Gesundheit: Bunsenbrenner fürs Klassenzimmer
Bei ihrem ersten Forschungskongress fordern die Grünen mehr wissenschaftliche Früherziehung
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Wie sich die Zeiten ändern: Wenn die Grünen den ersten Forschungskongress ihrer Parteigeschichte veranstalten, dann gehen sie nicht mehr in die Berliner Universitäten, auch nicht nach Kreuzberg oder Prenzlauer Berg, um die alternative Szene zu beglücken – nein, sie wählen das Ludwig-Erhard-Haus, den Treffpunkt der Berliner Wirtschaft. Und noch etwas fällt auf: Wenn die Grünen über Forschung sprechen, fangen sie bei den Kindergärten an.
Fritz Kuhn, Fraktionsvorsitzender im Bundestag, begründete das Kongressmotto „Neugier und Verantwortung“ mit der natürlichen Wissensbegierde, die Kinder ihrer Umwelt und der Natur entgegenbrächten – weshalb man sich fragen müsse, warum trotzdem zu wenig junge Schulabsolventen Ingenieur- und Naturwissenschaften studierten. Kuhn fragte weiter, ob die kindliche Neugier in den 45-Minuten-Takt einer Unterrichtsstunde passe, und ob die Ganztagsschule besser geeignet sei, Neugier zu fördern und Schüler nachmittags an Grundbedingungen der Forschung heranzuführen.
Diese Gedanken vertiefte Gisela Lück, Professorin für Didaktik der Chemie an der Universität Bielefeld. Sie forderte, den Sachunterricht in den Grundschulen radikal vom bisherigen Schwerpunkt Biologie auf den Schwerpunkt Naturwissenschaften umzustellen und das chemische Experiment in den Mittelpunkt zu rücken. Mit einfachen Experimenten könne man Kindern beim Begreifen helfen. Die bisherige Annahme, dass man Physik und Chemie erst von der siebenten Klasse an verstehen könne, beruhe auf einer fehlerhaften Erkenntnis des Jugendforschers Jean Piaget über die Entwicklung des logischen Denkens. Befragungen von Studenten der Naturwissenschaften hätten gezeigt, dass bei ihnen das Interesse an Chemie im Kindesalter geweckt worden sei und nicht in der Mittel- oder Oberstufe. Die Erfahrung zeige, dass mit der Pubertät das Interesse an den Naturwissenschaften zurückgehe.
Auch Lorraine Daston, Professorin am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte, findet es alarmierend, dass nicht nur in Deutschland, sondern in fast allen westlichen Industrienationen immer weniger Jugendliche eine Karriere in den Natur- und Ingenieurwissenschaften anstreben – im Gegensatz zu ihren Altersgenossen in China und Indien.
Ein leidenschaftliches Plädoyer für den Wettbewerb hielt schließlich Professor Eike Weber, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Solare Energie. Nach 23 Jahren Forschungsaufenthalt in den USA preist Weber den dortigen Wettbewerb als Erfolgsrezept: In den USA müssten sich bereits junge Wissenschaftler um zusätzliche Geldmittel bemühen, um eigene Forschung betreiben, aber auch Diplomanden und Doktoranden betreuen zu können. Außerdem erhielten Professoren nur für neun Monate ihr Gehalt und müssten sich in den Semesterferien den Lebensunterhalt selbst verdienen. Gleichzeitig hätten erfolgreiche Jungwissenschaftler in den USA früher die Chance eines langfristigen Verbleibs an den Instituten, an denen sie sich bewährt hätten.
Man wäre nicht bei den Grünen, wenn nicht doch einige Lieblingsthemen benannt würden. So sieht Fritz Kuhn in der deutschen Wissenschaft eine Expertenkultur am Werk, die selten gesellschaftliche Entwicklungen aufgreife – und fragte zudem, warum es in Deutschland keinen Sonderforschungsbereich für regenerative Energien gebe, dafür aber gleich mehrere für die Kernenergie.
Uwe Schlicht
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