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ZDF-Moderator Mitri Sirin.

© ZDF

„Ich denke den Shitstorm nicht mit. Noch nicht“: ZDF-Moderator Mitri Sirin über Meinungsfreiheit

Seine Sendung zur bedrohten Meinungsfreiheit war in Arbeit, als Charlie Kirk erschossen wurde und Dunja Hayali für ihren Text dazu Morddrohungen bekam. Nicht nur deshalb sagt „heute“-Mann Sirin: Wir müssen aufpassen.

Stand:

Herr Sirin, als die US-Regierung im August in einem Globalen Report zur Meinungsfreiheit für Deutschland nur eine schlechte Note hatte, waren Sie als „heute“-Moderator im Dienst. Hat die Nachricht Sie schockiert?
Für mich kam das nicht überraschend, das passte ins Bild. Die US-Amerikaner, halt, ich korrigiere: Die Trump-Administration ist auf einen Pfad eingebogen, der uns allen große Sorgen bereiten sollte.

War diese Nachricht damals der Impuls, der zu Ihrer „Am Puls“-Sendung über die bedrohte Meinungsfreiheit geführt hat?
Das spielte mit rein, aber Ausgangspunkt war die jüngste Allensbach-Studie, nach der mehr als 40 Prozent der Menschen hier in Deutschland gesagt haben, sie könnten ihre politische Meinung nicht mehr äußern. Als wir in der Redaktion besprochen haben, ob wir daraus etwas machen könnten, fielen mir als allererstes die USA ein.

Wieso das?
Ich verbinde mit Amerika bis heute das Thema Freiheit so sehr wie kein anderes. Ich habe viele Verwandte in den USA, Cousinen und Cousins, Tanten, Onkel. Mir fällt immer wieder auf, wie amerikanisch sie sind, sie reden und leben.

Heißt das, dass die Geschwister Ihrer Eltern damals in den 60er/70er Jahren aus der Türkei statt auch nach Deutschland in die USA gegangen sind?
Erst ist die Schwester meiner Mutter rübergegangen, kurze Zeit später erst ein, dann noch ein Bruder meiner Mutter. Auch meine Großeltern mütterlicherseits haben, bis sie verstorben sind, in einem Pendelmodell dort gelebt: ein halbes Jahr USA, ein halbes Jahr Türkei.

Waren Sie traurig, dass Ihre Eltern nur bis Deutschland gekommen sind?
Ja, bis ich so 16, 17 Jahre alt war. Weil alles, was cool war, aus Amerika kam. Die haben mir auch immer Pakete geschickt mit den neuen Nikes und was weiß ich, für mich war das immer sehr aufregend. Und dann die kulturelle Prägung durch Kino und Musik und TV.

Mit der großen Freiheit ist es in den USA derzeit nicht mehr so weit her. Wie auch in Ihrem Film zu sehen ist. Haben die Dreharbeiten Ihnen zu neuen Perspektiven auf das Thema verholfen?
Ich habe immer den Anspruch, etwas zu lernen, wenn ich rausgehe. Beim Thema Meinungsfreiheit ist das Problem, dass es so groß und komplex ist. Ich kann nur allgemein sagen, dass ich besorgt bin, und die Sorge hat zugenommen. 

Was ist Ihre konkrete Sorge?
Ich glaube, dass die Werte der Allensbach-Umfrage eher ein Gefühl abbilden als faktisches Erleben. Und das hat sehr viel mit den Sozialen Netzwerken zu tun, in denen Gefühle stärker bewertet werden als Fakten. Die großen Tech-Unternehmen tun wenig dagegen. Und die Politik hat wenig in der Hand, um Druck auf die auszuüben. Solange sich das nicht ändert, wird sich das Problem eher verschärfen.

Sie haben für die Sendung das Publikum um Einschätzungen zur Meinungsfreiheit gebeten. Eine Zuschrift kritisierte die Öffentlich-Rechtlichen und deren übertriebene Korrektheit. Wissen Sie, wer oder was damit gemeint war?
In dem Fall haben wir den Absender, einen Rentner aus Bochum, besucht. Er hat sich wirklich sehr daran gestört, wie auf einmal geredet wird im Fernsehen. Er hat das abgeglichen mit seinen Erfahrungen vor Ort …

… wo er seit Jahrzehnten mit vielen Kulturen und Lebensstilen gut zusammenlebe, aber zur Verständigung nicht neue Regeln wie zum Z-Wort oder Genderfloskeln brauche …
… und dann war er der Meinung: Ich kann überhaupt nicht mehr so reden, wie ich will. Den Ärger scheint er dann auf den ÖRR übertragen zu haben, und so kam er zu dem Vorwurf, wir seien zu woke, zu linksliberal.

Sehen Sie das auch manchmal so?
Sagen wir es so: Alle Studien zur Meinungslastigkeit von ZDF und ARD ergeben eine große Vielfalt an Themen und Stimmen. Trotzdem höre ich: ZDF ist Regierungsfunk. Was ist das für ein Vorwurf? Wir haben intern ein breites Korrektiv, und dann werden wir ja auch noch durch Fernsehrat und Verwaltungsrat kontrolliert. Wir berichten kritisch über die Regierung und über die Opposition. Vielfalt findet auf jeden Fall bei uns statt. Aber natürlich machen wir auch Fehler und haben bestimmt auch in dem einen oder anderen Fall mal übertrieben. 

Wie divers ist Ihre Redaktion?
Ich würde sagen, unsere Redaktion ist, was Generationen angeht, sehr divers. Was den Migrationshintergrund angeht, hat es sich in den vergangenen Jahren verbessert, da ist aber noch Luft. 

Sie sind befreundet mit Dunja Hayali, die wegen ihrer Moderation nach dem Mord an Charlie Kirk von einem Shitstorm überzogen wurde. Erleben Sie so etwas auch?
Ich bekomme auch Kommentare, die unter die Gürtellinie gehen, mit Hassrede gespickt oder ehrabschneidend sind, oder sogar einen Mordaufruf darstellen. Aber deutlich weniger als Dunja. Es tat mir extrem leid, was ihr da widerfahren ist, weil das auch so eine neue Qualität erreicht hat. Das sage ich zwar jedes Jahr einmal, aber es stimmt auch jedes Jahr. 

Dunja Hayali wurde für ihre Moderation zum Mord an Charlie Kirk massiv angegangen.

© picture alliance/dpa/Hannes P Albert

Von Ihren Fällen hört man bisher nichts.
Dunja ist da exponierter als ich. Und ich habe vielleicht eine andere Auffassung als sie, wie man mit so etwas umgeht. Sie will damit in die Öffentlichkeit, um zu zeigen: Schaut mal, was es für Menschen gibt und was für eine Art von Diskurs sie pflegen. Ich habe das Gefühl, dass diese Art von Konversation längst gescheitert ist. In den sozialen Netzwerken produziert man dadurch nur mehr Hass. Debatten in den Sozialen Netzwerken funktionieren nur, wenn alle sich sachlich und konstruktiv äußern.

Diesen Pfad haben viele Menschen verlassen oder wollen ihm bewusst nicht folgen. Das sah man bei Dunjas Anmoderation zu Charlie Kirk: Da kamen auf einmal aus der rechten Ecke viele üble Dinge.

Wo fängt die rechte Ecke für Sie an? Es war anfangs ja eine „Welt“-Kolumnistin, die sich über Frau Hayalis Text aufgeregt hat.
Ich kann nicht genau definieren, wo die losgeht. Aber: Wenn man sagt, Charlie Kirk hat sich rassistisch und menschenfeindlich geäußert – was ist daran falsch? Das sind Fakten, die man durch Aussagen von ihm belegen kann. Und dass man das dann mit einem Attribut einschätzt – es gehört doch dazu, dass man das sagen darf, ohne gleich bedroht zu werden. 

Kommt es vor, dass Sie Ihre Moderationen darauf abprüfen, ob die zum Skandalisieren einladen? Fragen Sie sich: Kann man das so sagen, wie ich es jetzt sagen will?
Bei meiner Arbeit nicht. Ich denke den Shitstorm nicht mit. Noch nicht jedenfalls.

Sie sind für den Film in Sachsen gewesen, in Döbeln, und wollten auf dem Marktplatz mit den Leuten sprechen. Ganz leicht scheint das nicht gewesen zu sein.
Richtig. Erst wollte lange niemand mit mir reden, und ich war kurz davor, unverrichteter Dinge abzuziehen. Aber da dachte ich: Die zwei da vorne, die frage ich noch. Daraus hat sich ein wirklich interessantes und auch langes Gespräch entsponnen über das, was sagbar ist – ob damals in der DDR oder heute. Und die sagten eben, dass sie sich heute eingeschränkter fühlen.

In Ihrem Film ist der Marktplatz nur eine kleine Sequenz. Ausführlich dagegen kommt Chefin eines linken Kulturprojekts zu Wort. Warum?
Das war eine redaktionelle Entscheidung, die damit zu tun hat, dass das Gespräch im Kulturzentrum geplant war. Das andere ist aus Zufall entstanden.

Hätte der Marktplatz trotzdem mehr Widerhall verdient?
Ich habe schon überlegt, ob man mit dem Material noch etwas machen kann. Da kam dann noch eine ältere Frau dazu, die wollte in den Abgesang auf die Meinungsfreiheit nicht einstimmen. Und dann kam noch eine Frau, und es ging viel um Migration und um die sogenannten Neubürger und nicht mehr um Meinungsfreiheit.

Ich habe zwei, drei Mal nachgefragt, aber da wollten die nicht drüber reden, sondern lieber darüber, wie schlimm die Situation mit den Zugewanderten ist.

Das ist doch eins der großen Themen, an denen die Leute ihre eingeschränkte Meinungsfreiheit festmachen.
Absolut. Das war auch sehr widersprüchlich: Wir dürfen eigentlich nichts sagen, aber … Und dann ging es irgendwie die ganze Zeit los. Dann haben sie es doch alles gesagt. Es war allerdings auch schwer, Konkretes zu erfahren. Eine der Frauen sagte, sie sei von den Sozialen Medien gesperrt worden, dabei habe sie vernünftig argumentiert. Aber sie hat mir kein Beispiel nennen wollen.

Dann sind Sie in die USA gefahren und haben da Ulrich Kamp getroffen, Professor für Umwelttechnik – und ein alter WG-Freund von Ihnen. Fürchten Sie nicht, dass die ÖRR-Kritiker Ihnen vorwerfen, auf Kosten der „Zwangsgebührenzahler“ private Besuche in Übersee zu machen?
Oh Gott, nee. Wir wären so oder so in die USA gefahren. Und da fielen mir Ulli und seine Frau ein, die beide exemplarisch für die Beschneidung von Wissenschaftsfreiheit stehen. Außerdem sind persönliche Begegnungen im „Am Puls“-Format absolut willkommen.

Ulrich Kamp war auch derjenige, der Sie Anfang der 1990er Jahre nach Berlin gelockt hat.
Ja, da war ich noch in Hamburg und hatte mich von meiner damaligen Freundin getrennt, ein Drama-Ende, nachts raus aus der Wohnung. Und dann stand ich um vier Uhr morgens am Bahnhof. Und warum auch immer war Ulrich Kamp wach und wir haben telefoniert, und er sagte: Du kannst zu mir kommen, meine Mitbewohnerin ist gerade ausgezogen.

In Berlin haben Sie dann bei Kiss FM gearbeitet, dem damals neuen Radiosender.
Ein Traum-Arbeitgeber. Das war mit die schönste Zeit in meinem Leben. Ich habe meine Lieblingsmusik aufgelegt. Ich war früher privat auch DJ, das passte alles. Und da waren nur Gleichgesinnte um einen herum, und wir waren was Neues.

Dann sind Sie zum MDR und dann zum RBB gegangen, das war wahrscheinlich nicht mehr ganz so punkig. Und dann das ZDF, das fast schon wie eine Behörde daherkommt. Wie sieht eine typische Arbeitswoche bei Ihnen aus?
Ich habe leider keine typische Arbeitswoche, ich pendele zwischen Berlin und Mainz.

… im Wochenrhythmus?
Nein. Jetzt arbeite ich fünf, sechs Tage in Mainz. Das geht dann übers Wochenende nach Berlin. Da moderiere ich noch sechs Wochen im Jahr das Morgenmagazin. Wenn ich es hochrechne, bin ich zehn, elf Tage im Monat in Mainz. Und dann bleiben noch viele Tage, die ich in Berlin bin. Darum ist Berlin mein Lebensmittelpunkt.

Sie haben drei Kinder. Wie viel von Ihrem syrisch-türkischen Hintergrund ist bei denen noch abrufbar?
Also, es ist nicht so, dass da gar nichts wäre. Meine Tochter zum Beispiel fand ihre Herkunft so interessant, dass sie irgendwann einen Arabischkurs gemacht hat. Desgleichen der Jüngste. Da gibt es auf alle Fälle ein großes Interesse an Herkunft, und ich finde es heute ein bisschen schade, dass ich nicht besser Arabisch spreche. Ich spreche vielleicht so gut wie andere Englisch nach zwölf Jahren Schule ohne Austauschjahr in den USA.

Wie sprechen Sie mit Ihren Eltern?
Meine Mutter spricht normal Deutsch, obwohl sie auch gerne mit mir Arabisch sprechen würde, damit ich es nicht verlerne. Ich bin tatsächlich auch kurz davor, noch mal einen Kurs zu machen, damit ich es endlich mal schreiben lerne, weil das immer wichtiger geworden ist auch für meine Arbeit.

Und für ein Leben in Berlin!
Absolut. Mein Sohn lebt in Neukölln und ja, da ist das schon präsent.

Wenn Sie heute noch mal entscheiden könnten, ob Sie noch mal neu starten könnten, ob Sie heute noch mal jung sein könnten …
Oh nein, ich bin so froh, dass ich nicht mehr jung bin und in einer Welt wie dieser aufwachse, die einem alles abverlangt. Dagegen war unser Leben in den 80er Jahren Dornröschen und Schlaraffenland. So satt, gemütlich. Ich habe mich in dem „Generation Golf“-Buch von Florian Illies so wiedergefunden: Samstagabend, Badewanne, „Wetten, dass …?“ Welt in Ordnung. Heute dagegen gibt es so viele Informationen und so viele Perspektiven. Das verträgt kein Gehirn, wie sogar Hirnforscher sagen. Das führt zu Überforderungen auf allen Ebenen. Ich habe darum einen Heidenrespekt, wie die jungen Erwachsenen das alles auf die Kette kriegen.

Das Bild zur gemütlichen Republik (West): „Wetten, dass ...?“ und Thomas Gottschalk waren jahrelang Symbol für den geregelten Samstagabend.

© dpa/Philipp von Ditfurth

Trotz der von Ihnen auch mal thematisierten Ausgrenzungserfahrung, die Sie als Gastarbeiter-Kind sammelten?
Ja, gut. Das war so und ist heute wahrscheinlich anders. Heute ist man kein Exot mehr, wenn man eine Zuwanderungsgeschichte hat. Ganz im Gegenteil, jeder Dritte in Grundschulen, teilweise jeder Zweite, wenn man Großstädte nimmt, hat die. Das ist eine völlig veränderte Republik. In der Retrospektive ist es jetzt aber auch nicht so, dass ich hart gelitten hätte. Oder ich habe gelernt, damit umzugehen. Das gehörte halt dazu.

Was ist Ihre Migrationsgeschichte heute für Sie?
Ich fühle mich schon deutsch. Ich würde nie meine Herkunft verschweigen. Sie gehört auch zu mir und nimmt einen großen Teil in meinem Herzen ein. Aber ich bin Deutscher. Meine Kinder fühlen sich auch deutsch. Aber man wird immer an Zuwanderung erinnert. Als meine Tochter zur Schule kam, stand hinter ihrem Namen in Klammern: N-D-H. Ich bin extra zum Schuldirektor und habe damals gefragt, was soll denn N-D-H heißen? Die Antwort: „Nicht-deutsche Herkunft“.

War Ihre Aufstiegserfahrung prägender als die Kinderzeit?
Ja, obwohl ich mich noch erinnere, dass ich in den Anfangsjahren mal auf jemanden getroffen bin, der meinte, mein Name sei nicht so gut. Er schlug als neuen Namen Micky Schulz oder so vor, etwas, das deutsch klingt.

Betrifft es Sie als Moderator mit Migrationshintergrund persönlich, wenn Sie Nachrichten zu Flüchtlingselend oder Gewalttaten von Flüchtlingen in Deutschland moderieren müssen?
Das scheuert schon manchmal an der Seele, keine Frage. Manchmal sehen wir auch Material, das wir nicht senden, gerade aus Kriegsgebieten. Und manchmal nehme ich Nachrichten, die mich aufwühlen, mit nach Hause. Aber grundsätzlich gehört es zu meinem Job, zumindest in den 19 Uhr-Nachrichten, absolute Distanz zu wahren.

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