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Wird Long Covid nicht ernst genommen?: „Betroffene haben das Gefühl, sie würden für ‚verrückt‘ erklärt“
Auf einem Meldeportal kommen Patienten mit Long Covid zu Wort. Das Feedback Hunderter Erkrankter offenbart Lücken in der Diagnostik und Therapie – und eine große Furcht, als psychisch gestört zu gelten.
Stand:
Frau Hammer, Sie haben Hunderte Berichte von Long-Covid-Patienten auf dem Portal patienten-fuer-patienten ausgewertet, wie sie selbst ihre Versorgungssituation einschätzen. Warum ist das notwendig?
Zum einen, weil Long Covid ein neues Krankheitsbild ist, dessen Versorgung im Gesundheitssystem bislang nicht vorgesehen war. Es gibt also noch keine erkrankungsspezifischen Versorgungsstrukturen, Erfahrungen oder Therapiemöglichkeiten. Und der andere Grund ist die sehr hohe Zahl der Betroffenen und der Streit in der Medizin über die Ursachen und die damit verbundenen „richtigen“ Therapien. Denn Long Covid ist kein einheitliches Erkrankungsbild, sondern hat sehr viele Ausprägungen und unterschiedliche Symptome.
Was sind die Hauptergebnisse Ihrer Untersuchung?
Unsere Analyse konzentriert sich vor allem auf die Probleme in der Versorgung, die Menschen mit Long Covid erleben. 85 Prozent der Befragten gaben an, dass Ärztinnen und Ärzte, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Krankenkassen und Behörden nicht ausreichend über das Krankheitsbild informiert seien. Acht von zehn berichten, dass ihre Beschwerden nicht ernst genommen oder als psychosomatisch eingestuft wurden. Wir müssen aber dazusagen, dass es sich dabei um subjektive Berichte handelt, die Zahlen nicht statistisch repräsentativ sind, und dass auch positive Erfahrungen berichtet wurden.
Viele haben Behandlungen erhalten, die ihnen aus ihrer Sicht nicht geholfen, teilweise sogar geschadet haben.
Sabine Hammer, Sozialforscherin
Warum fühlen sich die Betroffenen nicht ernst genommen, wenn man ihnen sagt, dass möglicherweise die Psyche bei ihren Symptomen eine große Rolle spielt?
Psychische Erkrankungen sind noch immer mit einem Stigma belegt. Wenn die Erkrankten hören, ihr Problem sei psychischer Natur, haben viele das Gefühl, sie würden für „verrückt“ erklärt. Und weil sie mit dieser Diagnose häufig Behandlungen erhalten, die ihnen aus ihrer Sicht nicht geholfen, teilweise sogar geschadet haben. Das gilt insbesondere für sogenannte Reaktivierungstherapien, die üblicherweise bei psychischen Erkrankungen empfohlen werden. Gerade diese führen nach Berichten vieler Long-Covid-Erkrankter zu einer mitunter dramatischen Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes.
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