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Gegen die Aufschieberitis schöner Dinge: Viele Menschen müssen lernen, jetzt und sofort zu genießen
Unangenehme Dinge werden gerne aufgeschoben – aber angenehme auch! Warum nur, fragt sich unser Kolumnist Magnus Heier.

Stand:
Viele Menschen bewahren eine ganz spezielle Flasche Wein auf für einen ganz besonderen Moment – sie warten auf den richtigen Zeitpunkt. Prokrastination – das sperrige Wort für ewiges Aufschieben – kennt man eigentlich nur von unangenehmen Dingen (Rechnungen, gefürchtete Gespräche, Aufräumen). Aber es gibt sie auch bei erfreulichen, angenehmen, besonderen Momenten.
Ein sich selbst verstärkender Effekt: Je länger freudige Dinge schon aufgeschoben wurden, umso länger werden sie weiter verzögert.
Schöne Momente werden nicht schöner, je länger man wartet.
Magnus Heier, Kolumnist
In einer aktuellen Studie, die in der Fachzeitschrift „PNAS Nexus“ erschien, haben Forscherinnen und Forscher gerade diesen Effekt nachweisen können. Probanden wurden nicht nur befragt, sondern auch konkret getestet: Wollen Sie jetzt einen Freund, den sie lange nicht gesprochen haben, kontaktieren – oder lieber nicht? Je länger der letzte Kontakt zurücklag, desto häufiger wurde gezögert.
Um auf den richtigen Moment zu warten
Nach dem Covid-Lockdown wurde es absurd. Menschen, die lange Zeit auf viele Dinge des sozialen Zusammenseins verzichten mussten – auf Hobbys etwa oder persönliche Kontakte – schoben diese auch nach Ende der Verbote weiter auf: Um auf den richtigen Moment zu warten.
Eigentlich wäre es logisch, nach der Aufhebung des Lockdown sofort ins Restaurant oder auf den Sportplatz zu eilen, Freunde zu besuchen oder zu verreisen. Viele Menschen warteten aber auf den besonderen Zeitpunkt, um gleichsam feierlich die neue Freiheit zu genießen. Je länger die subjektiv empfundene Zwangspause, desto länger die Zeit bis zum Neubeginn – so die Studie.
Das immer weitere Aufschieben ist ein Teufelskreis: Unangenehme Dinge werden unangenehmer. Und schöne Momente werden nicht schöner, je länger man wartet. Viele Menschen müssen lernen, jetzt und sofort zu genießen. Jeder Tag ist ein besonderer, jeder ist es wert, einen guten Freund endlich zu kontaktieren – oder eben auch, eine ganz besondere Flasche Wein zu köpfen.
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