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Jaha Koo bei seiner Performance "The History of Korean Western Theatre" (1), Credit: Leontien Allemeersch

© Leontien Allemeersch

„In den ersten drei Jahren war ich noch oft sehr wütend“: Der südkoreanische Künstler Jaha Koo im Interview

Der multidisziplinäre Künstler und Theatermacher über seine Jahre in Berlin, den Stolz der Südkoreaner und das politische Potenzial von K-Pop.

Von Ausra Kaminskaite

Stand:

Jaha Koo, Sie haben ihr Heimatland Südkorea vor dreizehn Jahren verlassen. Warum war Berlin Ihre erste Station im Ausland?
Ich wollte im Ausland Theater machen. Zunächst fand ich ein interessantes Masterprogramm an der Amsterdamer Universität der Künste. Um dorthin zu ziehen, brauchte ich jedoch ein Studienvisum oder eine Arbeitserlaubnis. Um nach Berlin zu kommen, genügte es hingegen, sich an einer deutschen Sprachschule zu bewerben. Im Jahr 2011 bewarb ich mich und erhielt ein Visum für ein Jahr Aufenthalt. Im Jahr 2013, nach fast zwei Jahren in Berlin, verließ ich die Stadt und zog nach Amsterdam.

Wie hat Ihnen die Stadt bei Ihrer Ankunft gefallen?
Am Anfang hatte ich vor allem mit der Sprache und der Kultur zu kämpfen. In meiner Kultur gilt es, bescheiden und geduldig zu sein. In Europa funktioniert das jedoch nicht immer und viele Menschen reagieren abweisend, wenn man sie direkt anspricht. Deshalb war es für mich manchmal schwierig, den richtigen Weg zur Kommunikation zu finden. In Korea sind wir zudem an strenge Hierarchien gewöhnt, und mein Körper erinnerte sich ständig daran. Deshalb fiel es mir anfangs schwer, direkt mit meinen Vorgesetzten zu sprechen. Das hat sich irgendwann geändert. Generell ist Berlin aber sehr international, deshalb will ich die Kultur nicht zu sehr verallgemeinern.

Haben Sie Kontakt zur koreanischen Community in Berlin aufgenommen?
Nicht wirklich. Am Anfang wohnte ich in Neukölln, während die meisten Koreaner in Charlottenburg wohnten. Sie betrachteten Neukölln und Kreuzberg als gefährliche Bezirke. Jetzt ist es anders: Ich sehe viele koreanische Restaurants in diesen Gegenden.

Koreanisches Essen ist auch Bestandteil ihrer Kunst. Ihr letztes Werk „Haribo Kimchi“ beginnt mit der Zubereitung traditioneller koreanischer Gerichte.
In „Haribo Kimchi“ ist das Essen eines der Mittel, um eine wichtige Frage aufzuwerfen: Was definiert Authentizität? Kimchi ist ein gutes Beispiel, denn selbst in Korea gibt es in jeder Region andere Kimchis. Außerdem gibt es viele „Kimchi-Diasporas“, die aus politischen, wirtschaftlichen und sozialen Gründen gezwungen waren, Korea zu verlassen; sie haben ihre eigenen Kimchi-Traditionen entwickelt.

Vor einiger Zeit traf ich in Brasilien zwei Personen, die sich als Koreaner vorstellten. Zuerst war ich verwirrt, weil sie nicht wie gewöhnliche Koreaner aussahen. Aber später verstand ich, dass ihre koreanische Identität in der Herstellung von Kimchi liegt, auch wenn ihre Vorfahren das Land vor vielen Jahren verlassen haben und sie weder die Sprache sprechen noch Kontakt zu ihren koreanischen Verwandten haben. Hier würde ich von Authentizität sprechen, weil sich etwas zeitgenössisches aus traditionellen Wurzeln entwickelt hat.

Wie hat die Zeit in Europa ihr Verhältnis zu Südkorea beeinflusst?
Die 13 Jahre, die ich mittlerweile in Europa lebe, haben verschiedene Kapitel. In meinem fünften bis siebten Jahr hatte ich zum Beispiel das Gefühl, dass die räumliche Distanz für meine kreativen Prozesse sehr hilfreich war. Sie ermöglichte es mir, emotional engagiert zu bleiben; vielleicht war das eine Art Heimweh. Außerdem war ich in der Lage, verschiedene Gesellschaften zu vergleichen; das eröffnete mir neue Perspektiven und half mir, verschiedene soziale und politische Kontexte zu verstehen.

Im Jahr 2020, während der Arbeit an meinem letzten Werk „The History of Korean Western Theatre“ hatte ich jedoch das Gefühl, dass die Verbindung zwischen mir und meinem Heimatland abbricht. Ich liebe Korea immer noch, ich besuche es immer wieder, aber es entfernt sich immer weiter von mir. Ich habe auch verstanden, dass sich meine kulturelle Identität verändert hat. Jetzt habe ich das Gefühl, einen diasporischen Status zu haben: Die Menschen in meinem Heimatland sehen mich als Ausländer, der Korea vor vielen Jahren verlassen hat, während die Einheimischen in Europa mich als Koreaner behandeln. Ich bin irgendwo dazwischen.

Was bedeutet es, wie ein Koreaner behandelt zu werden?
Ich habe das Gefühl, dass Rassismus immer noch sehr verbreitet ist. Ich spreche nicht von direktem Rassismus, sondern eher von Nuancen. Selbst auf der Straße spürt man, dass die Menschen Vorurteile gegenüber Asiaten und ihrer Kultur haben. Das eröffnet den Raum, eine bestimmte Hierarchie zu etablieren. Ich habe das als unsichtbare Ausgrenzung, unsichtbare Ignoranz erlebt.

Ein weiteres Problem ist, dass ich die Landessprache nicht fließend spreche, sodass ich mich nicht direkt verteidigen kann. In den ersten drei Jahren war ich noch oft sehr wütend. Mittlerweile fühle zwinge ich mich, ruhig zu bleiben und habe mich auch an vieles gewöhnt. Anders könnte ich hier nicht leben.

Würden Sie sagen, dass Ihre diasporische Geisteshaltung Ihnen dabei hilft, Werke zu schaffen, die von Menschen mit unterschiedlichem kulturellen Hintergrund geschätzt werden?
Ich denke schon. Zum Beispiel habe ich festgestellt, dass Menschen ohne Diaspora-Status oder Zwischenerfahrungen „Haribo Kimchi“ mitunter schnell als oberflächlich abtun. Sie können die verschiedenen Ebenen nicht sehen und nehmen dieses Werk als etwas Exotisches wahr.

Jaha Koo bei seiner Performance „Haribo Kimchi“.

© Bea Borgers

Sie kommen aus einem Land in ständiger Bedrohung. Wie wirkt sich dies auf die Wirtschaft, die Entscheidungen der Menschen, die Kunst und die Psychologie der Einwohner aus?
Während Jahrhunderten folgte auf der koreanischen Halbinsel ein Krieg auf den anderen. Nach dem Koreakrieg (1950-1953) begann jedoch eine neue Ära, denn seit mehr als 70 Jahren gibt es keinen Krieg mehr. In dieser Zeit hat sich Korea stark entwickelt, vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht. Außerdem verbreitete sich die koreanische Popkultur in der ganzen Welt, sodass mehr Menschen als je zuvor über das Land Bescheid wissen. Jetzt sind die Koreaner stolz auf sich selbst. Sie wollen das behalten, was sie mit harter Arbeit verdient haben, und die Dinge verbessern.

Das Land ist jedoch geteilt. Technisch gesehen ist der Krieg also nicht zu Ende, es ist nur eine Pause. Es gibt immer noch viele Spannungen mit Nordkorea, Japan, China und Russland. Und vor kurzem wurde, wie in den Medien ausführlich berichtet wurde, das Kriegsrecht im Land verhängt. Die Menschen waren schockiert, weil sie es als eine beschämende Situation wahrgenommen haben.

Warum beschämend?
Südkorea ist auf seinem Weg zur Demokratie und zum Recht auf eine eigene Stimme durch sehr harte Zeiten mit vielen Opfern gegangen. Deshalb schätzen die Koreaner ihre Bemühungen und Errungenschaften sehr hoch ein. Eine Ankündigung dieses Gesetzes fühlte sich an, als ob die ganze Welt, die mit vielen kleinen Schritten geschaffen wurde, zusammenbrechen würde. Das ist traurig und beschämend zugleich.

Andererseits eröffnete die Situation der jungen Generation von Koreanern große Möglichkeiten. Der Glaube, dass junge Menschen nicht an Politik interessiert seien, war in Südkorea sehr verbreitet. Doch angesichts der letzten Ereignisse verhielten sie sich wie politische Kämpfer.

Eine Untersuchung, die ich derzeit für meine nächste Arbeit durchführe, basiert auf der Idee der K-Pop-Kultur als zivilem Aktivismus. Die Fans dieser Musik haben bestimmte Symbole, mit denen sie ihre Macht, ihre Wut und ihre Ideen zum Ausdruck bringen können. Sie wissen, wie sie auf der Straße überleben können, wenn sie auf die Konzerte ihrer Idole warten oder nachts für Tickets anstehen müssen. Sie wissen, wer sie sind und was sie wollen. So konnte sich die junge Generation den Protesten gegen das neue Kriegsrecht anschließen. Das hat auch ältere Generationen inspiriert.

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