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Gesundheit: Hoffnung für Menschen mit seltenen Leiden

Überlebenschancen dank neuer Mittel gestiegen

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Bis vor kurzem erlebten Kinder mit der angeborenen Stoffwechselkrankheit Morbus Gaucher ihren zweiten Geburtstag nicht. Bei dieser Lipidspeicherkrankheit sammeln Fresszellen Unmengen von Stoffwechselmüll im Körper an, weil sie ihn wegen eines fehlenden Enzyms nicht abbauen können.

Aber jetzt gibt es Hilfe. Ähnlich, wie die Typ 1-Diabetiker lebenslang auf Insulin angewiesen sind, müssen Gaucher-Kranke regelmäßig das fehlende Enzym bekommen, damit sie „bedingt gesund“ bleiben.

Solche Stoffwechselleiden mit ihren verschiedenen Spielarten sind derart selten, dass es lange Zeit keine Mittel dagegen gab. Die hohen Forschungs- und Entwicklungskosten rentierten sich für die Arzneimittelfirmen nicht. Einige stellten trotzdem ohne jede Gewinnchance die notwendigen Präparate her. Aber „nicht viele pharmazeutische Unternehmen haben so viel Menschenliebe, um dennoch solche Arzneimittel zu entwickeln“, sagte Membert Elvers (Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, Bonn). Er sprach auf einem Workshop über die Arzneimitteltherapie seltener Krankheiten, zu dem die Paul-Martini-Stiftung Experten nach Berlin geladen hatte.

Als „selten“ gelten solche Krankheiten, an denen höchstens einer von 2000 Menschen leidet. Insgesamt sind dies schätzungsweise 6000 Krankheiten. Zu den bekannteren, weil noch relativ häufigen, gehören zum Beispiel Krebsformen wie die chronisch-myeloische und die akute lymphoblastische Leukämie (in Europa zusammen 64 000 Patienten), die Amyotrophe Lateralsklerose (17 000), verschiedene Formen des chronischen Lungenhochdrucks (300 000) oder die Mukoviszidose (60 000).

An einer seltenen Krankheit leiden ungefähr 30 Millionen Europäer, sagte der Münchner Internist Peter Scriba. „Bislang bedeutete das meist schlechte Chancen, an einen Arzt zu gelangen, der die Krankheit erkennt und schlechtere noch für ein Medikament, das hilft.“ Die Amerikaner waren die ersten, die das Problem auf Druck der Patienten einer Lösung näher brachten: Sie subventionieren seit 1983 die Entwicklung von „Orphan Drugs“ – „Waisen-Medikamenten“ gegen seltene Krankheiten, die wegen fehlender Eltern-Firmen gar nicht erst zur Welt gebracht werden. Erst im Jahr 2000 verabschiedete auch die EU eine Verordnung, nach der Mittel gegen lebensbedrohende oder zu Invalidität führende seltene Krankheiten gefördert werden, sofern es in der EU noch keine zufrieden- stellende Therapie gibt.

Eines dieser Förderinstrumente: Die Forscher und die Hersteller werden von der EU-Zulassungsbehörde EMEA bei Arzneimittelstudien unterstützt.

Die enormen Schwierigkeiten solcher Studien schilderte der Frankfurter Hochschul-Internist Thomas Wagner: Es ist kaum möglich, genügend Patienten zusammenzustellen; die seltenen Krankheiten sind nicht homogen (allein von dem Lungenleiden Mukoviszidose sind 1600 Varianten bekannt), und bei diesen chronischen Krankheiten ist der Behandlungserfolg nicht schnell zu erkennen.

Seit Beginn der Förderung wurden in Europa 423 Produkte in das „Orphan Drug“-Register aufgenommen, mehr als 30 davon sind bereits zugelassen, drei allein im Januar 2007. Zwei gegen besonders schwere Varianten der Epilepsie bei Kindern, eins gegen das Hunter-Syndrom, eine Speicherkrankheit. Manchmal erweist sich auch ein schon vorhandenes Mittel als wirksam gegen eine seltene Krankheit. Scriba nannte als Beispiel Sildenafil, die Wirksubstanz des Potenzmittels Viagra. Es ist jetzt auch zur Behandlung des chronischen Lungenhochdrucks zugelassen.

Mit einer seltenen Krankheit ist man am besten in einem spezialisierten Behandlungszentrum aufgehoben: Nach einer Studie hatten Hämophile („Bluter“), die außerhalb eines solchen Zentrums versorgt wurden, eine um 60 Prozent höhere Sterblichkeit. Und beim Hodgkin-Lymphom (einer von 50 verschiedenen Formen von Lymphknotenkrebs) ist eine Heilungsrate von 90 Prozent zu erzielen, wie Michael Hallek vom Lymphom-Kompetenznetz (www.lymphome.de) mitteilte. Also viel Hoffnung für Patienten mit seltenen Krankheiten.

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www.achse-online.de

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