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Verheißungsvoll: Christos „Purple Store Front“ von 1964.

© Wolfgang Voltz / VG Bild-Kunst, Bonn 2025

Glück hinter Glas: Eine Ausstellung über das Schaufenster

Das Museum Tinguley in Basel zeigt, wie Fenster die Fantasie von Künstlern beflügelt: Mal verhängen sie die Scheiben, mal werden sie selbst zum Objekt.

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Marcel Duchamp hat ein „n“ vergessen. Sein kleines, mit schwarzem Leder verhängtes Sprossenfenster namens „Fresh Widows“ schrammt knapp am Titel der Ausstellung „Fresh Windows“ im Tinguely Museum vorbei. Im Baseler Haus geht es um Fenster in der Kunstgeschichte, und es verblüfft schon, wie viele Künstlerinnen und Künstler sich mit dem Thema beschäftigt haben.

Andy Warhol als Schaufenstergestalter, Christo als Verhüller und Marina Abramovic als Tauscherin – oder Täuscherin? –, die sich 1976 im Amsterdamer Rotlichtviertel in einem Schaufenster anbot, während die sonst dort arbeitende Prostituierte anstelle der Künstlerin eine Ausstellung in der Gallery De Appel eröffnete.

Das transparente Glas, das im selben Moment Zugriff suggeriert und Distanz herstellt, hat seit der Moderne zahllose Kunstwerke inspiriert. 2012 beleuchtete eine große Ausstellung in Düsseldorf das Thema, und auch sie stellte jene „Frische Witwen“ hinter schwarzen Scheiben ins Zentrum, wie sie Duchamp 1920 durch den Kopf gingen.

Die Anspielung versteht man mit Blick auf die Entstehungszeit der Arbeit, die er mehrfach realisierte: Der Erste Weltkrieg war noch präsent, die Verdunklung der Fenster gegen gezielte Bombenabwürfe ebenso wie die Tatsache, dass sich zahllose Frauen ab jetzt als Witwen durchschlagen mussten.

„Fresh Widows“ im Entree der Baseler Ausstellung gibt nun ebenfalls die Richtung der umfangreichen, spannenden Schau mit internationalen Leihgaben vor. Arbeiten mit und über Schaufenster werden nicht chronologisch abgehandelt, sondern systematisch sortiert, mögliche Perspektiven in aller Vielschichtigkeit kommentiert.

Fleisch im Fenster

Die Zurschaustellung von Waren wie Fleisch oder Unterwäsche, die der Fotograf Eugène Atget als Flaneur Anfang des 20. Jahrhunderts in Paris festhielt, mündet in der feministischen Kunst von Maria Teresa Hincapié und Vlasta Delimar, die sich mit dem Blick auf den weiblichen Körper befassen, der im öffentlichen Raum stets ausgestellt wirkt. Peter Blake schuf mit „The Toy Shop“ 1962 eine Assemblage aus Tür und Schaufenster, in dem er vom Scherzartikel bis zur Cowboy-Figur versammelt, was er als Kind begehrte.

Dass die Plastikverpackungen in der Auslage eines vorgeblichen Spielzeuggeschäfts nach über 60 Jahren kurz vor dem Zerfall sind, macht nicht nur die Konservatoren nervös – es zeigt auch, wie kurzlebig und fragil diese Wünsche sind.

So glaubt auch der Fotograf Gregory Crewdson den konsumistischen Versprechen seines Landes längst nicht mehr und tauscht die Position: Er stellt sich 2021 selbst ins Schaufenster leerer Geschäfte, um durch die Scheibe einen Blick auf die Trostlosigkeit amerikanischer Vorstädte zu werfen.

Das Künstler-Duo Elmgren & Dragset platzierte seinen Fake-Store „Prada Marfa“ in der Wüste.

© ProLitteris, Zürich

Dazwischen inszeniert die Ausstellung eine kurzweilige, dabei optisch überwältigende Auseinandersetzung mit der Scheibe. Nicht bloß Warhol verdingte sich in New York als Dekorateur. Auch das „Maison Jones“ bot seine Dienste bei der Gestaltung von Schaufenstern an, den Job erledigten: Robert Rauschenberg und Jasper Johns.

Als undiszipliniert entlassen

Heute zählen sie zu den Superstars der amerikanischen Kunst, damals brauchten sie das Geld. Später tilgte das Duo diese Zeit als Lohnarbeiter aus den Biografien, doch eine private Sammlung in den USA besitzt noch die von Hand geformten Objekte, mit denen die beiden für den Juwelier Tiffany & Co in den 1950er-Jahren Vanitas-Stillleben aus Schmuck und künstlichen Granatäpfeln oder Melonen inszenierten.

Auch Jean Tinguely, der 1941 eine Ausbildung zum Schaufensterdekorateur begann, aber zwei Jahre später entlassen wurde, weil man ihn undiszipliniert fand, entwarf Displays für den legendären Optiker-Laden Ramstein oder den „Wohnbedarf Jehle“. Seine Konzepte setzen künstlerische Ideen in Szene und schließen damit eher an die Geschichte des New Yorker Luxuskaufhauses „Bonwit Teller“ an, das ebenfalls ab den fünfziger Jahren damals unbekannten Künstlern Platz zum Ausstellen – und damit eine Öffentlichkeit – gab: im Fenster, zwischen Schaufensterpuppen und den neuesten Kleider-Kollektionen.

Die Fenster ablecken

Eine Komplizenschaft mit Vorteilen für beide Seiten. Allerdings sorgen solche Kollaborationen auch für kritische Überlegungen, wie sie die inzwischen 84-jährige Lynn Hershman Leeson seit Langem in ihrer Arbeit formuliert. 1976 nutzte die Künstlerin ebenfalls die Fenster von Bonwit Teller, schuf aber keine käuflichen Objekte, sondern porträtierte mithilfe einer multimedialen Installation die Stadt New York.

Ein reflexives Element, das es von Beginn an gibt und das sich etwa in Abramovics filmischem Dokument von „Role Exchance“ beeindruckend artikuliert, sobald sie über die Stunden im Fenster und ihre Reaktionen nachdenkt. Die Prostituierte bescheinigt ihr null Talent zur kommerziellen Exposition: Die Künstlerin, meint sie, würde in diesem Job wohl verhungern.

Jüngere Künstler bringen den Widerspruch ohne viele Worte auf den Punkt und setzen, wie das Künstlerduo Elmgren & Dragset, als eigenes Werk einen Fake-Prada-Store in die texanische Wüste. Oder sie lecken die Schaufenster ab: Martina Morger tut dies in ihrem Video „Lèche Vitrines“ von 2020 mit Hingabe und macht sich zum hemmungslosen Konsumenten. Danach haben die Geschäfte sicher „Fresh Windows“, bloß verdienen lässt sich an Morger nichts.

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