Gesundheit: Aufstand im Ländle
In Baden-Württemberg klagen besonders viele Studierende gegen Studiengebühren – mit ersten Erfolgen
Stand:
Als Christina Schulze neulich nach Hause kam, riss die Nachbarin die Tür auf und gratulierte im Treppenhaus. Auch Eltern und Bekannte haben für die 27-Jährige derzeit freundliche Worte übrig. Die Studentin ist schwanger, doch das Lob gilt vor allem ihrer Klage gegen die Studiengebühren. „Sie sagen alle, dass das gut ist“, berichtet Schulze von den Reaktionen, seit sie Zeitungen und Fernsehen zur bekannteste Gebührengegnerin in Baden-Württemberg gemacht haben. Schulze klagt gegen die im Sommer erstmals fällige Gebühr von 500 Euro je Semester, weil ihr die Uni Stuttgart eine Ausnahme als Schwangere verweigert hat. Von der Gebühr befreit sind laut Gesetz Mütter mit Kindern unter acht Jahren, Ungeborene aber hat das christdemokratisch geführte Land vergessen. „500 Euro, das ist richtig viel Geld“, sagt Schulze, die ihr Studium bislang mit Jobben und Bafög finanziert.
Auch Wissenschaftsminister Peter Frankenberg (CDU) hat wohl eingesehen, dass er den Kampf um öffentliche Sympathien in diesem Fall nur verlieren kann. In Interviews ließ er anklingen, sein Ministerium rate, die Gebühr auch in den Wochen vor der Geburt zu erlassen. Ob die Klage der werdenden Mutter damit hinfällig ist, ließen Minister und Uni auf Nachfrage allerdings offen. Sie flüchteten zur Floskel, zu laufenden Verfahren äußere man sich nicht. Den protestierenden Studenten dürfte das gelegen kommen: Sie haben Schulze zur Musterklägerin erkoren. Der Fall der sympathischen Studentin soll stellvertretend für über 1700 Klagen aus Stuttgart vor dem örtlichen Verwaltungsgericht verhandelt werden. Auch an den drei anderen Verwaltungsgerichten das Landes gingen viele Klagen gegen die Gebühr ein, insgesamt über 2500 in Baden-Württemberg. Kosten und Arbeit kommen zunächst nur auf wenige Studenten zu; die übrigen Klagen, oft nur einige Zeilen lang, ruhen während der Musterverfahren.
Frankenberg, der einst vor dem Verfassungsgericht den Weg für Studiengebühren frei kämpfte, gibt sich trotz Klageflut siegesgewiss. In Einzelfällen mag Abhilfe nötig sein, sagt er, etwa bei Schwangeren oder bei einer als gebührenpflichtig eingestuften Sehbehinderten. Er habe aber kein rechtliches Argumente gehört, das nicht zuvor geprüft worden sei. Doch bergen die Prozesse für Frankenberg ein größeres Risiko als ein Gebührenboykott. Bei dem kann er drohen, wer nicht zahle, fliege von der Hochschule. Nun hat es Frankenberg mit Richtern und dehnbaren Rechtsbegriffen zu tun. Schon musste Frankenberg die zentrale Erfassung aller Klägernamen stoppen; der Datenschutzbeauftragte stufte sie als rechtswidrig ein. Das war peinlich, schließlich sieht man sich als hochschulpolitische Musterländle.
„Das alles mag man als juristische Spitzfindigkeit abtun“, beschreiben die Klageinitiatoren ihre Strategie. „Nach unserer Meinung ist es nur der Versuch, die Gesetzgeber mit ihren eigenen Waffen zu schlagen.“ Auch in anderen Bundesländern entdecken die Studenten den Rechtsweg. „Grundsätzlich gibt es in allen Verwaltungsgerichtsbezirken, in denen eine Hochschule mit Gebühren sitzt, Klagen“, sagt Mike Niederstraßer vom Aktionsbündnis gegen Studiengebühren.
Wer weiß schon, wie Richter die Paragrafen in jahrelangen Verfahren interpretieren? Bekannt für ungewöhnliche Auslegungen ist das Verwaltungsgericht Sigmaringen, das immer wieder zusätzliche Medizinstudenten an der Universität Ulm zulässt. 1998 stoppte der baden-württembergische Verwaltungsgerichtshof eine Rückmeldegebühr von 100 Mark, weil sie die Kosten der Rückmeldung um ein Vielfaches überstieg. Das Land wurde davon überrascht. Später verwarf auch das Verfassungsgericht die Gebühr als unzulässig.
Nun suchen die Studenten wieder nach Schwachpunkten. Sie erklären, das Gesetz sei verfassungswidrig. So verletze es den Gleichheitsgrundsatz, wenn Sofortzahler weniger zahlten als jene, die bei einem Studienkredit zusätzlich Zinsen tilgen müssten. Sie argumentieren mit dem UN-Sozialpakt, der ein unentgeltliches Studium vorschreibe. Größtes Einfallstor für Klagen sind aber ausgerechnet die laut Frankenberg „großzügigen“ Ausnahmeregeln.
Gebührengegner Bernd Harth, Gewerkschaftssekretär bei Verdi im Rhein-Neckar-Kreis, stuft Verfahren als chancenreich ein, in denen Bafög-Empfänger gegen das Bezahlstudium klagen oder Zivildienstleistende verlorene Umsonst-Semester einfordern. Die Gewerkschaft unterstützt klagende Studenten. Auch dass Stipendiaten der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung an manchen Unis nicht als Hochbegabte umsonst studieren dürfen, will Verdi anfechten. Was Verdi an einem Ort einklagt, ist am anderen Praxis: Die Uni Konstanz stuft alle, die von einer Stiftung gefördert werden, als von der Gebühr befreite Hochbegabte ein. Frankenberg lässt nun Hinweise für eine einheitliche Auslegung erarbeiten.
Sein Gesetz aber hält Frankenberg weiter für in Recht gefasste Gerechtigkeit. „Mit unseren Studiengebühren schaffen wir in einem doppelten Sinn Gerechtigkeit“, sagte er dem Tagesspiegel. Profiteure des Studiums würden an den Kosten beteiligt, Schwächere vor unzumutbaren Belastungen geschützt.
Wie rasch rechtliche Begriffe verschwimmen, erlebt er bei der Debatte, wofür die Gebühren ausgegeben werden. Schon redet Frankenberg nicht von den Buchstaben des Gesetzes, sondern von dessen Geist, wenn er Tricks der Hochschulen unterbinden will. Der Geist, das heißt: „Forschung und Lehre müssen am Ende deutlich profitieren.“ Im Gegensatz zu anderen Bundesländern steht im baden-württembergischen Gesetz gleichwohl nur, dass die Gelder „für die Erfüllung der Hochschulaufgaben in Studium und Lehre“ eingesetzt werden sollen. Viele Unis wollen jetzt bisherige Lehrausgaben aus den Gebühren zahlen, um im normalen Etat Spielräume zu gewinnen. Durch Buchungstricks gewinnen sie auch jenes Geld, mit dem sie einen Fonds für ausbleibende Studienkredit-Tilgungen speisen müssen. Frankenberg hat zwar angeordnet: „Die Umlage an den Studienfonds muss aus allgemeinen Haushaltsmitteln finanziert werden.“ Doch nun nimmt etwa Tübingen die Fondsmittel einfach aus dem regulären Lehretat. Die Uni Hohenheim kommentiert die kreative Buchführung lakonisch: Ob das Geld aus dem einen oder dem anderen Grund nicht reiche, mache „keinen Unterschied.“
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: