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Gesundheit: Goethe und Gene

Nüsslein-Volhard zur Entwicklung des Lebens

Wie entsteht eine Fliege, ein Fisch, ein Mensch aus einer einzigen befruchteten Eizelle? Schon Goethe hat sich mit dieser Frage beschäftigt und zumindest einen Zipfel der Wahrheit ergriffen. „Alle Glieder bilden sich aus nach ewigen Gesetzen“, schrieb er in seinem Gedicht „Die Metamorphose der Tiere“, „und die seltenste Form bewahrt im Geheimen das Urbild.“ Die Entwicklungsbiologin Christiane NüssleinVolhard, Medizin-Nobelpreisträgerin am Tübinger Max-PlanckInstitut für Entwicklungsbiologie, nahm Goethes Gedanken zum Ausgangspunkt einer weit gespannten Reise durch die Entwicklungsbiologie. Sie hielt den öffentlichen Festvortrag beim Frühjahrstreffen des „Ordens Pour le mérite“ im Berliner Konzerthaus.

Die „ewigen Gesetze“ Goethes könnte man heute übersetzen als „Spielregeln der Evolution“. Die Genforschung hat das auf Anschauung beruhende Studium von Ähnlichkeiten zwischen verschiedenen Tierarten heute durch eine molekulare Sprachwissenschaft bestätigt und ergänzt. Anhand der genetischen Texte, wie sie im Erbmolekül DNS niedergeschrieben sind, lassen sich Verwandtschaftsbeziehungen zwischen den Arten feststellen und gemeinsame Vorfahren rekonstruieren. Damit kommt man auch dem goetheschen „Urbild“ näher. „Der Mensch ist aufs Nächste mit den Tieren verwandt“, stellte der Dichter fest und nahm auch damit eine Menge vorweg.

Je weiter man in der Entwicklung eines einzelnen Lebewesens zurückgeht, umso größer sind die Ähnlichkeiten mit anderen Arten. Eizellen und frühe Embryonen von Fliege und Mensch sind auf den ersten Blick nicht zu unterscheiden, und geradezu verblüffend sind die Übereinstimmungen, wenn man sich die Embryonen verschiedener Wirbeltiere – Frosch, Huhn, Fisch, Maus – anschaut. Diese Gemeinsamkeiten deuten auf eine gemeinsame Abstammung und sind ein Hauptargument für die Evolution.

Alle Wirbeltiere haben also gemeinsame „Urformen“. Gibt es aber auch ein gemeinsames „Urbild“ von Wirbel- und Gliedertier, also einen kleinsten gemeinsame Nenner von Fliege und Fisch? Nüsslein-Volhard führte das Publikum in das Unterreich des Lebens und in eine Phase der Erdentwicklung, die mindestens 600 Millionen Jahre zurückliegt. Damals lebte der gemeinsame Urahn. Er war spiegelbildlich-oval gebaut und besaß zwar Symmetrie, ein Links und Rechts, ein Oben und Unten und ein Vorne und Hinten, aber eben sonst auch nicht viel mehr.

Wie aus dem Einfachen das Komplexe – manchmal ziemlich Komplizierte – entsteht, zeigte die Biologin an der Gestalt von Wirbeltieren und der Entwicklung des Zebrafischs. Wie das geschieht, das konnte selbst Goethe nicht ahnen.wez

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