gerufen. Das sei kein Zeichen von Demut, sagt Geck, sondern „die erneute Inszenierung als Opfer, als Auserwählter, der sich für andere aufopfert“. Dieses Opfernarrativ werde nun bereitwillig weitergetragen, etwa vom Entertainer Oliver Pocher.

Über Jahre habe Naidoo von einer angeblichen jüdischen Weltverschwörung fantasiert, holocaustrelativierende Aussagen getätigt, sei vor Reichsbürgern aufgetreten und vieles mehr. Das spreche nicht für ein bloßes „falsches Abbiegen“, sondern für ein in sich geschlossenes, gefestigtes Weltbild.

Lukas Geck sagt: „Dass sich Naidoo einer ernsthaften, kritischen Debatte bis heute verweigert und zugleich so unkritisch gefeiert wird, ist ein Schlag ins Gesicht all jener, die seit Jahrzehnten vor Antisemitismus warnen und von ihm betroffen sind.“

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