
© Stefan Braun
Viel zu viele Pillen: Verschreiben ist einfach – wegnehmen dagegen schwer
Gerade Ältere nehmen oft mehrere Medikamente parallel. Die Wechselwirkungen sind dabei kaum überschaubar. Auch deshalb sollte man regelmäßig prüfen lassen, was verzichtbar ist.

Stand:
Die Patientin war wütend: Sie war in die Notdienstpraxis gefahren, um ein Antibiotikum zu bekommen. Aber sie hatte eine virale Entzündung, ihr würden Antibiotika nicht helfen. Laut schimpfend verließ sie die Praxis, um sich einen „richtigen“ Arzt zu suchen. Keine Seltenheit: Sehr oft gilt ein Praxisbesuch nur dann als erfolgreich, wenn der Arzt das gewünschte Rezept ausstellt. In der Folge werden viel zu viele Medikamente verschrieben, immer wieder verlängert, jahrelang nicht abgesetzt. Und weil es noch immer keine Patientenakte gibt, weiß oft der eine Arzt nicht von den Rezepten des anderen.
Die Konsequenzen sind dramatisch: Zwei von drei über 65-jährigen US-Amerikanern nehmen täglich mindestens fünf verschiedene Medikamente ein! Nebenwirkungen und Wechselwirkungen sind dabei längst nicht mehr überschaubar. Wie viele Krankenhauseinweisungen daraus folgen, wie viele Todesfälle, ist nur zu erahnen.
Viele Medikamente – ob vom Arzt verschrieben oder rezeptfrei selbstständig besorgt – können vor allem in der Kombination lebensgefährlich werden: Unterschiedliche Präparate greifen an den selben Wirkstellen an – und blockieren sich gegenseitig. Oder sie werden von den selben Enzymen abgebaut – und blockieren sich dabei ebenfalls. Und diese Wechselwirkungen gibt es nicht nur bei Pharmaka: Grapefruitsaft etwa blockiert ein Enzym der Leber, wodurch der Abbau von Blutdruck- und Fettsenkern verlangsamt und deren Wirkdauer verlängert wird. Und Grapefruit greift in die Wirkung von Blutgerinnungshemmern ein!
Es ist entscheidend, Medikamente immer wieder zu hinterfragen: Sie nicht nur zu verschreiben, sondern zu „entschreiben“. Das kann der Apotheker auf Nachfrage vorschlagen. Das muss der Arzt, möglichst der Hausarzt, umsetzen. Aber es ist unpopulär, ein verschriebenes Präparat abzusetzen – auch weil ein langjähriges Medikament vom Patienten oft schmerzlich vermisst wird, weil die Veränderung ihn oder sie verunsichert. Darf der Hausarzt wegnehmen, was Facharzt oder Krankenhaus vor Monaten oder Jahren verschrieben haben? Genau das ist eine seiner wichtigsten Aufgaben.
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