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Gesundheit: „Die Studenten müssen umdenken“

Attraktive Unis und Jobs: Wie Sachsens Ministerpräsident junge Westdeutsche ins Land holen will

Stand:

Herr Ministerpräsident, Sie haben vor kurzem gesagt, Sachsen und die anderen neuen Länder könnten einen durch den Studentenberg entstehenden Pingpong-Effekt nicht akzeptieren. Was haben sie damit gemeint?

Dass die westdeutschen Länder einen Teil ihrer Ausbildungsprobleme nach Ostdeutschland verlagern und der Osten das auch noch finanziert. Das ist nicht in unserem Interesse. Es muss uns gelingen, den Studenten aus Süd- und Westdeutschland auch in Sachsen hochwertige Arbeitsplätze in der Wirtschaft anzubieten. Wir müssen darauf achten, dass keine Zwei-Klassen-Gesellschaft entsteht: dass die besseren Studenten an den Hochschulen im Westen bleiben und die Hochschulen im Osten zu den Fachhochschulen der Nation werden.

Der Hochschulpakt kann eine Chance für die Universitäten und die Wirtschaft in den neuen Ländern bieten. Aber wie müssen dann die Bedingungen gestaltet werden?

Der Hochschulpakt verpflichtet die neuen Länder, die Zahl der Studienplätze auf der Basis des Jahres 2005 zu erhalten. Wir sind eines der wenigen Flächenländer in Deutschland mit einem Netto-Studenten-Import und auch das einzige Land im Osten, das eine solche Ausbildungsleistung für andere Länder erbringt. Das verschärft sich noch, wenn der erwartete Rückgang von sächsischen Studienbewerbern einsetzt: Wir rechnen mit einem deutlichen Rückgang der Studienanfängerzahlen aus den neuen Ländern, weil jede Generation, die nach 1990 geboren ist, nur noch halb so stark ist wie die zuvor.

Bietet der Hochschulpakt für diese Situation eine ausreichende Hilfe?

Der Hochschulpakt sieht zwar einen Ausgleich vor, aber der ist noch nicht ausreichend finanziert. Unter den derzeitigen Bedingungen zahlen die neuen Bundesländer für das Studium der Jugendlichen aus den alten Bundesländern. Das ist eine Art umgekehrter Solidarpakt, bei dem der Osten den Westen oder Süden finanziert. Das kann man nicht hinnehmen. Die Aufrechterhaltung der Kapazitäten an den Hochschulen in den neuen Ländern ist sinnvoll, aber diese Leistung muss finanziert werden. Hierfür kommen verschiedene Modelle in Betracht. Am sinnvollsten erscheint mir ein Modell wie in der Schweiz, wo die Kantone, die ihre Studenten in andere Kantone exportieren, für die dort anfallenden Studienkosten einen Beitrag an die aufnehmenden Kantone leisten. So sollten auch die Länder in Deutschland verfahren.

Nun hat Baden-Württembergs Wissenschaftsminister Peter Frankenberg eine solche Lösung als neuen Finanzausgleich bezeichnet. Die Geberländer im bisherigen Finanzausgleich, zu denen Baden-Württemberg gehört, seien zu einer solchen weiteren Zahlung nicht bereit.

Die Geberländer sollten sich fragen, wie sie sonst ihren großen Studentenberg nach dem Jahr 2010 bewältigen können. Wenn nicht zahlreiche Studenten an die Hochschulen im Osten kommen, dann müssten die Länder im Westen und Süden Deutschlands kurzfristig Kapazitäten aufbauen. Das wäre volkswirtschaftlich gesehen unsinnig, vor allem wenn diese Kapazitäten nur bis zum Jahre 2020 benötigt werden. Der Studentenberg entsteht ja im Wesentlichen dadurch, dass im Westen ein Land nach dem anderen zum Abitur nach zwölf Jahren übergeht. Dadurch wird eine einmalige Welle verursacht.

Baden-Württemberg zählt zu den Einwanderungsländern in Deutschland. Es profitiert von der Binnenwanderung der Jugend vom Osten nach Süden und Südwesten. Ministerpräsident Günther Oettinger möchte dasselbe wie Sie als sächsischer Ministerpräsident: Er will die hoch qualifizierten Hochschulabsolventen der kommenden Jahre im Ländle behalten, um die Wirtschaft langfristig zu stärken. Ist der Hochschulpakt vom Egoismus der einzelnen Länder geprägt?

Ja, natürlich. Das hängt sehr stark mit den Finanzierungsfragen zusammen. Wir müssen in Deutschland zu einem Optimum kommen. Wir sind auf jeden Fall bereit, in einem gewissen Umfang Studierende aus dem Westen und Süden Deutschlands aufzunehmen, und zwar auch im eigenen Interesse. Vor allem wollen wir nicht nur die Studierenden bekommen, die ihre eigentliche Priorität für die süddeutschen Länder haben, aber wegen des dortigen Numerus clausus nicht an den Hochschulen angenommen worden sind.

Bedarf es besonderer finanzieller Anreize durch Stipendien für diejenigen, die den Weg Go East einschlagen?

Wir sollten in diesem Fall nicht mit staatlichen Stipendien werben, sondern mit der Attraktivität des Standortes. Ich glaube schon, dass es einigen Regionen und Städten gelingt, diese Attraktivität zu erreichen, zum Beispiel Dresden oder Leipzig. Aber wir brauchen auch einen Mentalitätswechsel bei den Studenten: Nach wie vor studieren 80 Prozent der jungen Deutschen in demselben Land, in dem sie ihr Abitur gemacht haben oder gehen allenfalls in das Nachbarland.

95.000 Ingenieure und Naturwissenschaftler fehlen bis zum Jahre 2010. Das ist eine Schätzung der Bundesregierung. Ingenieur- und Naturwissenschaften sind die besonders teuren Studiengänge. Bietet der Hochschulpakt in seiner derzeitigen Konzeption genügend Geld, um diese teuren Studienplätze zu erhalten oder auszubauen?

Nein, der Pakt finanziert Durchschnittskosten und nicht die von Fach zu Fach unterschiedlichen Aufwendungen. Die Natur- und Ingenieurwissenschaften verlangen besondere technische Ausrüstungen, ebenso die Medizin. Deswegen sind diese Studiengänge teurer als die Geistes- und Sozialwissenschaften. Diese Mehrkosten sollten nicht zugunsten der weniger kostenintensiven Studiengänge zurückgestellt werden.

Sollte man an die Wirtschaft appellieren, dass sie für ihren eigenen Bedarf an Ingenieuren und Naturwissenschaftlern auch mehr Engagement zeigt, zum Beispiel durch die Vergabe von Stipendien an die Jugendlichen, die diese Fächer wählen?

Das halte ich für richtig. Die Betriebe sollten den jungen Leuten ein Stipendium geben, die bereit sind, nach dem Studium eine Bindung über drei oder fünf Jahre einzugehen. Sie müssten für diese begrenzte Zeit auch in dem Betrieb arbeiten, der das Stipendium gegeben hat. Einen solchen Anreiz halte ich in einer Situation für richtig, in der Studiengebühren in dem größten Teil Deutschlands eingeführt werden. Ich bin überzeugt, dass die Betriebe von solchen Stipendien ebenfalls profitieren können.

Das Gespräch führte Uwe Schlicht.

Georg Milbradt (62) ist seit 2002 sächsischer Ministerpräsident. Der promovierte Volkswirt studierte und lehrte an der Uni Münster, bis er 1990 als Finanzminister nach Sachsen ging.

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