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Gesundheit: EU-Bildungspolitik: "Mobilität ist nur ein Wort"

Ana Trane aus Stockholm hatte einen Traum. Sie träumte davon, eines Tages in Paris zu leben, um dort ihren Doktor in Wirtschaftswissenschaften zu machen.

Ana Trane aus Stockholm hatte einen Traum. Sie träumte davon, eines Tages in Paris zu leben, um dort ihren Doktor in Wirtschaftswissenschaften zu machen. Als sie die dafür in Schweden notwendigen Diplome gesammelt hatte, flog sie samt Beglaubigungen in die französische Metropole, marschierte zur Sorbonne und sprach dort mit der zuständigen Sachbearbeiterin. "Schnell machte mir die Frau klar, dass meine Abschlüsse in Paris nichts taugen. Sie begegnete mir mit Skepsis und Argwohn. Obwohl meine Noten erstklassig sind und mein Französisch makellos ist", sagt die 31-Jährige über ihre Erfahrungen mit Mobilität, dem wohl wichtigsten Grundwert der Europäischen Union (EU), dem Motor des Binnenmarktes.

"Mobilität umfasst die Abschaffung jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlung der Bürger der Mitgliedstaaten in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und Bildung", heißt es im Artikel 39 des EG-Vertrags. Dass Papier bekanntlich geduldig ist, macht, wie das Beispiel von Ana Trane zeigt, besonders die EU-Bildungspolitik deutlich. "Der Europäische Rat hat bis heute noch nicht verstanden, wie wichtig Mobilität für die EU wirklich ist", sagt Nicole Fontaine, Präsidentin des Europäischen Parlaments in Strasbourg. Bereits 1997 wies sie in einem Report auf Hindernisse und fehlende Einigkeit der EU-Bildungspolitik hin. Bis dato konnten sich aber weder Rat noch Parlament auf gemeinsame Richtlinien einigen. Vorschläge wurden auf Eis gelegt, rotierten zwischen der Europäischen Kommission in Brüssel und dem Rat wie dem Parlament in Strasbourg. "Alles bleibt wie es war. Mobilität ist nur ein Wort", sagt die französische Christdemokratin.

"Es ist wie eine unendliche Geschichte, die seit Jahren nicht mehr auf der Agenda ist. Schweden, das die derzeitige EU-Präsidentschaft hat, ist keine Ausnahme. Bildung scheint eine nationale Angelegenheit zu bleiben. Von Integration keine Spur", sagt auch ihr christdemokratischer Kollege Roy Perry vom Bildungsausschuss des Europäischen Parlaments. Erst kürzlich habe er einem britischen Studenten geholfen, an der Universität von Saarbrücken angenommen zu werden. "Seine Voraussetzungen stimmten, nur die Hochschule stellte sich quer", erinnert er sich. Wenige Telefonate später waren die Probleme jedoch ausgeräumt. Der junge Mann wechselte von der Themse an die Saar. Roy Perry: "Wer im Ausland studieren will, braucht oft einen Schutzengel."

"Es ist durchaus üblich, dass sich Professoren ihre Lieblingsstudenten zuschustern. Jemand kennt jemanden, der jemanden kennt. Das übliche Vitamin B also", sagt Veronika Solaro vom Europäischen Universitätsrat in Brüssel über die Politik hinter der Politik. Darüberhinaus überwiegen nationale Interessen, wenn es um die Auswahl von Studenten geht. Franzosen fürchten um ihre Sprache, Engländer wünschen keine internationale Studentenschwemme, die Deutschen bangen um ihr Bildungssystem, das ihnen noch immer hoch und heilig ist. Jeder fünfte Professor steht kurz vor der Pension. Offen zu sein für die europäische Einheit, ist bei vielen nicht gefragt. Vielfalt blockiert Mobilität. Was die drei bevorzugten Länder europäischer Studenten indes gemeinsam haben? Solaro: "Die Furcht vor einem einheitlichen Bildungssystem."

"Nein, das wird niemals möglich sein. Das Bildungssystem bedeutet für jedes Land kulturelle Identität. Würden wir ein einheitliches System einführen, würde dies einen großen Verlust für die einzelnen Nationen bedeuten", sagt die deutsche Europaabgeordnete Doris Pack (CDU). Was die Bildungsexpertin dagegen befürwortet, ist, einheitliche Abschlüsse zu etablieren. Beispielsweise nach US-amerikanischem Beispiel (BA, MA und PhD), wie es in einigen deutschen Bundesländern bereits praktiziert wird. "Vielleicht können wir so voneinander lernen", hofft Pack.

"Es gibt Richtlinien der gegenseitigen Anerkennung. Das reicht. In Europa muss ja nicht alles standardisiert werden", sagt dagegen Hermann-Josef Blanke, Professor für Europäische Integration und Staatsrecht an der Uni Erfurt. Für ihn gehört Bildungspolitik zum Kerngebiet eines jeden Nationalstaates. "Wo bleibt denn sonst das Typische in einem Land? Außerdem gibt es ja die Bildungsprogramme der EU", sagt er.

Den nur begrenzten Erfolg von Erasmus, dem 1987 gegründeten Vorzeige-Bildungsprogramm der EU, hat Christopher Heaton-Harris, christdemokratischer Europaabgeordneter und Mitglied des Bildungsausschusses, erst Ende 2000 untersucht. Von insgesamt 12 Millionen europäischen Studenten gehen nur zwei Prozent ins europäische Ausland. Das Ziel von Erasmus ist es aber, mindestens zehn Prozent davon zu überzeugen, das Mobilität bereits während der Ausbildung beginnt. "Dieses Ziel haben und werden wir nicht erreichen", sagt Heaton-Harris.

Außerdem nutzen von den besagten zwei Prozent nur knapp ein Prozent Erasmus. Das sind exakt 86 000 Studenten, obwohl mindestens 181 000 Stipendien zu vergeben wären. Der Grund ist, dass 57 Prozent derer, die Erasmus probiert haben, finanzielle Probleme beklagen, da Erasmus ihnen nur 120 Euro pro Monat bewilligt. "Wir sollten die Stipendien von Erasmus halbieren und dafür die monatliche Summe erhöhen", sagt Heaton-Harris. Dass er mit diesem Vorschlag auf politische Mauern stoßen würde, weiß er. Heaton-Harris: "Erasmus steht in erster Linie für Quantität. Selbst wenn darunter die Qualität leidet. Die Statistik entscheidet."

Wer also als Europäer im europäischen Ausland studieren will, muß, so scheint es zumindest, wohlhabend sein. "Es gibt keine armen Studenten, nur solche aus gutsituierten Familien", kritisiert Europaabgeordneter Robert Evans die heranwachsende EU-Bildungselite, die sich Mobilität leisten kann. Davon ausgenommen sind so gut wie alle europäischen Länder. Besonders die neuen Kandidaten. Der britische Sozialdemokrat fasst die wachsende Problematik so zusammen: "Das Parlament debattiert diese Angelegenheit nicht. Der Rat hat kein Interesse an Veränderungen. Bis sich irgendwann einmal wieder alle fragen, wo die Chancengleichheit geblieben ist."

29 europäische Wissenschaftsminister hatten 1999 verabredet, dass sich das künftig bessern soll. Die Bologna-Deklaration legt sich auf eine gemeinsame Studienorganisation fest: erster Abschluss, der Bachelor, und zweiter Abschluss, der Master. Die gegenseitige Anerkennung der Studienleistungen wird durch Kreditpunkte erleichtert. Voraussetzung ist eine Neuorganisation des Studiums in Module, damit die Kreditpunkte überhaupt vergleichbare Sudienabschnitte bewerten können. Im Frühjahr werden sich in Prag noch mehr europäische Bildungsminister versammeln, um den Abstimmungsprozess zu intensivieren.

Sönke Giard

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