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Eine ältere Frau sitzt auf einem Stuhl und hört mit Kopfhörern Musik.

© Getty Images/Justin Paget

„Urplötzlich können sie den Liedtext“: Wie Musik Demenzpatienten helfen kann

Viele an Demenz erkrankte Menschen leben scheinbar in ihrer eigenen Welt. Dabei gibt es Möglichkeiten, sie wieder stärker ins soziale Miteinander zurückzuholen – ganz ohne Medikamente.

Von Vanessa Köneke

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„Alive inside“ (Im Inneren lebendig): So lautet der Name eines Dokumentarfilms, der zeigt, wie Musik bei demenzkranken Menschen wirkt. „Ich kann mich nicht mehr erinnern“, antwortet eine 90-jährige Frau auf die Frage, wie ihr Leben war. „Ich habe so viel vergessen. Es tut mir leid.“ Doch nur kurze Zeit später sprudeln die Erinnerungen und Geschichten nur so aus ihr heraus. Die Frau hat inzwischen Kopfhörer auf und hört Musik von Louis Armstrong. Die Dokumentation ist von 2014 und sehr berührend.

Mittlerweile ist die Kraft der Musik bei Alzheimer und anderen Demenzerkrankungen wissenschaftlich belegt. „Es hat sich gezeigt, dass Musiktherapie die kognitiven Fähigkeiten bei Menschen mit Demenz verbessern kann“, schreiben etwa die Autorinnen und Autoren einer 2020 veröffentlichten zusammenfassenden Analyse von acht Studien. Bei den Betroffenen verbesserten sich demnach auch die wahrgenommene Lebensqualität direkt nach der Intervention sowie Langzeitdepressionen. Am wirksamsten war dabei Musikhören; aber auch Singen hilft der Analyse zufolge.

Bei altbekannten Liedern, die sie aus ihrer Kindheit kennen, da singen sie mit, urplötzlich können sie den Text. Das fasziniert schon sehr.

Ulrike, Musikerin

Ein anderes Forscher-Team hat sich in einer 2024 veröffentlichten Studie allein auf die am weitesten verbreitet Demenz-Form Alzheimer konzentriert: Das Ergebnis lege nahe, dass die Behandlung mit Musiktherapie die Hirnleistung von Patienten mit Alzheimer-Krankheit verbessere, schlussfolgert es in der zusammenfassenden Analyse von elf Studien. So hätten die Hirnleistung im Allgemeinen, das Reden, die Orientierung und das Gedächtnis profitiert. Musiktherapie kann einer weiteren Meta-Studie zufolge bei Menschen mit Demenz auch gegen Unruhe helfen. Das Team hatte zwölf Fachartikel ausgewertet und das Ergebnis im Journal „Frontiers of Psychology“ präsentiert.

Workshops für Amateur-Musikerinnen und -Musiker

Auch in der Praxis sind die Erkenntnisse längst angekommen, zum Beispiel beim Nordbayerischen Musikbund (NBMB). Beim Projekt „Ein Lied für Dich“ organisiert der Bund Mitmach-Konzerte für Menschen mit Demenz. „Bei unseren Konzerten waren Menschen im Publikum, die scheinbar auf nichts mehr reagiert haben. Bei altbekannten Liedern, die sie aus ihrer Kindheit kennen, oder auch bei Weihnachtsliedern, da singen sie mit, urplötzlich können sie den Text. Das fasziniert schon sehr“, berichtet die Musikerin Ulrike, die mit ihrem Amateurensemble regelmäßig in Seniorenzentren spielt.

139
Millionen Menschen werden laut WHO-Prognosen im Jahr 2050 unter einer Demenz leiden. Derzeit sind es rund 55 Millionen.

Hobby-Musiker, die Musik in Pflegeeinrichtungen bringen möchten, können sich beim NBMB, der seinen Sitz in Unterpleichfeld bei Würzburg hat, in Workshops dafür weiterbilden. Gemeinsam mit der Technischen Hochschule Würzburg-Schweinfurt hat der NBMB zudem eine Anleitung für digitale Musikangebote erarbeitet.

Was man noch gegen Demenz tun kann

Die Angebote zur Unterstützung sind wichtig. Auch weil die Zahl der Demenzkranken weltweit steigt. Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation WHO leiden derzeit 55 Millionen Menschen unter einer Demenz. Im Jahr 2030 sollen es schon 78 Millionen sein und noch mal 20 Jahre später sogar 139 Millionen, schätzt die Organisation. Obwohl Demenz als Alterserkrankung gilt, betrifft sie nicht nur Ältere. In bis zu neun Prozent der Fälle tritt die Krankheit laut WHO vor dem Alter von 65 auf.

Während Demenz früher in vielen Fällen als fast unausweichlich galt, gibt es nun immer mehr Hinweise darauf, dass sich die Erkrankung oft noch verhindern oder zumindest verzögern ließe. Als Risikofaktoren für Demenz gelten mangelnde körperliche Bewegung, Übergewicht und Diabetes, Rauchen und Alkoholkonsum, Bluthochdruck sowie soziale Isolation, Depression, geringe Bildung, Hirnverletzungen, Hörminderung und Luftverschmutzung.

Die sogenannte Lancet-Kommission Demenz, eine Gruppe von Wissenschaftlern, die zum Thema Demenz forschen, sorgte erst kürzlich mit einer neuen Einschätzung für Aufsehen. Dem internationalen Team zufolge ließen sich 45 Prozent aller Demenzfälle verhindern oder verzögern. Die Kommission listete außerdem neben den zwölf genannten potenziell vermeidbaren Risikofaktoren auch noch zwei neue auf: Auch eine Behandlung eines drohenden Seh-Verlustes sowie eines zu hohen Cholesterinspiegels kann demnach vorbeugend gegen Demenz wirken.

Demenz ist dabei ein Überbegriff für mehrere Erkrankungen, die Gedächtnis, kognitive Fähigkeiten und Verhalten beeinflussen. Alzheimer ist die häufigste Form. Laut WHO macht sie 60 bis 70 Prozent aller Demenz-Fälle aus.

Auf die Bedürfnisse der Alzheimer-Patientinnen und -Patienten soll der Weltalzheimertag am Samstag, dem 21. September, hinweisen. An diesem Tag finden in vielen Städten und Orten Veranstaltungen wie Vorträge und Benefizkonzerte statt. Nach Angaben der Deutschen Alzheimer Gesellschaft (Berlin) gibt es allein in Deutschland 1,8 Millionen Demenzerkrankte.

„Auch wenn gegenwärtig eine Heilung der Krankheit nicht möglich ist, kann durch medizinische Behandlung, Beratung, soziale Betreuung, fachkundige Pflege und vieles mehr den Kranken und ihren Angehörigen geholfen werden“, heißt es von der Gesellschaft. Musik gelte dabei als „Königsweg“ zu den Demenzkranken. (dpa)

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