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Eine Packung Antibiotika liegt auf einem Tisch.

© dpa/Monika Skolimowska

Antibiotika verlieren ihre Wirkung: „Selbst Routine-Eingriffe könnten wieder lebensgefährlich werden“

Die Weltgesundheitsorganisation ist besorgt: Immer mehr Menschen sterben, weil sie nicht mehr auf eine Therapie mit Antibiotika ansprechen. Was können Patienten tun?

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Sie gelten als Revolution und haben die Medizin nachhaltig verändert. Seit der Erfindung der Antibiotika konnten viele bakterielle Infektionen erfolgreich bekämpft werden. Doch nun scheint die Entwicklung wieder in eine gegenteilige Richtung zu laufen. Denn die Resistenz gegen Antibiotika steigt weltweit immer weiter an.

Dies geht aus einem am Montag veröffentlichten Bericht der Weltgesundheitsorganisation (WHO) hervor. Dem Bericht zufolge war 2023 jede sechste laborbestätigte bakterielle Infektion gegen Behandlungen mit Antibiotika resistent. Dies sei „zutiefst beunruhigend“, sagte der zuständige WHO-Abteilungsleiter Yvan Hutin. Da die Resistenz gegen Antibiotika weiter zunehme, „gehen uns die Behandlungsmöglichkeiten aus“ und Leben seien in Gefahr. „Antibiotikaresistenz ist weit verbreitet und bedroht die Zukunft der modernen Medizin.“

7,7
Millionen Menschen sind im Jahr 2021 weltweit an einer bakteriellen Infektion gestorben.

In ihrer Studie untersuchte die WHO 22 Antibiotika, die unter anderem zur Behandlung von Infektionen der Harnwege, des Magen-Darm-Trakts und der Blutbahn eingesetzt werden. Zwischen 2018 und 2023 sei die Resistenz jedes Jahr zwischen fünf und 15 Prozent angestiegen. Bei Harnwegsinfektionen lag die Resistenz gegen häufig verwendete Antibiotika weltweit sogar bei über 30 Prozent.

Bei mehr als 40 Prozent der E. coli- und 55 Prozent der K. pneumoniae-Bakterien seien die gängigen Antibiotika nicht mehr wirksam. In afrikanischen Ländern seien es manchmal mehr als 70 Prozent. Diese Bakterien könnten auch Sepsis und schließlich Organversagen auslösen, heißt es von der WHO. Noch gebe es dagegen andere Antibiotika, die aber teurer seien und in vielen ärmeren Ländern nicht zur Verfügung stünden.

Vertrauen Sie Ihrem Arzt. Wenn die Ursache eine Virusinfektion ist, ist es völlig richtig, dass Sie keine Antibiotika bekommen.

Yvan Hutin, WHO-Abteilungsleiter.

In die Studie sind rund 23 Millionen Daten aus mehr als 100 Ländern eingeflossen. Dabei gibt es große regionale Unterschiede. In Südostasien und im östlichen Mittelmeerraum seien bereits eine von drei gemeldeten Infektionen gegen die untersuchten Antibiotika resistent. Das Problem sei besonders in Ländern mit schwachen Gesundheitssystemen verbreitet. 2021 sind nach WHO-Angaben 7,7 Millionen Menschen weltweit an einer bakteriellen Infektion gestorben. Gut 1,1 Millionen seien direkt auf Antibiotika-Resistenzen zurückzuführen gewesen.

Experten fürchten, dass die Entwicklung sich noch deutlich weiter verschlimmert. „Es besteht die Gefahr, dass die Anzahl der Toten durch antibiotikaresistente Erreger auf fast zehn Millionen pro Jahr weltweit bis zum Jahr 2050 ansteigt”, sagte Tim Eckmanns, der
Leiter des Fachgebiets Nosokomiale Infektionen und Surveillance von Antibiotikaresistenz am Robert Koch-Institut, dem Science Media Center.

Sein Kollege Mathias W. Pletz von der Universität Jena fürchtet gar „die Rückkehr in ein präantibiotisches Zeitalter“. Der Infektionsmediziner sagt: „Selbst Routineeingriffe oder Kaiserschnitte könnten wieder lebensgefährlich werden.“ Pletz glaubt, dass es gerade für infektanfällige Menschen wie etwa Krebspatienten künftig problematisch werden könnte: „Ohne wirksame Antibiotika wird der medizinische Fortschritt keine weitere Verlängerung der Lebenserwartung bedingen.”

Nicht alle Infektionen gehen auf Bakterien zurück. Sie können auch von Viren (etwa Hepatitis B und C), Pilzen (etwa Nagelpilz) und Parasiten (etwa Malaria) ausgelöst werden. Antibiotika helfen nur bei den bakteriellen Infektionen, etwa bakteriellen Lungenentzündungen, Blasenentzündungen oder eitrigen Wunden.

Patientinnen und Patienten könnten dazu beitragen, das Problem in den Griff zu bekommen, sagte Hutin. Zum einen, indem sie das Infektionsrisiko etwa durch häufiges Händewaschen, die Benutzung von Desinfektionsgel oder Impfungen verringern. Zum anderen beim Gang in die Praxis: „Wenn Sie mit Fieber zum Arzt gehen, sollten Sie nicht automatisch erwarten, ein Antibiotikum zu bekommen“, sagte Hutin. „Vertrauen Sie Ihrem Arzt. Wenn die Ursache eine Virusinfektion ist, ist es völlig richtig, dass Sie keine Antibiotika bekommen.“ (Tsp/AFP/dpa)

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