
© Imago/Sebastian Räppold/Matthias Koch/Bearbeitung Tagesspiegel
Hitze und Extremwetter: Ist Sport auf Naturrasen noch zeitgemäß?
Zu tief, seifig oder stumpf: Naturrasen bedarf der richtigen Pflege – und stößt bei Sportlern immer wieder auf Unzufriedenheit. Ist Kunstrasen da die bessere Alternative?
- Janine Korduan
- David Kozlowski
- Jürgen Bertling
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In den vergangenen Tagen wurde in der Sportwelt viel über Rasen gesprochen. Der deutsche Bundestrainer machte sich während der Fußball-EM Sorgen um die Platzverhältnisse im Frankfurter Waldstadion, der aktuell als seifig gilt. „Bei kleinen Spielern ist es nicht so schlimm, bei schweren ist es, als wenn man im Winter mit Sommerreifen fährt“, hatte Nagelsmann gesagt.
Beim Tennisturnier in Wimbledon überraschte der deutsche Olympiasieger Alexander Zverev mit der Aussage: „Früher habe ich aus irgendeinem Grund immer gesagt, dass ich Rasenplätze nicht mag. Jetzt habe ich entschieden, dass ich sie liebe.“
Ist Sport auf dem Naturbelag aber noch zeitgemäß? Oder gehört die Zukunft dem Kunstrasen? Dessen Verlegung auf der Berliner Fanmeile stieß bei Umweltschützern auf massive Kritik. Nach dem Turnier soll er laut Sportverwaltung auf Berliner Bolzplätzen weiterverwendet werden. Wir haben unsere drei Expertinnen und Experten nach ihrer Einschätzung gefragt. Alle Folgen unserer Serie „3 auf 1“ finden Sie hier.
Erhöhte Verletzungsgefahr
Ja, Sport auf Naturrasen ist zeitgemäß, da Sport auf Kunstrasen gesundheitsschädlich sein kann und Klima und Umwelt belastet. Insbesondere die Mikro- und Nanoplastikemissionen sind ein Problem für Natur, Tiere, Flüsse und somit das Meer – aber auch für Menschen, wenn sie Mikroplastik einatmen.
Hersteller verkaufen Kunstrasen als nachhaltig, wenn sie zum Beispiel Zuckerrohr verwenden, aber das ist Greenwashing. Dünger, Pestizide, Flächenverbrauch und für die Herstellung benötigte Isozianate machen den Plastikrasen alles andere als grün. Weitere problematische Chemikalien sind im finalen Produkt enthalten, die eingeatmet oder aufgenommen werden können, wie die potenziell krebserregende Ewigkeitschemikalien PFAS. Die Plastikplätze brauchen viel Bewässerung und erhitzen umliegende Wohngebiete.
Auch aus sportlicher Sicht, unter anderem aufgrund erhöhter Verletzungsgefahr, ist Kunstrasen umstritten. Günstiger für die Steuerzahlenden sind die Plastikplätze auch nicht. Die Wahl zwischen Kunst- und Naturrasen gewinnt klar der Naturrasen.
Naturrasen hat das bessere Mikroklima
Was auf den ersten Blick ein „No-Brainer“ scheint, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung als knifflige Kiste: Im Vergleich von Natur- und Kunstrasen ist der Nachhaltigkeitsaspekt keineswegs klar auf der Naturseite zu verorten.
Denn spätestens seitdem die EU-Kommission Plastik-Granulate als Füllstoffe verboten hat, ist Kunstrasen eine Lösung, die viele Vorteile mit sich bringt. Er muss meist wenig bis gar nicht bewässert werden und ist ganzjährig bespielbar. Naturrasen dagegen braucht viele Pausen, viel Wasser und potenziell bodenschädigenden Dünger, zudem ist er nicht ganzjährig nutzbar.
Trotzdem hat Naturrasen ebenfalls Vorteile, etwa durch das bessere Mikroklima, also die kühlende Wirkung an heißen Tagen, außerdem als Grundlage für eine Vielzahl an Sportarten, die noch immer klassisch auf echtem Rasen gespielt werden – von Ultimate Frisbee bis Cricket.
Im sich verdichtenden Berlin gilt gleichzeitig: Kunstrasen, wenn richtig verlegt, ermöglicht mehr Sport und braucht weniger Wasser.
Plastikwüsten – ein fataler Trend
Setzen Hitze und Extremwetter dem Naturrasenplatz zu, kann Kunstrasen unter bestimmten Bedingungen sogar ökologisch vorteilhaft sein. Wichtig ist dabei die Vermeidung von Faserverlusten durch die Auswahl geeigneter Materialien, den Einbau von Filterrinnen und Barrieren sowie eine effiziente Reinigung.
Oft vergessen wird die Dämpfungsschicht unter dem Kunstrasen, sie sollte aus ressourceneffizientem, rückbaufähigem Polymerschaum bestehen, nicht aus Gummigranulaten. Das Sporttreiben auf Kunstrasen dürfte auch weniger energie- und damit CO₂-intensiv sein als andere Sportarten wie Indoor-Schwimmen oder -Fitnesstraining, vor allem wenn der Platz ganzjährig bespielt wird.
Ein anderes Ding ist die Ausstattung der EM-Fanmeile in Berlin mit Kunstrasen. Der Hersteller bewirbt ihn auch für private Gärten, was problematisch ist. Kunstrasen trägt weder zur Biodiversität noch zur Verbesserung des Mikroklimas bei. Unsere Gärten, die ohnehin bereits verschottern, könnten so auch noch zu Plastikwüsten werden – ein fataler Trend.
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