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Gesundheit: Ohne Innovation ist der Wohlfahrtsstaat am Ende

Der deutsche Wohlfahrtsstaat gerät aus den Fugen, nur Wissenschaft und Innovation können ihn retten. Diese These vertrat Lothar Späth in einem Vortrag vor der Deutschen Physikalischen Gesellschaft.

Der deutsche Wohlfahrtsstaat gerät aus den Fugen, nur Wissenschaft und Innovation können ihn retten. Diese These vertrat Lothar Späth in einem Vortrag vor der Deutschen Physikalischen Gesellschaft. Der frühere Ministerpräsident von Baden-Württemberg ist Vorstandsvorsitzender der thüringischen Hochtechnologieschmiede Jenoptik AG, die seit kurzem eine eigene Beteiligungsgesellschaft für junge Unternehmen führt. Jenoptik ist der größte private Anbieter von Risikokapital in den neuen Bundesländern. Späths Auftritt in Berlin fand im überfüllten Vortragssaal im Magnus-Haus am Kupfergraben ein lebhaftes Echo.

"Bisher wird die Reaktion der Deutschen auf die Globalisierung mehr durch äußere Zwänge als durch das innere Bekenntnis zu mehr Wettbewerb, Neugier und Forschung bestimmt", sagte Späth. "Der Spielraum für eine nationale Wirtschaftspolitik, nach nationalen Regeln für Tarife, Steuern und Gesundheitsabgaben wird durch den globalen Druck immer enger." Bereits heute habe eine kurze Äußerung von US-Notenbankchef Allan Greenspan über mögliche Zinserhöhungen weit mehr Gewicht an den Börsen als beispielsweise ein Regierungswechsel in Washington, London oder Berlin. "Zugleich wird es durch weltweit agierendes Kapital, neue Medien und gut ausgebildete Leute immer einfacher, technische Innovationen überall auf der Welt zu adaptieren", erläuterte er. Der Jahresumsatz von Jenoptik beträgt rund drei Milliarden Mark. Zwei Drittel davon entfallen auf schlüsselfertige Chipfabriken. "Unsere größte und modernste Fabrik entsteht gerade auf Borneo", berichtete Späth. "Vor zwanzig Jahren wäre das undenkbar gewesen, damals galt Malaysia noch als unterentwickelter Dschungelstaat. Die Industrieländer können ihren Wohlstand also nur durch wissenschaftlichen Vorsprung und steigende Produktivität halten."

Und wie sieht hier die Position Deutschlands aus? Die meisten deutschen Patente werden in den Branchen erteilt, die zu den traditionellen Stärken Deutschlands als Exportnation gehören: im Maschinenbau, in der Elektrotechnik oder im Fahrzeugbau. "In den neuen Zukunftsmärkten wie Gentechnik, Biotechnologie oder Telekommunikation treten die Deutschen viel zu wenig auf, von Software ganz zu schweigen." Für Späth ist die Folge klar: In den angestammten Branchen würden immer weniger Arbeitskräfte benötigt - so führe das Exportwachstum zu einem Wachstum der strukturellen Arbeitslosigkeit. "Vor allem ältere Facharbeiter fliegen raus, zumal sie sich kaum auf neue Technik umschulen lassen", prophezeite Späth. "Ihre Lebenserfahrung, die früher in der Gesellschaft sehr wichtig war, verliert heute rasant an Wert."

Angesichts der enormen Konkurrenz werden Standortfaktoren wie Bildung, Gesundheitskosten und Steuergesetze immer wichtiger, "allesamt Ressorts, die nicht zur klassischen Wirtschaftspolitik gehören", sagte Lothar Späth. "Vor den Hochschulen liegt eine Revolution. Künftig wird es keine Universität mehr geben, die nicht mindestens zweisprachig lehrt. Und Professoren, die das Wort Vorlesung noch wörtlich nehmen, haben angesichts des Internets und seiner Möglichkeiten für die Ausbildung der Studenten keine Chance mehr."

Auch sei die Innovationsfeindlichkeit in Deutschland noch nicht überwunden. "Die Debatte über den Transrapid ist jetzt fast zwanzig Jahre alt", monierte Späth. "Damit ist diese Innovation längst veraltet oder wird anderswo umgesetzt." Ähnlich sehe es mit der Gentechnik aus: Obwohl bei uns verpönt, so sei Deutschland dennoch die weltweit größte Importnation für gentechnisch manipulierte Pharmaka. "Angesichts dieser Tatsache wäre es glaubhafter, über die Wachstumspotenziale dieser Technologie auch bei uns nachzudenken", meinte Späth.

Heiko Schwarzburger

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