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Gesundheit: Finanzbehörde stellt Studienplätze in Frage: Neue Sparopfer von Berlins Hochschulen gefordert

Die Berliner Hochschulen haben seit 1996 eine Milliarde Mark sparen müssen. Dies hat zur Vernichtung von 30 000 Studienplätzen geführt.

Die Berliner Hochschulen haben seit 1996 eine Milliarde Mark sparen müssen. Dies hat zur Vernichtung von 30 000 Studienplätzen geführt. Das entspricht dem Umfang einer großen Universität. Von ursprünglich 115 000 Studienplätzen werden bis zum Jahr 2003 nur noch 85 0000 Plätze übrig bleiben. Selbst diese sind finanziell nicht gesichert. Hochschulpolitiker wie der einstige Berliner Wissenschaftssenator Manfred Erhardt (CDU) oder der ehemalige parteilose Wissenschaftssenator George Turner haben erklärt, dass für eine Hauptstadt eigentlich 100 000 Studienplätze angemessen wären. Der Wissenschaftsrat hat wenigstens die finanzielle Sicherung der 85 000 Studienplätze verlangt. Diese Positionen werden jetzt durch die neuen Sparüberlegungen aus der Finanzbehörde erneut in Frage gestellt. Die Neuverhandlung über die Hochschulverträge für die Jahre nach 2003 steht auf der Tagesordnung und der Staatssekretär in der Finanzverwaltung, Robert Heller, hat dies zum Anlass genommen, um weitere Einsparungen zu verlangen, und zwar struktureller Art. Strukturveränderungen sind in der Sprache der Politiker tiefgreifende Veränderungen. Die Präsidenten von FU und TU sowie der Wissenschaftsrat, denen das Schreiben Hellers (siehe Kasten) durch den Tagesspiegel bekannt wurde, haben mit Empörung reagiert.

Die Hochschulen vor allem im Westteil der Stadt müssen außerordentlich hohe Belastungen durch die Altersversorgung von immer mehr Wissenschaftlern tragen. Diese jährlich wachsenden Belastungen werden von 137 Millionen Mark im Vergleichsjahr 2000 auf 211 Millionen im Jahr 2007 steigen - das sind 74 Millionen Mark mehr. Werden diese Belastungen in den neuen Hochschulverträgen nicht ausgeglichen, kommt es zu einer Umkehrung des Generationenvertrages: Studienplätze für die junge Generation müssen geopfert werden, um die Pensionen für Wissenschaftler zu zahlen. Außerdem kommen auf die Hochschulen Tarifsteigerungen in unbekannter Höhe zu.

Die neuen Hochschulverträge müssen daher eigentlich für die Jahre 2003/2004 aufgestockt werden. Eine Minderung des Staatszuschusses in den neuen Verträgen hätte katastrophale Wirkungen. Hinzu kommt der Investitionsbedarf im Hochschulbau. Unter den Sparauflagen ist hier gekürzt worden. Wenn die Hochschulen Neubauten benötigen, müssen sie den Landesanteil bei der Bund-Länder-Finanzierung in Berlin immer häufiger durch Grundstücksverkäufe selbst aufbringen. Entsprechend fallen die Reaktionen auf den Brief von Staatssekretär Heller aus.

Der Generalsekretär des Wissenschaftsrats, Winfried Benz, erklärte: "Der Wissenschaftsrat hat seit langem gesagt, die 85 000 Studienplätze in Berlin sind eine Untergrenze, die nicht unterschritten werden darf. Nur wenn die 85 000 Studienplätze ausfinanziert werden und erhalten bleiben, kann Berlin seine Landeskinder mit Studienplätzen versorgen sowie darüber hinaus genügend Studienanfänger aus anderen Ländern und vor allem aus dem Ausland aufnehmen. Der Wissenschaftsrat hat den Berliner Senat mehrfach nach der Finanzierung dieser 85 000 Studienplätze befragt, nur reichten die Aussagen, die der Wissenschaftsrat erhielt, nicht über das Jahr 2002 hinaus. Aber uns wurde vom Senat gesagt, dass man alles tun wird, diese 85 000 Studienplätze zu sichern. Berlin braucht starke Hochschulen, um sich auch gegenüber den außeruniversitären Forschungsinstituten in der Stadt zu behaupten. Die jüngsten Empfehlungen des Wissenschaftsrats vom Mai 2000 enthalten Aussagen zur künftigen Struktur und den Schwerpunkten an den Berliner Hochschulen auch im Wechselspiel zwischen den Universitäten und den Fachhochschulen. Die Geschäftsgrundlage für diese Empfehlungen sind die 85 000 Studienplätze und nicht etwa deren weitere Reduzierung. Sinnvolle Veränderungen auf der Grundlage unserer Empfehlungen dürfen nicht dazu führen, dass künftig die 85 000 Studienplätze in Berlin nicht mehr in dem Umfang vorhanden sind."

Der Präsident der Freien Universität, Peter Gaehtgens, kommentiert das Schreiben des Staatssekretärs Heller wie folgt: "Wir nehmen den Brief des Staatssekretärs aus der Finanzverwaltung mit äußerster Verwunderung und Irritation zur Kenntnis und erwarten vom Wissenschaftssenator, dass er sich jetzt eindeutig zur bisherigen Grundlage der Hochschulpolitik in Berlin bekennt. Die Bestandssicherung der verbliebenen 85 000 Studienplätze ist bisher Grundlage für die wissenschaftspolitischen Aussagen des Berliner Senats gewesen. Wenn das nicht mehr gewährleistet wird, ist ein Einvernehmen mit den Hochschulen nicht mehr gegeben. Die Ausfinanzierung von 85 000 Studienplätzen in Berlin hat der Wissenschaftsrat zur conditio sine qua non für seine Gutachtertätigkeit gemacht. Wird von dieser Grundlage abgegangen, dann wären völlig neue Strukturpläne erforderlich. Einer solchen erneuten Arbeit unter verschlechterten Bedingungen werden sich die Hochschulen verweigern."

Der Präsident der Technischen Universität, Hans-Jürgen Ewers, bezeichnet den Brief von Staatssekretär Heller als "einen politischen Skandal. Kein Bereich der Berliner Verwaltung hat derart drastische Reduktionen der Budgets (von 3,2 auf 2,1 Milliarden Mark) hinnehmen müssen, wie die Berliner Hochschulen, in Sonderheit die Universitäten. Den Hochschulverträgen haben die Universitäten nur deshalb zugestimmt, weil ihnen bei Hinnahme dieser Kürzungen eine Ausfinanzierung ihrer neuen Sollstrukturen versprochen wurde. Dieser Planungssicherheit wegen haben sie auch bis zum Jahr 2002 jährlichen Investitionsbudgets zugestimmt, die so weit unter den erforderlichen Reinvestitionen liegen, dass die Gebäude und Labors und Werkstätten seit mehr als einem Jahrzehnt veralten. Das Land Berlin ist mit der Garantie von 85 000 derzeit immer noch nicht ausfinanzierten Studienplätzen beim Bund im Wort, der seine Mitfinanzierung von Investitionen unter anderem in Adlershof davon abhängig gemacht hatte. Und dies alles soll durch einen Akt des politischen Opportunismus nun gegenstandslos geworden sein?"

Uwe Schlicht

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