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Dr. Magnus Heier

© Stefan Braun

Im weißen Kittel : Unterschätzte Krampftherapie

Künstlich ausgelöste epileptische Anfälle helfen besser gegen schwere Depressionen, als Medikamente oder Psychotherapie. Trotzdem wird diese Behandlung noch zu selten angeboten.

Eine Kolumne von Dr. Magnus Heier

Die Behandlung ist überraschend unspektakulär: Der Patient ist unter Kurznarkose, ein Stromstoß löst einen epileptischen Krampfanfall aus. Da vorher muskelentspannende Medikamente gegeben wurden, sind keine Zuckungen zu sehen. Nur die Hirnstromkurve (EEG) auf dem Monitor zeigt, dass der Patient gerade einen epileptischen Anfall hat. Kurz danach kommt er wieder zu Bewusstsein. Das Ganze hat nur wenige Minuten gedauert.

Seit Jahrhunderten ist bekannt, dass epileptische Anfälle Depressionen lindern können. Was dabei passiert, ist nur teilweise geklärt: Neurochemische Veränderungen im Gehirn werden beobachtet, das Wachstum der Nervenzellen wird angeregt, neue Verbindungen bilden sich.

Früher wurden die Anfälle etwa mit Medikamenten ausgelöst, mit erheblichen Nebenwirkungen. Das ist vorbei: Die heutige Elektrokrampftherapie (EKT) steht unter Beobachtung eines Anästhesisten und ist sicher – und erfolgreich: Sie wirkt bei schwersten Depressionen meist schneller und besser als Medikamente oder Psychotherapie. Und rettet Menschenleben, weil sie Suizide depressiver Patienten verhindert.

Es ist schwer erträglich, dass viele schwer depressive Patienten eine solche Behandlung niemals bekommen

Viele Patienten müssen trotzdem lange warten: Nur etwa die Hälfte aller psychiatrischen Kliniken bietet eine EKT überhaupt an. Das hat auch damit zu tun, dass sie unter älteren Ärzten (und auch in den Medien) noch immer nicht akzeptiert wird: zu „invasiv“, zu „technisch“. Was nicht stimmt. Auch die Möglichkeit, die Krampftherapie ambulant anzubieten, steckt anscheinend fest: Zu kompliziert und finanziell unattraktiv, heißt es.

Ich habe einen Patienten mit schwerster Depression erlebt, der vor der Behandlung nicht sprechen oder auch nur andere Menschen ansehen konnte. Nach der Krampftherapie konnte er entspannt plaudern – als wäre eine Mauer um ihn herum eingestürzt! Es ist schwer erträglich, dass viele schwer depressive Patienten eine solche Behandlung niemals bekommen!

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