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Gesundheit: Süße Hoffnung

Zuckermoleküle können die Grundlage für Arzneien bilden. Auch Impfstoffe gegen Malaria sind denkbar

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„Impfen ist süß“, mit diesem Slogan wurde in den 1960er Jahren für die Schluckimpfung gegen die „grausame“ Kinderlähmung geworben. „Süß“ war sie, weil man den Impfstoff auf einem Stückchen Zucker zu sich nahm.

Zucker könnte beim Impfen weiter eine Rolle spielen – allerdings jetzt als Bestandteil des Impfstoffs selbst. Diesmal geht es nicht um Kinderlähmung, sondern um Erkrankungen wie Malaria, der jährlich zwei Millionen Menschen zum Opfer fallen. Weit mehr, nämlich 300 Millionen, erkranken. Neun von zehn Erkrankten leben in Schwarzafrika. Medikamente sind teuer und werden zudem oft wirkungslos, weil sich Resistenzen bilden.

An der Entwicklung eines Impfstoffs arbeiten Forscher weltweit seit Jahren. Er soll das Immunsystem gegen den einzelligen Parasiten Plasmodium falciparum in Stellung bringen. Der Erreger wird von Stechmücken auf den Menschen übertragen. Lange Zeit hat sich die Medizin auf bestimmte Eiweiße konzentriert, die sich auf der Hülle der Parasitenzelle befinden.

Bereits 2002 hatten der australische Mediziner Louis Schofield und der damals am Massachusetts-Institut für Technologie tätige deutsche Chemiker Peter Seeberger mit einem Artikel in der Fachzeitschrift „Nature“ Aufsehen erregt. Sie beschrieben darin eine künstliche Zucker-Fett-Verbindung namens „GPI“ (Glycosylphosphatidylinositol). Diese Substanz kommt ebenfalls auf der Oberfläche der Parasitenzellen vor und stellt nach den Erkenntnissen der Forscher für den Körper des Malaria-Opfers das eigentliche Gift dar.

Diese Entdeckung war die Voraussetzung, um ein Gerät entwickeln zu können, mit dem sich verschiedene Mehrfachzucker einfach, schnell und einigermaßen kostensparend herstellen lassen. Dies berichtete Seeberger jetzt in Berlin beim Dritten Glykan-Forum der Charité und Biotop, der Biotechnologie-Initiative Top Berlin-Brandenburg. „Glycomics“, die Ära der Glykane, jener komplexen Zuckerverbindungen auf der Zelloberfläche, ist generell ohne moderne Analysemethoden, neue Verfahren der Synthese und die enormen Rechenkapazitäten, die die Bioinformatik bietet, undenkbar.

„Die Herstellung dieser komplexen Zuckerstrukturen ist nämlich wegen deren Verzweigtheit weit komplizierter und schwieriger als die von Proteinen“, erklärt der Chemiker, der inzwischen am Department für Chemie und angewandte Biotechnologie der ETH Zürich arbeitet.

Doch die Mühe könnte sich lohnen. Mäuse, die mit einem Impfstoff auf der Basis der Zuckerverbindung geimpft wurden, entwickelten jedenfalls spezifische Antikörper. Ihr Immunsystem hatte sich also mit dem Malaria-Gift auseinandergesetzt. Und: Sie überlebten die Malaria, die sie unter natürlichen Bedingungen jedoch gar nicht bekommen.

Wenn alles gut geht, soll der Impfstoff in einigen Jahren auch Menschen in den besonders gefährdeten Regionen Afrikas vor Malaria schützen. Derzeit laufen dazu vorklinische Studien. Auf dem Schwarzen Kontinent gibt es, wie Untersuchungen im westafrikanischen Land Burkina Faso zeigten, viele Erwachsene, die trotz nachgewiesener hoher Parasitenraten nicht an der Infektionskrankheit sterben. Schließlich haben die „Schmarotzer“ wenig Interesse daran, ihren unfreiwilligen „Gastgeber“ zu töten. Für kleine Kinder ist der Befall jedoch fast immer tödlich. „Antikörper können erst Personen bilden, die über zwei Jahre alt sind“, sagt Seeberger. Der Impfstoff könnte also das Leben der Allerkleinsten retten.

Inzwischen hat Seebergers Arbeitsgruppe auch einen Impfstoffkandidaten für die ebenfalls von einer Mücke übertragene Leishmaniose gefunden. Hier löst ebenfalls ein einzelliger Parasit die Infektion aus, die ohne Behandlung fast immer tödlich verläuft. Und auch hier basiert der Impfstoff auf einer Zuckerverbindung, die synthetisch hergestellt wird. Die vier Bausteine bilden die Struktur nach, die die Parasiten benutzen, um die Fresszellen des Immunsystems schachmatt zu setzen. Wie im Fall des Malaria-Impfstoffs muss die künstliche Zuckerverbindung mit einer Hülle kombiniert werden, um das Immunsystem von Maus und Mensch zu einer Reaktion zu bewegen. In diesem Fall dient die leere Hülle von Grippeviren als solches Trägersystem.

Neben den Parasiten haben die Zürcher Forscher auch ein Bakterium im Visier, um das es in den letzten Jahren glücklicherweise still geworden ist: Anthrax, dessen Sporen Milzbrand hervorrufen und das vor einigen Jahren als Biowaffe ins Gespräch kam. Bedrohlich ist vor allem, dass die Sporen sich problemlos in Briefumschlägen verschicken lassen – und dass das Einatmen tödlich sein kann.

Hier bietet ebenfalls eine komplexe Zuckerverbindung auf der Zelloberfläche der Erreger die Zukunftsperspektiven. Denn diese „Anthrose“ genannte Verbindung können die Chemiker in ihrem Synthesizer ebenfalls in großen Mengen herstellen und anschließend mit einem Trägerprotein verbinden. Mäuse, denen sie diese Verbindung spritzten, entwickelten Antikörper, die nur mit Anthraxsporen reagierten.

Die Erkenntnisse lassen eine dreifach nutzbringende Anwendung zu: Denkbar ist ein Impfstoff auf der Basis der Zuckerverbindung, aber auch eine passive Immunisierung für den Ernstfall, für die man Betroffenen direkt den Antikörper geben würde. Man kann die Antikörper aber auch für Tests nutzen, um Anthraxsporen schneller und zuverlässiger als bisher nachzuweisen. Oder um den Briefinhalt genauso schnell für harmlos erklären zu können. Vielleicht ist ja nichts als Zucker drin.

Adelheid Müller-Lissner

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