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Gesundheit: Deutsch dient dem Kind

Sprachförderung für Migranten: Pädagogen suchen die besten Methoden

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Seit der ersten Pisa-Studie von 2001 ist die Zahl der Versuche deutlich gestiegen, Migrantenkinder aus ihrer Randexistenz in der Schule zu holen. Das heißt meist, sie im Deutschen fit zu machen. Allein die Website der Berliner Bildungsverwaltung verzeichnet eine Fülle von Förderprogrammen, Leseinitiativen, Sprachcamps und Theaterprojekten für „Schüler nichtdeutscher Herkunftssprache“.

Was davon wirklich hilft, scheint weniger klar zu sein. Bildungssenator Jürgen Zöllner (SPD), seit Anfang des Jahres auch Präsident der Kultusministerkonferenz (KMK), hat eine Studie zur Wirksamkeit von Sprachförderprogrammen angekündigt. Auf eine FDP-Anfrage im Abgeordnetenhaus musste Zöllner kürzlich passen: Es werde „zunehmend schwierig“, Schulversuche wissenschaftlich auszuwerten, wie es das Schulgesetz vorschreibt. Nicht nur Geld fehle, sondern auch „Vergleichsgruppen“, an deren Lernerfolg man ablesen könne, was bei den Schülern im Versuch besser oder schlechter lief als ohne.

Mit dem Problem ist der Senator in bester Gesellschaft: Auch Wissenschaftler wie die Erlanger Bildungsforscherin Petra Stanat – sie lehrt demnächst an der FU – sind unglücklich über die nicht nur hierzulande mageren Befunde: Es sei schon erstaunlich, konstatierte Stanat nach Sichtung von US-Studien zur Sprachförderung bei Migranten, dass Versuche mit insgesamt 50 000 Teilnehmern kaum aussagefähige Ergebnisse gebracht hätten. Schuld seien methodische Mängel, aber auch die Unterschiedlichkeit der Methoden und untersuchten Gruppen.

Ganz ohne Handwerkszeug stehen Forscher und Praktiker allerdings nicht da. Stanat selbst wertete zusammen mit Kollegen ein Sommercamp aus, in dem in den großen Ferien 2004 Drittklässler aus Bremer Migrantenfamilien gefördert wurden. Ein Teil der Kinder nahm nur an einem Theaterprojekt teil, die anderen bekamen zudem täglich Sprachunterricht, in dem sie ein Gefühl für Sprachstrukturen bekommen und grammatikalische Regeln entdecken sollten. Beide Gruppen wurden mit Kindern verglichen, die nicht gefördert wurden. Ergebnis nach etwa drei Wochen: „Fortschritte gab es in beiden Gruppen“, sagt Stanat, „besonders aber in der zweiten.“ Analysen der schriftlichen Leistungen der Kinder ergaben, „dass eine Mischung aus impliziter und expliziter Förderung am erfolgreichsten ist“, also die Kombination des indirekten Lernens durch intensives Eintauchen in die Sprache wie beim Theaterspielen und der direkten Methode Unterricht. Stanat empfiehlt auch aus praktischen Gründen, sich nicht nur auf implizite Förderung zu verlassen: „Das dauert zu lange, so viel Zeit haben die Kinder nicht, um den Anschluss in ihren Klassen zu bekommen.“

Stanat hofft, dass sie das Experiment bald über einen längeren Zeitraum wiederholen kann. Ohnehin mussten sie und ihre Kollegen entdecken, dass sich der Vorteil der Camp-Kinder in der Grammatik nach drei Monaten Schule wieder reduziert hatte – vermutlich weil der Grammatikunterricht dort nicht an den speziellen Bedürfnissen der Migrantenkinder orientiert ist.

Dauer und gute Abstimmung sind auch für die Hamburger Pädagogikprofessorin Ingrid Gogolin Schlüsselwörter. „Alles, was nur auf kurze Frist angelegt und nicht koordiniert ist, funktioniert nicht“, sagt Gogolin. Das sei bei allem Streit über Methoden und Ansätze „ein relativ klares Ergebnis der Forschung“. Immer wieder könne man sehen, dass erfolgreiche Schulen, auch wenn sie keine guten Rahmenbedingungen hätten, auf eine bestimmte Mischung setzten: „Klare und konkrete Förderkonzepte, die auch für die Kinder durchschaubar sind und die alle Partner – die Eltern, aber auch Bibliotheken und Theater – einbeziehen. Und ein sehr konstruktiver Umgang mit der Mehrsprachigkeit der Kinder.“

Fehlt nur noch jener Schuss britischen Pragmatismus, den Gogolin der deutschen Bildungspolitik empfiehlt: Britische Schulen verfügen über eigene Unterstützungsfonds, um die Probleme von Migranten da zu lösen, wo sie sie sehen. Das kann die Einrichtung einer kleinen Klasse für besonders benachteiligte Schüler sein, die Schulen können aber auch einmal einen mobilen Dolmetscher anheuern, ohne dafür in einen Papierkrieg mit der Schulbehörde einzutreten. „Wir haben Schulaufsicht und Lehrerseminare“, sagt Gogolin, „aber dass man viele Probleme lokal sehr gut lösen kann, hat sich bei uns noch überhaupt nicht verbreitet.“

Gogolin findet flexible Unterstützung entschieden wichtiger als ständige wissenschaftliche Wirksamkeitsprüfungen: „Pisa war sicher wichtig, aber inzwischen haben wir genug Systemerklärung. Das bringt uns bei der Verbesserung der Lage noch keinen Schritt weiter.“ Das bedeute keinen Verzicht auf Evaluation. Sie sollte aber, findet die Hamburger Forscherin, „nach unten delegiert“ werden. Kann heißen: An einer Schule setzen sich Lehrer, Eltern, Schüler zusammen, man vereinbart, was die Förderung bringen soll, und schließt Verträge darüber, wie alle daran mitwirken. Nach einiger Zeit wird geprüft, ob die Ziele erreicht sind. „Das funktioniert auch an Berliner Schulen schon“, sagt Gogolin, zum Beispiel im „Förmig“-Projekt (Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund), das sie mitentwickelt hat. „Irgendwann sollte so ein Prozess ein Selbstläufer werden“, sagt Gogolin.

Kenan Önen hat das schon erlebt. Er leitet die Projekte zur Integration von Migrantenkindern und -jugendlichen bei der Hertie-Stiftung. Das Förderprogramm „Deutsch und PC“, das die Stiftung vor beinahe fünf Jahren im Frankfurter Problemviertel Gallus in Klassen mit bis zu 90 Prozent Migrantenkindern begann, ist inzwischen Teil der hessischen Schulpolitik und wird jetzt in drei Bundesländern an 61 Schulen eingesetzt. Sprachlich schwache Erstklässler bekommen dabei in kleinen Gruppen täglich zwei Stunden Förderunterricht in Deutsch und Mathematik, wobei die Arbeit am Computer sie nicht nur fit im Umgang mit Medien machen, sondern sie auch zum Sprechen miteinander bewegen soll.

Auch Önen setzt aufs Dranbleiben und auf gute Vernetzung mit Schulen und Politik. Und seine Ziele sind unkompliziert: „Meine Evaluation ist: Schaffen die Kinder den Übergang auf weiterführende Schulen? Wo landen die? Wenn sie mindestens auf der Real- oder Gesamtschule landen, dann haben wir’s gepackt.“ Das scheint zu gelingen. 50 Prozent der Deutsch-und-PC-Schüler sind heute auf dem Gymnasium. Önen hält Mehrsprachigkeit für einen Gewinn; mit seinen drei Kindern spricht der promovierte Politikwissenschaftler zu Hause Türkisch. Bei der Förderarbeit allerdings ist das anders: „Wir haben manchmal zwanzig Nationen in einer Klasse, wir können gar nicht alle in ihren beiden Sprachen fördern“, sagt er. „Wir fragen uns: Was dient dem Kind am meisten? Und das ist eben Deutsch.“

Eine Expertentagung zum Thema „Bildungserfolg und Zweisprachigkeit verschiedener Migrantengruppen“ findet am 16. und 17. März an der Humboldt-Universität statt. Nähere Informationen bei den Organisatorinnen von der Universität Köln: saskia.pfeiffer@uni-koeln.de

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