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Ein Schild mit der Aufschrift „Wir sprechen hier in der Praxis ausschließlich Deutsch“ steht auf einem Tresen an dem Empfangsbereich einer Praxis für Kinder- und Jugendmedizin in Kirchheim unter Teck.

© dpa/Marius Bulling

Verantwortungsvoll oder rassistisch?: Kinderarztpraxis behandelt nur Deutschsprachige – Verzicht auf Schild

Das Schild ist weg, die Regel bleibt: Eine Kinderarztpraxis behandelt nur Patienten mit Deutschkenntnissen oder Dolmetscher. Ein umstrittenes Hinweisschild am Eingang ist aber weg - vorerst.

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Nach dem Wirbel um ein Deutschpflicht-Schild hat eine Kinderarztpraxis in Kirchheim unter Teck den Hinweis vom Empfang entfernt. An der Regel, nur noch Patienten mit ausreichend Deutschkenntnissen oder mit Dolmetscher behandeln zu wollen, halten die Mediziner jedoch fest.

„Wir haben das Schild jetzt ausgetauscht, weil wir denken, dass die Botschaft - insbesondere durch den ganzen Medienrummel - jetzt all unsere Patienten erreicht hat, die es wissen müssen“, sagte Kinder- und Jugendarzt Ulrich Kuhn. Zuvor hatten die „Stuttgarter Zeitung“ und die „Stuttgarter Nachrichten“ darüber berichtet.

Dieses Schild war nicht für die Öffentlichkeit gedacht, sondern für unsere Patienten

Ulrich Kuhn, Kinder- und Jugendarzt

Seit rund zwei Monaten hatte die große Kinderarztpraxis in der Nähe von Stuttgart mit dem Schild auf eine neue interne Regelung hingewiesen: „Wir sprechen hier in der Praxis ausschließlich Deutsch! Sollte eine Kommunikation aufgrund fehlender deutscher Sprachkenntnisse nicht möglich sein und auch kein Dolmetscher persönlich anwesend sein, müssen wir eine Behandlung - außer in Notfällen - zukünftig ablehnen.“ Die Regel sorgte für Diskussionen im Netz und Rassismusvorwürfe. Die Mediziner bestrittene die Vorwürfe vehement.

Schild soll wiederkommen

Man wolle Patienten gefahrenfrei, sicher und vernünftig behandeln, hatten die Ärzte argumentiert. Es seien immer mehr Eltern mit Kindern gekommen, die kein oder so gut wie kein Wort verstanden hätten. So sei weder eine Behandlung noch eine Diagnose möglich gewesen. Rund 3500 Kinder und Jugendliche werden laut Kuhn pro Quartal in der Praxis behandelt. Seit rund 23 Jahren praktiziere er mit seinem Kollegen vor Ort. Etwa jeder zweite Patient habe inzwischen einen Migrationshintergrund.

Ulrich Kuhn, Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin, in Baden-Württemberg will trotz Kritik nicht-deutschsprachige Kinder nur mit Dolmetscher behandeln.

© dpa/Marius Bulling

„Natürlich sollen die, die es betrifft, weiterhin mit einem Dolmetscher kommen“, erklärte Kuhn nun. Sein Fazit sei: „Dieses Schild war nicht für die Öffentlichkeit gedacht, sondern für unsere Patienten. Deshalb beeinflusst dieser Medienrummel auch unsere organisatorischen Maßnahmen weder in die eine noch in die andere Richtung.“

Aktuell stehe ein anderes Schild mit Praxisregeln am Empfang. „Wir wechseln da jetzt einfach immer durch. Irgendwann kommt dann auch wieder das bisherige Schild dran.“

Übersetzungsapps „suboptimal“

Laut der Landesärztekammer Baden-Württemberg können Ärzte die Behandlung von Patienten unter verschiedenen Umständen abbrechen – auch wenn es grundlegende Verständigungsprobleme gibt. Berufsrechtlich sei der Ärztin beziehungsweise dem Arzt ein erheblicher Ermessensspielraum zu belassen.

Von der Kassenärztliche Vereinigung in Stuttgart hieß es, dass die Situation für Ärzte kaum lösbar sei. „Auf der einen Seite möchten sie Patienten behandeln, auf der anderen Seite müssen sie Patienten aufklären.“ Dafür sei ein Mindestmaß an Kommunikation erforderlich. Anwendungen wie Google Translator seien da nur suboptimal und würden viel Zeit kosten, die dann nicht für andere Patienten zur Verfügung stünden.

Rechtlicher Graubereich

Dass eine rechtskonforme Aufklärung über Impfungen bei Sprachbarrieren nahezu unmöglich sei, sei sicher jedem klar, sagte ein Sprecher des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte in Berlin. „Hier den geeigneten Mittelweg zu finden, ist tägliches Brot einer Kinder- und Jugendpraxis.“

Für die Praxis steht unterdessen fest: „Dieses Schild hat überhaupt keine diskriminierende Aussage“, so Kuhn. Es habe nichts mit Diskriminierung zu tun, sondern mit der Realität. „Wenn kein Dolmetscher da ist und die Patienten uns nicht verstehen, dürfen wir sie eigentlich nicht behandeln. Wenn wir das trotzdem tun, bewegen wir uns ständig in einem rechtlichen Graubereich.“ (dpa)

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