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Gesundheit: Ein Museum für die Tonscherben des Kaisers

Vom „Trödelladen“ zum nationalen Erbe: Berlins Vorgeschichtliche Sammlung

Wäre Kaiser Wilhelm II. nicht durch seine Geburt König von Preußen und deutsches Reichsoberhaupt geworden, hätte er vielleicht ein guter Archäologe oder ein brauchbarer Bildhauer werden können. Denn auf diesen Gebieten lagen die besonderen Interessen des Monarchen, und davon profitierten die von ihm favorisierten Gelehrten und Künstler. Wilhelm II. kümmerte sich intensiv um das archäologische Erbe in seinem Reich und im Ausland und steuerte dafür erhebliche Mittel aus seiner Privatschatulle bei.

Während Minister und hohe Militärs lange auf Audienzen warten mussten, hatte Carl Schuchardt, der Direktor der Vorgeschichtlichen Abteilung des Berliner Museums für Völkerkunde, direkten Zugang zu Seiner Majestät. Der Archäologe hielt ihm stundenlang Vorträge über Ausgrabungen und gewann ihn, Ankäufe und Expeditionen zu finanzieren. Der berühmte Eberswalder Goldschatzfund von 1913 wurde vom Kaiser erworben und im Berliner Stadtschloss ausgestellt. Dem wissenschaftsbegeisterten Monarchen taten es andere Mäzene gleich und ließen der vor- und frühgeschichtlichen Forschung und der klassischen Archäologie große Beträge zukommen.

Unter Schuchardt hatte die Vorgeschichtsforschung ihre vorwissenschaftliche Phase hinter sich gelassen. Über die Vorgeschichtliche Sammlung der Berliner Staatlichen Museen, die heute im Museum für Vor- und Frühgeschichte zu sehen ist, erscheint jetzt eine prächtige Festschrift. Die Anfänge der Sammlung 1829 waren bescheiden: Geschichtsbewusste Gelehrte begeisterten sich für Hügelgräber, Tonscherben und Metallfibeln.

Die Hohenzollern entwickelten ein Faible für vaterländische Altertümer, für „Bruchstücke aus Thongefäßen und Beigaben an Eisen, Bronze, Knochen u. s. f., auch wenn dieselben durch das Liegen der Funde in der Erde unansehnlich geworden sind“, wie es in einem Fragebogen von 1888 heißt, der bei der Identifizierung und Klassifizierung archäologischer Funde helfen sollte. 1881 schenkte der Ausgräber Heinrich Schliemann dem Museum seine Sammlung trojanischer Altertümer.

In der „Ära Schuchardt“ wurde die Vorgeschichtliche Sammlung im damaligen Völkerkundemuseum neu geordnet. Aus dem „Trödelladen“, wie 1909 ein Kritiker schrieb, entwickelte sich eine nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen strukturierte Sammlung. Im und nach dem Zweiten Weltkrieg sind ihr allerdings herausragende Stücke abhanden gekommen. Bedeutende Sammlungsteile wie der so genannte Schatz des Priamos werden immer noch in Russland zurückgehalten und kehren wohl auch nicht heim.

Die Verluste könnten gerade bei der Sammlung trojanischer Altertümer noch viel größer sein. Schliemann hatte in seinem Testament verfügt, die Sammlung niemals zu trennen. Das Museum für Völkerkunde, das damals mit dem Schliemann’schen Erbe beauftragt war, setzte sich allerdings über den Wunsch des Archäologen hinweg. Es gab Dubletten an Museen und Sammlungen in anderen Städten, wo sie den Zweiten Weltkrieg unbeschadet überstanden. Inzwischen hat die Sammlung, nachdem sie 1945 fast dem Untergang geweiht war, mit immenser Anstrengung ihre vormalige Bedeutung nahezu wiedererlangt.

Das Berliner Museum für Vor- und Frühgeschichte. Acta Praehistorica et Archaeologica Bd. 36/37, hrsg. Staatliche Museen zu Berlin 2004/5, 768 Seiten, 56 Euro.

Helmut Caspar

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