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„Albtraumszenario“ für Deutschland?: RN-Chef Jordan Bardella will Frankreichs nächster Präsident werden
Der Vorsitzende der französischen Rechtsextremen bereitet sich vor: 2027 könnte er Präsident werden. Dann stünden die Zeichen auf Konfrontation – mit der EU und Deutschland.
Stand:
Für Jordan Bardella läuft es glänzend: Menschenschlangen bilden sich vor den Veranstaltungsorten in ganz Frankreich, wo er sein neues Buch „Was die Franzosen wollen“ signiert. Das Porträt des 30-jährigen Vorsitzenden des rechtsextremen Rassemblement National (RN) prangt auf den Titelseiten der Medien des Milliardärs Vincent Bolloré, der die extrem Rechten unterstützt.
Und die Umfragen lassen keinen Zweifel: Seit Juli ist der junge Mann mit steigender Zustimmung der beliebteste Politiker. Mit 39 Prozent lag er im November laut dem Umfrageinstitut Elabe sogar vor der starken Frau und Fraktionschefin seiner Partei, Marine Le Pen (37 Prozent).
35 Prozent der Wähler würden Bardella laut Elabe ihre Stimme im ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahl geben. Das ist ein enormer Abstand zum Zweitplatzierten, dem Mitte-Rechts-Politiker Édouard Philippe, der auf 15,5 Prozent kommt.
Marine Le Pens neue Rolle
Zwar sind es noch 18 Monate bis zur Wahl. Aber Bardellas politische Ziehmutter Marine Le Pen ist stark geschwächt: Sie wurde wegen der Veruntreuung von EU-Geldern verurteilt und darf fünf Jahre lang nicht für politische Ämter kandidieren.
Derzeit ist die Fraktionsvorsitzende mit ihrem Berufungsprozess beschäftigt, der Mitte Januar 2026 beginnt. Sollte das Urteil bestätigt und rechtskräftig werden, wird Bardella für den RN als Präsidentschaftskandidat antreten.

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Und so bereitet er sich kontinuierlich auf die Macht vor. Dazu gehört es, breitere internationale Kontakte zu knüpfen und neue Wählermilieus zu erreichen.
Bardella ist auf die Wirtschaft zugegangen, will Bürokratie vereinfachen und Steuern, die Wachstum erlauben. Und so lud ihn der französische Unternehmerverband Medef als ersten Politiker seiner Partei im August zu einer Sommerkonferenz ein.
Ebenfalls als erstes RN-Führungsmitglied besuchte er im März Israel – auf Einladung des extremistischen Ministers für den Kampf gegen Antisemitismus, Amichai Chikli.
Und seit Gesprächen 2024 mit der deutschen AfD, die als zu radikal eingeschätzt wird, baut der Parteichef den Kontakt zur italienischen Regierungschefin Georgia Meloni aus.
Auf Kollisionskurs mit Deutschland
Angesichts des kontinuierlichen Aufwindes stellt sich die Frage, was ein rechtsextremer Präsident Bardella für Europa und Deutschland bedeuten würde.
Die EU ist ein Verein zur Verteidigung deutscher Interessen.
Jordan Bardella, Parteivorsitzender RN
Darauf hat der Mann, der auch EU-Abgeordneter und Vorsitzender der EU-Fraktion „Patrioten für Europa“ ist, dem britischen „Economist“ kürzlich einige überraschend deutliche Antworten gegeben.
Im Hinblick auf Deutschland sagte er: „Die EU ist ein Verein zur Verteidigung deutscher Interessen.“ Es ist naheliegend, dass er das ändern möchte. So kündigte er gleichzeitig an, Frankreichs Beitrag zum EU-Haushalt neu verhandeln zu wollen. Dessen Höhe hält er für „verrückt“.

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Und aus dem europäischen Stromnetz will der RN-Politiker austreten, weil Frankreich auf seinen eigenen Atomstrom setze: „Wir werden gezwungen, für alle anderen mitzubezahlen“, behauptet Bardella.
Bardella stellt Deutschland gerne als Feindbild dar.
Jacob Ross
Frankreich-Experte der DGAP
Nach Ansicht des Frankreich-Experten Jacob Ross von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) setzt der französische Politiker mit dem Angriff im „Economist“ seine Linie aus dem Europawahlkampf im vergangenen Jahr fort. „Er stellt Deutschland, wenn sich die Gelegenheit bietet, gerne als Feindbild und Macht im Hintergrund der Brüsseler Bürokratie dar“, sagt er dem Tagesspiegel.
Da in Frankreich in den vergangenen zwanzig Jahren sehr stark der Eindruck entstanden sei, man habe den Anschluss an die Bundesrepublik verloren, „bedient er damit Clichés und Ängste, die in der französischen Gesellschaft latent existieren“.

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Ross weist aber auch darauf hin, dass sich eine große Mehrheit der Franzosen in Umfragen regelmäßig sehr positiv zu Deutschland äußert und gute Beziehungen wünscht.
Unterschiede zwischen Le Pen und Bardella
Dennoch sieht der Wissenschaftler bei dem rechtsextremen Politiker keine größere Feindseligkeit gegenüber Berlin – auch im Vergleich zu der Haltung Marine Le Pens. „Bardellas Blick auf Deutschland halte ich für weniger belastet.“
Er werde die bilaterale Beziehung „eher kalkulierend und taktisch betrachten und versuchen, innenpolitische Vorteile herauszuholen“, glaubt Ross. Denn Bardella konzentriere sich voll auf Frankreich und den Weg zur Macht. „Große ideologische, ideengeschichtliche und geostrategische Überlegungen sind ihm – noch – fremd.“
Bardellas Blick auf Deutschland halte ich für weniger belastet.
Jacob Ross
Frankreich-Experte der DGAP
Bei der 57-jährigen Marine Le Pen macht der Experte eine „wesentlich ausgeprägtere und historisch grundierte Meinung zu Deutschland aus“. Das habe einerseits mit ihrer Familiengeschichte zu tun.
Ihr Vater und Parteigründer Jean-Marie Le Pen ist mehrfach wegen antisemitischer Äußerungen und Holocaust-Leugnung verurteilt worden.

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Zudem hätten die bilateralen Verwerfungen der Euro- und Staatsschuldenkrise, die Marine Le Pen seit 2011 als Parteichefin miterlebte, „mit Sicherheit ihr Deutschlandbild geprägt“, sagt Ross. Damals war die Bundesregierung mit ihrer Unnachgiebigkeit in Europa angeeckt.
„Frankreich First“ und Hilfe aus Europa
Die Forderungen Bardellas gegenüber Europa klingen nach einer „Frankreich First“-Politik. Im „Economist“ erklärte der Politiker, dass er es schätze, wie Donald Trump die Interessen seines Landes verteidige. Aber der US-Präsident mache das in einem „sehr amerikanischen Stil, der nicht europäisch und noch weniger französisch ist“.
Angesichts dieser Haltung überrascht es doch sehr, dass sich Bardella gleichzeitig Hilfe von der Europäischen Zentralbank (EZB) bei Frankreichs Schuldenkrise erhofft.

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In dem Interview forderte er, dass die EZB wie „vor 12 bis 15 Jahren quantitative Lockerungen“ vornehmen solle. Während der Eurokrise hatte die europäische Bank unter anderem Staatsanleihen in großem Umfang aufgekauft.
Eine solche Maßnahme sei im Interesse aller Europäer, argumentierte Bardella, denn „wenn die französische Wirtschaft zusammenbricht, wird die Euro-Zone zusammenbrechen“.
Mögliche Szenarien
Für die Bundesregierung könnte sich daraus laut Ross ein „Albtraumszenario“ ergeben: Sperre man sich gegen die Forderungen einer neuen Pariser Regierung, riskiere man die Stabilität der Eurozone und der EU-Integration. „Gibt man nach, macht man sich erpressbar und schafft einen folgenschweren Präzedenzfall.“
Der RN wird ganz bewusst die Konfrontation mit EU-Institutionen suchen.
Jacob Ross
Frankreich-Experte der DGAP
Ross befürchtet, „dass der RN ganz bewusst die Konfrontation mit EU-Institutionen suchen wird“, ähnlich wie der ungarische Staatschef Viktor Orbán.
Dies könne beispielsweise in der Asyl- oder Migrationspolitik geschehen, um dann einen „Machtkampf beim Kernthema der Partei“, der staatlichen Souveränität, zu inszenieren.
Sollte der RN seine populären Forderungen umsetzen, Franzosen bei wirtschaftlichen und sozialen Rechten vor Ausländern zu bevorzugen („préférence nationale“), würde Brüssel das kritisieren oder gar rechtlich dagegen vorgehen.
Dann könnte die Partei ihrer Klientel kommunizieren: „Seht her, Brüssel verhindert, dass wir den Willen der demokratischen Mehrheit im Lande umsetzen.“
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